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Parlamentswahl in Indien
Gandhis Erben zittern um ihre Macht

Der Wahlmarathon in Indien nähert sich dem Ende. Fast 815 Millionen Menschen waren an 36 Tagen eingeladen, einen Stimmzettel abzugeben. Das Ergebnis wird mit Spannung erwartet, denn die regierende Kongresspartei um die mächtige Nehru-Gandhi-Familie hat mit dem Hindu-Nationalisten Narendra Modi einen ernst zu nehmenden Herausforderer.

Von Sandra Petersmann | 10.05.2014
    Die siegestrunkene Parteijugend preist NaMo als Befreier, Heilsbringer und zukünftigen Premierminister. NaMo, das ist der Spitzname für Narendra Modi – den charismatischen, aber hochumstrittenen Spitzenkandidaten der Barathia Janata Partei, kurz BJP. Indiens größte Oppositionspartei gilt als wirtschaftsfreundlich, nationalistisch und religiös-konservativ. Die BJP setzt sich vor allem für die Belange der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit ein. Narendra Modi ist seit 13 Jahren Regierungschef von Gujarat und regiert dort mit absoluter Mehrheit. Er gilt als Hindu-Hardliner. Der westindische Bundesstaat schreibt glänzende Wachstumszahlen, während die nationale Wachstumsrate dramatisch eingebrochen ist. Doch Modis Gegner werfen ihm vor, ein gefährlicher Demagoge zu sein und im Jahr 2002 ein Massaker in Gujarat an der muslimischen Minderheit zumindest wohlwollend in Kauf genommen zu haben. Die auf nationaler Ebene seit zehn Jahren regierende Kongresspartei macht mit dem Blutbad Wahlkampf, Modi lässt wie seit Jahren alle Vorwürfe an sich abprallen.
    "Die Kongresspartei führt keinen Wahlkampf, um diese Wahl zu gewinnen. Sie schmiedet Allianzen und versucht alles, um mich zu verhindern. Aber dieses Land braucht endlich eine gute Regierungsführung, dieses Land braucht endlich Entwicklung und echte Sozialprogramme. Die Kongressregierung betreibt reine Machtpolitik. Auch die Kongress-Verbündeten versündigen sich an diesem Land, in dem sie die Bevölkerung spalten, nur um an der Macht zu bleiben."
    Wer die oppositionelle BJP wählt, wählt Narendra Modi. Wer den regierenden Kongress wählt, wählt Indiens Vorzeigefamilie Nummer Eins. Modi hat sich vom kleinen Teeverkäufer an die politische Spitze hochgearbeitet. Der reiche Nehru-Gandhi-Clan hat das Land seit der Unabhängigkeit von Großbritannien fast immer regiert. Die Familie ist die Partei und das Programm. Chefwahlkämpfer der Dynastie ist Rahul Gandhi, der im Gegensatz zu Modi selten leidenschaftlich und volksnah auftritt. Rahul ist der Sohn des ermordeten Premierministers Rajiv Gandhi, der Enkel der ermordeten Premierministerin Indira Gandhi und der Urenkel des Staatsgründers Jawaharlal Nehru. Er wirkt oft wie ein Politiker, der kein Politiker sein will.
    "Ich habe mir nicht ausgesucht, in diese Familie hineingeboren zu werden. Es ist passiert. Und daraus ergeben sich für mich zwei Möglichkeiten: Entweder ich wende mich ab und gehe, oder ich mische mich ein, um etwas zu verbessern. Ich glaube an die Demokratie, ich will das System für alle öffnen, ich glaube an die Informationsfreiheit und an die Macht des Volkes. Wir haben sehr unterschiedliche Philosophien."
    Die Nehru-Gandhi Familie präsentiert sich im Wahlkampf als Beschützerin der Muslime und anderer Minderheiten und als Fürsprecherin der Armen und Schwachen. Modi macht Wahlkampf mit der Marke Modi. Er ist omnipräsent. Seine Botschaft lautet: hohes Wirtschaftswachstum gleich mehr Reichtum gleich besseres Leben für alle. Gujarat für ganz Indien. Das kommt vor allem bei der Mittelklasse und bei der städtischen Jugend an.
    Die Wahl wird auf dem Land entschieden
    "Ich bin für Modi, weil er uns Entwicklung verspricht. Was er in seinem Bundesstaat Gujarat wirtschaftlich leistet ist herausragend. Er ist ein echter Macher, er schafft Arbeitsplätze, er duldet keine Korruption. Die fehlenden Arbeitsplätze sind das größte Problem für junge Menschen wie mich."
    Fast zwei Drittel der indischen Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre. Doch die Wahl wird nicht in den Städten, sondern auf dem Land entschieden, wo immer noch die Mehrheit des Milliardenvolkes lebt. Überwiegend in bitterer Armut.
    "Der Wahlkampf ist mir egal. Wenn ich jemanden liebe, dann liebe ich jemanden. Und ich liebe die Gandhis. Ich wähle mit dem Herzen. Andere Parteien sind mir egal. Der Kongress ist die Mutter Indiens. Auch meine Eltern und Großeltern haben immer die Kongresspartei gewählt, für uns hier kommt nichts anderes in Frage."
    Doch trotz der eingefleischten Stammwähler auf dem Land deutet nur wenig darauf hin, dass die Nehru-Gandhi Familie weiterregieren kann. Die Medien sprechen von einer Modi-Welle.
    Aber das heißt noch lange nicht, dass der BJP mit Narendra Modi an der Spitze ein glatter Durchmarsch gelingt. Unzählige Regionalparteien zersplittern die politische Landschaft. Sie könnten am Ende die Königsmacher sein, wenn Koalitionspartner gebraucht werden. Und es kommt noch ein weiterer unberechenbarer Faktor dazu: Wie viele Stimmen bekommt Aam Admi, die Partei des einfachen Mannes? Aam Admi hat bei der Regionalwahl im Stadtstaat Delhi im vergangenen Dezember einen spektakulären Senkrechtstart hingelegt und will jetzt auch national Fuß fassen. Parteigründer Arvind Kejriwal ist ein Steuerbeamter, der aus der indischen Anti-Korruptionsbewegung stammt.
    "Rahul Gandhi schwebt im Helikopter ein und verschwindet wieder. Unser Kandidat ist seit Monaten vor Ort, alle können ihn ansprechen. Wir wollen der Helikopter-Politik in diesem Land ein Ende setzen. Es gibt in Indien auch keine Modi-Welle. Die indischen Wähler sind intelligent. Sie wissen, dass Modi unseren Farmern Land wegnimmt, um es den großen Wirtschaftsbossen zu geben."
    Es geht um Personen. Nicht um Parteien oder Programme. Das Thema Gewalt gegen Frauen, das international weiter die Indien-Schlagzeilen bestimmt, spielt bei der größten Wahl der Welt keine Rolle.