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Parlamentswahlen in Italien
Kein Interesse an Kulturpolitik

Antike Stätten, Renaissance-Kunst und eine reiche Musikgeschichte: Eigentlich ist die Kultur eine der Kernkompetenzen Italiens. Im Vorfeld der Parlamentswahlen spielt sie dennoch keine Rolle. Das ärgert viele Kulturschaffende - in einem Appell fordern sie die Parteien auf, kulturpolitisch Stellung zu beziehen.

Von Thomas Migge | 02.03.2018
    February 26, 2018 - Rome, Italy - Snowfall in the night in the capital city the snowfall connected to the arrival of Burian. The Coliseum whitewashed on February 26, 2018 in Rome, Italy Rome Italy PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAn230 20180226_zaa_n230_329 Copyright: xSilviaxLorex
    Kein Thema im italienischen Wahlkampf: die italienischen Kulturgüter, hier das Kolosseum in Rom (Deutschlandfunk/ Silvia Lore/imago stock&people)
    "Wir haben die Ärmel hoch gekrempelt und sind die Dinge angegangen. Pompeji zum Beispiel. Wir haben 105 Millionen Euro der EU investiert, in 70 Baustellen, zur Restaurierung der antiken Bauwerke. Die Folge: Jedes Jahr kommen mehr als drei Millionen Besucher."
    Dario Franceschini ist während des Wahlkampfes stets präsent. Als ausscheidender Kulturminister der sozialdemokratischen Regierung wird er nicht müde, auf die positiven Folgen seiner Arbeit hinzuweisen: auf seine Reformen zur Zusammenlegung verschiedener Behörden, um die Bürokratie effektiver zu machen, auf eine Kulturpolitik, deren primäres Ziel es war, mehr Menschen als bisher in Museen und archäologische Grabungsstätten zu locken - um auf diese Weise die Einnahmen dieser Kulturinstitutionen zu erhöhen.
    "Totales Desinteresse an der Kulturpolitik"
    Finanziell waren Franceschini, wie allen italienischen Kulturministern, die Hände gebunden, denn ihnen steht nur ein knappes Prozent des Gesamtbudgets der jeweiligen Regierung zur Verfügung. Während alle Parteien in ihren Wahlprogrammen und auf Wahlveranstaltungen von Reformen reden und das Blaue vom Himmel versprechen, wird das Thema Kulturpolitik mehr oder weniger totgeschwiegen. Nur die Sozialdemokraten der Partito Democratico (PD) kommen auf die Bedeutung der "beni culturali" zu sprechen, der Kulturgüter. Aber auch nur vage. Die rechten Parteien, von Silvio Berlusconis Forza Italia bis hin zu der ausländerfeindlichen Partei Lega Nord, scheinen die Kulturgüter gar nicht zu interessieren. Im Wahlprogramm von Forza Italia finden sich vor allem Reformansätze zur Privatisierung staatlicher Kulturgüter - um Kasse zu machen. Salvatore Settis, Kunsthistoriker und Ex-Berater verschiedener Kulturminister:
    "Wir haben in Italien die ausgefeiltesten, die ältesten und wahrscheinlich die besten Gesetze zum Schutz von Kulturgütern - auf dem Papier jedenfalls. Die Realität in Sachen Kulturpolitik sieht anders aus. Die aktuellen Parteiprogramme beweisen das totale und wachsende Desinteresse an einer konkreten Kulturpolitik."
    Deshalb gehört auch Salvatore Settis zu den Unterzeichnern eines Appells an sämtliche Parteien, sich endlich des Themas der Kulturpolitik und der historischen Monumente anzunehmen. Rund 140 Künstler und Schriftsteller, Archäologen, Musiker und Kunsthistoriker fordern in diesem Appell, der in italienischen Tageszeitungen veröffentlicht wurde, dass Italiens Parteien endlich begreifen sollen, wie wichtig der Schutz und die Förderung von Kultur und Kulturgütern sind.
    Kultur könnte wichtige Ressource sein
    Zu den Unterzeichnern gehören so bekannte Italiener wie der Dirigent Riccardo Muti, die Komponistin Silvia Colasanti, die Schriftsteller Sandro Veronesi und Raffaele La Capria und viele andere. Auch der ehemalige Vizekulturminister und Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi unterzeichnete den Appell. Sgarbi und die anderen Unterzeichner haben in den vergangenen Wochen versucht, Spitzenpolitiker der verschiedensten Parteien direkt anzusprechen - aber ohne Erfolg. Unbegreiflich, so Sgarbi, denn die Kulturgüter, egal welcher Art, seien doch neben bestimmten berühmten Kulturlandschaften wie der Toskana das einzige bedeutende und erhaltenswerte Gut des Landes.
    Für den Violinisten Salvatore Accardo gehören auch Italiens Musiktheater und Konservatorien zu diesen bedeutenden Kulturgütern, die aber im Vergleich zu anderen EU-Ländern finanziell extrem knapp gehalten werden:
    "Leider ist es in unserem Land um die musikalische Ausbildung, die Musik und die Theater sehr schlecht bestellt: zu wenig Geld, zu wenig Interesse. Und das in einem Land, in dem Jahrhunderte lang Musikgeschichte geschrieben wurde. In Deutschland und Österreich sieht das ganz anders aus."
    Die Politiker begreifen einfach nicht, so der bekannte Musiker, dass Kultur gerade in Italien eine wichtige Ressource sein kann - eine Art Erdöl, mit dem man Geld machen, mit dem man Touristen anziehen und Italien attraktiver machen kann.