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Pariser Vorstadtkrawalle
Freispruch für zwei Polizisten

Vor zehn Jahren starben zwei Jugendliche in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois an einem Stromschlag − sie waren auf der Flucht vor der Polizei. Der heutige Freispruch für die Beamten löst neue Wut aus: Von "Justiz-Apartheid" spricht der Anwalt der Familien.

Von Ursula Welter | 18.05.2015
    Ein Transparent vor dem Gerichtshof in Rennes ruft zur Unterstützung der Angehörigen der beiden 2005 in Clichy-sous-Bois gestorbenen Jugendlichen Bouna Traore und Zyed Benna auf.
    Ein Transparent vor dem Gerichtshof in Rennes ruft zur Unterstützung der Angehörigen der beiden 2005 in Clichy-sous-Bois gestorbenen Jugendlichen auf. (dpa / picture alliance / EPA / Eddy Lemaistre)
    Die Angehörigen waren enttäuscht. "Polizisten sind immer unantastbar", sagte der Bruder von Zyed, Adel Benna. Zyed Benna war 2005 an der Seite von Bouna Traoré an einem tödlichen Stromschlag gestorben. Die beiden 17 und 15 Jahre alten Jugendlichen waren damals mit einem dritten, der überlebte, vor der Polizei auf das Gelände des Stromanbieters EDF in Clichy-sous-Bois, einer Vorstadt östlich von Paris, geflohen und hatten sich in einem Transformatorenhaus versteckt.
    Ein Polizist und eine Polizistin, die damals gerade sechs Monate im Dienst war, hatten die Jugendlichen verfolgt. Ihnen war unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen worden, auch weil die Beamten in einem Funkspruch geäußert hatten, dass sie nicht viel auf die Chancen der Jugendlichen gäben, sollten sie dorthin, auf das Gelände des Stromanbieters, fliehen. Keiner der Polizisten war den Jugendlichen zur Hilfe geeilt.
    Der Tod von Zyed und Bouna hatte wochenlange Ausschreitungen in den Vorstädten Frankreichs provoziert. Das Strafgericht der nordwestfranzösischen Stadt Rennes sprach die Polizisten heute frei.
    "Polizisten werden doch von den Gerichten systematisch frei gesprochen", rief diese Frau, die als erste den Gerichtssaal verließ und erklärte, sie vertrete ein Kollektiv mit Namen "Achtung, unsere Polizei mordet". "Ich hatte gehofft, sie würden verurteilt", sagte die Frau unter Tränen.
    Für die Zivilparteien sei der Freispruch schockierend, sagte der Anwalt der Familien, Jean-Pierre Mignard. Trotz des engen zivilrechtlichen Rahmens werde er Berufung einlegen: "Weil der Premierminister unlängst von 'sozialer Apartheid' in unseren Vorstädten sprach, kann ich nur sagen, hoffentlich entwickelt sich darin nicht auch noch eine 'Justiz-Apartheid'." Es wundere ihn nicht, dass sich die Jugend aus den Vorstädten Frankreichs als Opfer eines solchen Urteils sehe.
    Verärgert und traurig
    Ob nun mit weiteren Unruhen zu rechnen sei, fragten die Journalisten möglichst jeden, der den Gerichtssaal in Rennes verließ. Ein Vertreter der Familien, deren Mitglieder teilweise aus Tunesien angereist waren, reagierte auf diese Frage verärgert. Natürlich sei dies eine traurige Nachricht, mit der sie nun nach Clichy-Sous-Bois zurückführen. "Aber hören Sie auf, unsere Vorstädte immer für alles in Geiselhaft zu nehmen", sagte Samir Mihi von der Organisation namens "Jenseits von Worten".
    "Indem Sie unterstellen, es passiert dieses oder jenes, was 2005 geschehen ist, geschah unter dem Eindruck zweier Jugendlicher, die gestorben waren, nachdem die Polizei sie verfolgt hatte. Ich will nicht, dass Journalisten und Politiker ständig unsere Hand nehmen. Kommen Sie mal nach Clichy, dann werden Sie sehen, dass es sich bei uns ganz gut leben lässt, wo die Menschen sich gegenseitig helfen und unterstützen – voilà !"
    Die Verteidigung der angeklagten Polizisten, die heute also freigesprochen wurden, hatte geltend gemacht, dass die Beamten nicht um die Gefahr wissen konnten, in die sich die jungen Männer begaben, als sie über den Zaun des Elektrowerks kletterten.