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Parlamentswahl in der Türkei
Erdogans AKP verliert absolute Mehrheit

Die islamisch-konservative Partei AKP hat bei der Parlamentswahl in der Türkei die absolute Mehrheit verloren, die Regierungsbildung ist unklar. Die Pläne von Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Ausweitung der Macht seines Amtes stehen infrage. Die pro-kurdische Partei HDP feiert derweil ihren überraschenden Einzug ins Parlament.

08.06.2015
    Anhänger der pro-kurdischen Partei HDP feiern das Wahlergebnis
    Anhänger der pro-kurdischen Partei HDP feiern das Wahlergebnis (afp / Ozan Kose)
    Nach vorläufigen inoffiziellen Ergebnissen der Wahl am Sonntag kommt die AKP auf rund 41 Prozent der Stimmen - nach knapp 50 Prozent vor vier Jahren. Die Wähler erteilten damit auch dem Ziel der AKP eine Absage, eine Verfassungsänderung und ein Präsidialsystem mit Präsident Recep Tayyip Erdogan an der Spitze auf den Weg zu bringen. Die AKP kann nun versuchen, eine Minderheitsregierung zu bilden oder einen Koalitionspartner zu finden. Von den drei anderen ins Parlament eingezogenen Parteien kamen allerdings zunächst ablehnende Signale. Sollte eine Regierungsbildung scheitern, kann Präsident Erdogan Neuwahlen ausrufen.
    Die AKP kam auf weniger als 260 Parlamentssitze - als Ziel hatte sie 330 angegeben. Das wäre die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit gewesen, um ein Referendum über eine Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystems abzuhalten. Der Chef der AKP, Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, rief seine Anhänger am Sonntagabend dennoch dazu auf, "die Arbeiten für eine neue Verfassung zu beginnen". Weder die AKP noch Erdogan hatten erklärt, wie ein Präsidialsystem aussehen sollte. Bislang ist der Ministerpräsident Regierungschef.
    HDP feiert Einzug ins Parlament
    Die pro-kurdische HDP übersprang mit rund 13 Prozent der Stimmen erstmals die Zehn-Prozent-Hürde. Das Ergebnis ist eine Niederlage für Erdogan, der die HDP im Wahlkampf scharf angegriffen hatte, obwohl der Präsident nach der Verfassung zur Neutralität verpflichtet ist. Die HDP war mit dem Ziel in den Wahlkampf gezogen, Erdogans Präsidialsystem zu verhindern, und hatte vor einer "Diktatur" gewarnt. Auf eine Wahlveranstaltung der HDP war am Freitag ein Anschlag verübt worden.
    Der Ko-Chef der HDP, Selahattin Demirtas, bezeichnete den Einzug seiner Partei als "überwältigenden Sieg". Er sagte in Istanbul: "In der Türkei sind die Diskussionen um das Präsidialsystem und die Diktatur beendet." Die HDP werde ihre Wähler nicht enttäuschen. In der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir strömten Tausende HDP-Anhänger auf die Straße und feierten ihre Partei.
    Zweitstärkste Kraft bei wurde die Mitte-Links Partei CHP (rund 25 Prozent), die ihr Ergebnis von 2011 fast halten konnte. Die ultrarechte MHP legte deutlich zu und kam mit gut 16 Prozent auf den dritten Rang. Die Wahlbeteiligung lag bei 84 Prozent.
    Türken in Deutschland wählen mehrheitlich AKP
    Die Parlamentswahl war die erste seit dem Amtsantritt von Präsident Erdogan im vergangenen August. Erdogan war davor Ministerpräsident. 56,6 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen: 53,7 Millionen in der Türkei und 2,9 Millionen im Ausland. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu stimmten rund 53 Prozent der in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken für die AKP. Die pro-kurdische Partei HDP bekam rund 18,7 Prozent. Auch in Deutschland feierten Hunderte HDP-Anhänger den Erfolg ihrer Partei. Fast die Hälfte der rund 2,9 Millionen Türken, die im Ausland ihre Stimme abgeben durften, leben in Deutschland. Nach Angaben von Anadolu lag deren Wahlbeteiligung bei rund 44 Prozent.
    (nch)