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Parteiisch wider Willen

Wenn der "Schiri" eine bunte Pappe zückt, dann kommt es nicht erst seit dem Bestechungsskandal zu wilden Diskussionen auf und neben dem Feld. Doch auch ohne Geld sind, mit dem Druck der Gruppe, die Unparteiischen zu beeinflussen.

Von Volker Mrasek |
    "Und da ist der Pfiff. Man geht raus, und in dem Moment, wo der erste Pfiff getätigt worden ist, konzentriert man sich aufs Spiel und nicht auf das, was drum rum passiert. Es gibt keinen Heimschiedsrichter. Und auch keinen, der sich durch die Zuschauer beeinflussen lässt zugunsten der Heimmannschaft."

    161 Bundesligaspiele, dazu 20 auf internationalem Parkett: Jürgen Aust hat jede Menge Erfahrung als Fußball-Schiedsrichter im Profibereich. Doch stimmt es, was der Kölner sagt: Lassen sich Unparteiische wirklich nicht von johlenden Fans beeindrucken? Nicht einmal, wenn es 60.000 oder 70.000 sind? In Stadien wie auf Schalke oder in Dortmund zum Beispiel. Es gibt da jemanden, der stellt das Selbstbild vom stoischen Schiri jetzt in Frage. Er will den Männern in Schwarz nichts Böses...

    "Die Schiedsrichter sind natürlich schon echte Profis."

    Er nimmt sie sogar in Schutz:

    "Es kann da nicht von absichtlichem Fehlverhalten die Rede sein."

    Doch bei nüchterner Analyse der Ligaspiele zeigt sich offenbar,...

    "... dass Schiedsrichter tendenziell die Heimmannschaft bevorzugen. Und diese Bevorteilung der Heimmannschaft ist tendenziell stärker in Stadien ohne Laufbahn."

    Ständig Trara auf der Tribüne und lautstarke Fans im Nacken - Thomas Dohmen wollte wissen, ob sich dieser Psycho-Terror in Fußballstadien nicht auf die Entscheidungen der Schiedsrichter auswirkt. Dohmen forscht am privaten Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Und der Wirtschaftswissenschaftler erwies sich als ausgesprochen konditionsstark: Er zapfte die offizielle Datenbank der Deutschen Fußball-Liga an und analysierte über 3500 Bundesligapartien aus zwölf Spielzeiten. Der Fußballschiri und sein Pfeifverhalten als Modellfall für das allgemeine - auch nicht gerade stressfreie - Arbeitsleben ...

    "Das ist doch eine Frechheit, was der pfeift! Nur für eine Richtung. Gelbe Karten für uns, rote Karten für uns. Der Freistoß, der keiner war. Der pfeift doch alles gegen uns!"

    So aufgeregt würde Thomas Dohmen die Sache nicht sehen. Doch die gesammelten Liga-Daten bestätigen ihm: Das Heimpublikum setzt dem Schiri psychisch zu ...

    "Und der Schiedsrichter schaut auf die Uhr. Und er wird jetzt wohl zur Pfeife greifen ..."

    "Die stärksten Effekte findet man bei der Nachspielzeit."

    "Noch soll hier nicht Schluss sein. Das ist ja unglaublich!"

    "Wenn man alle Spiele betrachtet, dann zeigt sich zum Beispiel: Wenn die Heimmannschaft mit einem Tor am Ende der 90 Minuten zurückliegt, dann gibt es etwa 21 Sekunden mehr Nachspielzeit als in Situationen, in denen die Heimmannschaft mit einem Tor führt."

    "Und ob das jetzt hier nochmal angepfiffen wird? Ich weiß es nicht!"

    "Und wenn man sich das anschaut, ob es einen Unterschied gibt in Stadien mit oder ohne Tartanbahn, dann zeigt sich, dass dieser Effekt, die Länge der Nachspielzeit, größer ausfällt in Stadien ohne Laufbahn, also dort, wo die Zuschauer direkt am Spielfeldrand sitzen, als in Stadien mit Laufbahn."

    "Markus Merk und seine Assistenten versuchen, das Spielfeld wieder frei zu bekommen. Es soll noch mal weitergehen. Ja, meine Güte!"

    "Also da, wo die Zuschauer direkt am Spielfeldrand sitzen, da ist der Druck auf den Schiedsrichter wahrscheinlich höher."

    Andere Länder - die gleichen Sitten. Auch in England setzt die Stadionmeute den Schiri offenkundig unter Druck. Dort ergab sich: Wenn die Kulisse kocht, sind Unparteiische gnädiger mit der Heimmannschaft. In jedem sechsten bis siebten Fall bleibt der eigentlich obligate Pfiff gegen die Platzherren dann aus. Das hat der Biostatistiker Alan Nevill von der Universität Wolverhampton herausgefunden

    "Ich denke nicht, dass sich die Schiedsrichter bewusst so verhalten. Es ist eine Konfliktbewältigungsstrategie. Man kennt das aus der Psychologie: Es könnte so sein, dass Schiedsrichter kritische Entscheidungen vermeiden, um nicht von den Fans verunglimpft zu werden."

    Über eines sind sich übrigens alle einig - Forscher wie Fußballschiri:

    "Das ist ja auch menschlich! Auch der Schiedsrichter ist ja ein Mensch."

    "So ist es!"

    "Noch mal hat er angepfiffen. Und jetzt ist Schluss! Ja, meine Güte! Was war das für eine Geschichte!"