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Parsifals Landpartie nach Baden-Baden

Die große, allerdings nicht ganz keimfreie Oper wurde im Badener Festspielhaus fürwahr nicht entweiht, sondern nur etwas ernüchtert - und durchaus auf sinnvolle Weise. Die Gemeinschafts-Aktion von Kent Nagano und Nikolaus Lehnhoff ist dem Werk, dem in den 120 Jahren seiner Rezeptionsgeschichte schon so oft mystagogischer Nebel und dunkles Raunen zugedacht wurde, bestens bekommen. Und dass sich die sagengenährte Geschichte von den verelendenden Gralsrittern so gut erzählt, mag zuvorderst an Matti Salminen liegen, der die großen Rückblenden des Gurnemanz mit der Eindringlichkeit des alten Haudegens und mild gereifter Freundlichkeit vorträgt, also ganz in seinen und des Stückes Bann zu ziehen versteht. Waltraud Meier, die in ein Tier-Kostüm gesteckte Kundry, singt gleichfalls hervorragend - und wie sie stöhnt, das ist gesteigertes Espressivo! "So stöhnt kein Tier", bemerkt Gurnemanz - und er behält auch in der Inszenierung recht, die sein Einfordern von Menschlichkeit akzentuiert. Nicht nur gegenüber Parsifal, dem Christopher Ventris eine klare und weithin leicht geführte Stimme verleiht, zumal bei den Zauberblumen, die ihn zu umwinden versuchen und gegen deren Giftigkeit er sich doch auf so gottbegnadete Weise immun erweist.

Von Frieder Reininghaus |
    Gegen die giftigen Dämpfe des Bühnenweihfestspieltons erweist sich Kent Nagano immun mit seinem klaren und zügigen Dirigat, das doch nie ins Hetzen gerät, also mit kühlem Kopf Balancen wahrt. Wie er mit dem Deutschen Symphonie-Orchester bereits das Vorspiel intoniert - das erinnert eher an den langsamen Satz von Mendelssohns "Reformations-Sinfonie", die ja von Wagner mit Theaterinstinkt fortgeschrieben wurde; nicht an schwülen Plüsch und andere halbseidene Mode in der Zeit des 2. deutschen Kaiser- und Königreichs.

    Thomas Hampson steht als Amfortas im Zentrum der Gralsritterschaft - ein wirklich waidwunder König mit Noblesse, schwankend zwischen einer fortgeschrittenen Gebrechlichkeit und jenen guten Momenten, in denen er wieder losschießen möchte um all das zu regeln, was seines Amtes ist. Und doch kann er das Elementarste nicht bewerkstelligen. Auch das zeigt Lehnhoffs Regie schlicht, klar und ohne Fremdmittel wie Video und Voodoo. Sie bedient einen einfach konstruierten Bühnenraum von Raimund Bauer für eine lineare Erzählung: Eine nach dem weiten Hintergrund hin in Parabelbewegung steil ansteigende Fläche, die für die öde Zeit des Anfangs zunächst ein von Steinen übersätes ödes Land vorstellt.

    Zum zweiten Aufzug findet sich die Arbeitsfläche der Sänger von einem Gaze-Vorhang verschlossen, auf dem die weiblichen Beckenknochen sich abzeichnen - durchaus sinnlich-sinnfällig geht es durch jenes Loch überm Schambein in Klingsors Zauberreich, das in der architektonischen Grundsubstanz der Gralswelt 1:1 entspricht. Amfortas und sein Gegenspieler sind gleich gepolt und auf die gleiche Weise perspektivlos. Dass aber im 3. Aufzug, in dem ein Eisenbahngleis die schräge Spielebene durchschneidet und im Nichts endet, am Ende sich in Neugralgau eine derart positive Wendung der Dinge abzeichnet - Kundry überlebt und zieht mit Parsifal zur Freiheit, zum Lichte empor - das erscheint als wohl allzu euphemistische Volte. Aber manche mögen's halt so schön. Und Nikolaus Lehnhoff macht es ihnen recht.