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Parteien im Fluss

Die Kanzlerin wird immer grüner, die Grünen liebäugeln mit den Schwarzen, die SPD ist weiter mit sich selbst beschäftigt und zur FDP fällt vielen nichts mehr ein. Das alles ist Stoff für die politischen Monatszeitschriften.

Von Norbert Seitz | 27.06.2011
    Die Parteienlandschaft ist so sehr in Bewegung geraten, dass manche Beobachter mit ihren Prognosen noch im Nebel herumstochern. So gehen die Meinungen über den künftigen Kurs der FDP weit auseinander. Es sei zwar richtig, vom "neoliberalen Schrumpfliberalismus" Westerwelles wieder an große liberale Traditionen im bürgerrechtlichen, kulturellen und ordnungspolitischen Bereich anknüpfen zu wollen. Schreibt Hans Vorländer in der SPD-nahen "Neuen Gesellschaft". Er sieht aber momentan kaum glaubwürdige Profilierungschancen für die Rösler-Partei.

    "Einerseits möchte sie sich neu erfinden, andererseits sind viele Plätze im Parteiensystem bereits belegt. Sie wird sich nicht grüner, auch nicht sozialdemokratischer definieren können, weil die SPD und Grüne bereits ihre Protagonisten haben. Auch in der Mitte des Parteienspektrums ist im Grunde kein Platz mehr. Wenn die neue Troika der liberalen Erneuerungsbewegung nun von einem "mitfühlenden Liberalismus" spricht, so ist es ehrenwert, strategisch aber ohne nachhaltigen Effekt."

    Wesentlich einfacher machen es sich dagegen die ideologiegefestigten "Blätter für deutsche und internationale Politik". Für sie bleibt der FDP nur noch der Ausweg eines gemäßigten Rechtspopulismus, der sich gegen die EU als Transferunion richtet. Albrecht von Lucke weist daraufhin, dass sich das einstige Ziel Hans-Dietrich Genschers, "Stabilität und Frieden zu erhalten" längst verschoben habe:

    "Deutsche Interessen zu vertreten bedeutet heute auch, Wirtschaftsinteressen zu vertreten. Hier liegt die eigentliche Chance der FDP - in den Sphären jener regressiven "Wutbürger", denen schon lange die populistische Stimme fehlt, um die eigenen Leistungen gegen die faulen Griechen zu verteidigen."

    Obwohl Schwarz-Gelb schwächelt, können die Sozialdemokraten keinen Nutzen daraus ziehen. Für Gerd Mielke ist die Stagnation der SPD vor allem in der strategischen Dimension zu suchen. Im Netzwerkerblatt "Berliner Republik" hält er fest:

    "Sie hat die traditionelle Führungsrolle und damit auch die Mobilisierungsfähigkeit auf der zentralen Konfliktdimension der deutschen Politik zwischen Wohlfahrtsstaatlichkeit und Marktorientierung verloren. Auch auf der zweiten, eher kulturellen Konfliktachse, die sich zwischen libertärer, teilhabe- und umweltorientierter Politik einerseits und autoritärer und an alten Gesellschaftstraditionen ausgerichteter Politik andererseits aufspannt, übt die SPD keine Meinungsführerschaft aus. Die Führungsrolle liegt hier bei den Grünen."

    Was früher die soziale Frage war, sei heute die ökologische Frage, betont Tobias Dürr im gleichen Blatt. Wichtigster Grund: der weltweit steigende Bedarf an Lebensmitteln und der Verbrauch endlicher Ressourcen:

    "Nur mit ebenso klug entwickelter wie angewandter Industrie und Technologie werden wir in unserem Jahrhundert über die Runden kommen. Für die SPD muss das zum zentralen Thema werden. Dennoch - so viel steht fest: Die alte Konstellation mit ihren gewohnten Koordinaten und Erzählungen kommt nie wieder."

    Derweil schweben die Grünen auf Wolke 7. So sinniert man in der der Ökopartei nahestehenden Zeitschrift "Kommune" über eine Kanzlerkandidatur Joschka Fischers. Hier Herbert Hönigsbergers hymnenhaft anmutendes Plädoyer:

    "Wenn ein Ruf wie Donnerhall erschallt, wenn die Medien und seine Partei es wirklich wollen, wenn der Fackelzug mit Pauken, Trompeten und Schalmeien um die Ecke biegt, dann fängt das Schlachtross an zu tänzeln. Dann wird er es machen. Er ist hinlänglich Apokalyptiker wie Realpolitiker, Prognostiker von Gefahren und Gefährdungen wie Matador der Gratwanderung und des Spagats. Um den Umbau praktisch in Angriff zu nehmen, haben wir keinen Besseren. Wir sollten ihn rufen."

    Doch ehe der Ruf nach Heiland Joschka erschallt, muss erst noch die machttechnisch hochbegabte Titelverteidigerin im Kanzleramt besiegt werden. Werner Weidenfeld schätzt aber Angela Merkels Wahlchancen 2013 als äußerst gering ein. In der Zeitschrift "Cicero" legt er sich fest:

    "Sie hatte jeweils in der Wahlnacht ihr überlegenes Machtspiel ausgeübt und konnte jeweils ein höchst schwaches Wahlergebnis in einen machtpolitischen Sieg umwandeln. Die nächste Bundestagswahl wird sie nicht gewinnen. Und inzwischen ist ihr Fingerspiel durchschaut."

    Doch Autor Weidenfeld weiß auch schon einen Ausweg für sie - als Barroso-Nachfolgerin an der Spitze des Europäischen Rates:

    "Die Neubesetzung steht 2012 an. Sie hat tapfer und clever dafür gekämpft, dieses Amt schwach zu besetzen. Sie hat damit den Ruf programmiert: "Jetzt brauchen wir aber eine starke Lösung." Angela Merkel denkt dabei an Angela Merkel."