Freitag, 29. März 2024

Archiv

Parteilose Bürgermeister
"Man muss ehrlich sein. Und zuverlässig"

Viele Kommunen werden inzwischen von parteilosen Bürgermeistern regiert, oftmals auch im Ehrenamt. Kein Parteibuch: Das kann helfen, ohne ideologische Scheuklappen sachgerechte Entscheidungen zu fällen.

Von Silke Hasselmann | 02.08.2017
    Holger Klukas, Bürgermeister der Gemeinde Gallin-Kuppentin in Mecklenburg-Vorpommern, vor dem Ortsschild "Gallin"
    Holger Klukas, Bürgermeister der Gemeinde Gallin-Kuppentin in Mecklenburg-Vorpommern, ist nicht nur parteilos, sondern auch Bürgermeister im Ehrenamt. (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
    Zu Gast in der mecklenburgischen Gemeinde Gallin-Kuppentin mit ihren fünf Dörfern und knapp 500 Einwohnern. Vor dem Galliner Gemeindezentrum bringt Holger Klukas seinen kleinen, dunkelgrünen Renault zum Stehen.
    "Das ist erst nach meiner Amtsübernahme entstanden. Das war vorher der Werkraum von der Schule."
    2006 kam das Ehrenamt auf ihn zu, nachdem der damalige Bürgermeister schwer erkrankt war. Ob er nicht gegen dessen Stellvertreter antreten wolle, hätten einige Bürger ihn gefragt. Und er? Sagte letztlich zu.
    "Ich kann doch nicht immer nur zu Hause sitzen und meckern. Ich bin auch ein Kind der DDR; ich habe gelernt, immer irgendwas auch für die Gesellschaft zu machen und für andere, weil man ja nicht immer nur auf etwas warten kann. Wenn man wartet, dann passiert sowieso nix. Tja, und da bin ich mit fast 70 Prozent gewählt worden."
    Trotz Gegenkandidaten zweimal wiedergewählt, zählt der heute 63jährige zu den rund 60 Prozent an Bürgermeistern in Mecklenburg-Vorpommern, die parteilos sind.
    "Einbringen kann ich mich auch ohne Partei"
    "Ich war noch nie in irgendeiner Partei. Zu DDR-Zeiten schon nicht, und ich werd´ auch nie Mitglied werden. Denn wenn ich mich einbringen will, kann ich das auch ohne in einer Partei zu sein und ohne irgendwelchen Zwängen hinterher zu unterliegen. Das ist vielleicht auch ´ne Erziehungssache. Mein Vater war eigentlich genauso einer. Der hat uns vorgelebt, dass man auch ohne Parteimitgliedschaft Gutes tun kann. Auch für die Gesellschaft. Und – tja, muss ich nicht haben."
    Ortswechsel – Crivitz. Bürgermeisterin Britta Brusch-Gamm, zuständig für die 5.000 Einwohnerstadt zwischen Parchim und Schwerin sowie fünf umliegende Kleindörfer, besucht das Sommerfest des christlichen Pflegeheimes ELIM. Sie erzählt:
    "Ich bin seit 2014 Bürgermeisterin, und bei mir war es einfach so, dass ich gesagt habe, ich möchte keine Parteipolitik im Hintergrund haben. Sondern in einer Kommune wie Crivitz oder auch in kleinen Dörfern ist eigentlich für die Menschen vor Ort wichtig, dass du dich der Dinge annimmst, die vor Ort gelöst werden müssen. Dafür muss man kein Parteibuch haben, bin ich der Auffassung."
    Britta Brusch-Gamm, die "tüchtige Bürgermeisterin"
    Sommerfestbesucher Gottfried Schicht sieht das anders. Er kenne Frau Brusch-Gramm als "eine tüchtige Bürgermeisterin", sagt der 82-Jährige und bedauert doch zugleich, dass sie parteilos ist.
    "Man muss einen Standpunkt vertreten, und der ist ja auch eingelagert in die Substanz der Parteien, was sie wollen. Wenn ich zu keiner Partei gehöre, kann ich machen, was ich will. Das ist auch nicht gut. Also ich würde mich mehr freuen, wenn ich bei Ihnen das `C` erkennen könnte."
    "Bei mir steht das 'C' für 'Crivitzer'"
    Auch für Pflegeheim-Geschäftsführer Joachim Laufer zählt weniger die Parteizugehörigkeit, sondern Sachverstand und der Wille von Kommunalpolitikern, Probleme auf unideologische, pragmatische Weise anzupacken. Zumindest in den ostdeutschen Gemeinden funktioniere Kommunalpolitik oft genauso. Komplizierter sei es natürlich in größeren Kommunen wie seine Heimatstadt Rostock mit ihren mehr als 250.000 Einwohnern.
    "Dass gerade in Rostock Parteipolitik über Jahrzehnte ein ganz wesentlicher Faktor war, auch für die Bürgermeisterschaft, das ist leider so gewesen. Deswegen empfinde ich es gerade als Bürger Rostocks sehr vernünftig, dass es ein Parteiloser ist."
    Joachim Laufer meint Roland Methling, seit 2005 Oberbürgermeister der mecklenburgischen Hansestadt.
    "Der macht es sich oft schwer, weil er seine Mandatsmacht sozusagen nicht im Rücken hat. Manchmal ist er streitlustig, aber ich empfinde und empfand das nie als großes Problem. Sondern es waren immer Sachgründe, die ihn nach meiner Meinung dazu gebracht haben, Dinge nicht durchgehen zu lassen oder anders zu sehen. Und für 'ne Kommune sollte das auch das wesentliche Merkmal sein: Nicht CDU oder Linke und Grüne, sondern der Bereich der Kommune, der Bürger selbst muss im Mittelpunkt stehen."
    Mit wechselnden Mehrheiten regieren
    Später im Bürgerhaus von Crivitz. Hier arbeitet und entscheidet Bürgermeisterin Britta Brusch-Gamm mit wechselnden Stadtvertretermehrheiten, und zwar möglichst auf der Geschäftsgrundlage: gut informiert sein und gesunder Menschenverstand. Dennoch: Erreichen nicht jene Kollegen mehr als sie, die Parteifreunde im Kreis-, Land- oder Bundestag sitzen haben, gar in der Schweriner Landesregierung?
    "Also ich habe immer gedacht, dass das so wäre, dass sie den direkteren Draht haben. Aber wenn ich sehe, wie unsere Probleme vor Ort doch nicht so das Gehör finden, muss es wahrscheinlich eher ein Irrglaube sein."
    Und auch deshalb gründete Britta Brusch-Gamm voriges Jahr zur Landtagswahl mit anderen Bürgermeistern eine Partei: "Die Achtsamen". Keiner der "Achtsamen" schaffte den Sprung ins Landesparlament, und heute gibt es diese Partei schon nicht mehr. Dennoch kein Fehlschlag, meint die Crivitzerin:
    "Der Auftrag, den wir selbst uns da gestellt hatten, ist ja insofern erfüllt, als dass jetzt nach der Wahl zumindest die kommunalen Themen doch sehr präsent geworden sind. Mein großes Thema Kita- und Hortbeiträge ist nach wie vor ein Thema, mit dem ich mich beschäftige. Da ist das egal, wer bei wem ist. Und es muss es auch möglich sein, wenn man als Parteiloser sagt: 'Hier ist ein Problem. Helft uns, das zu lösen.'"
    Parteibuch helfe nicht im Alltagsgeschäft
    Bürgersprechstunde im Gemeindehaus Gallin. Ob Holger Klukas - wie im Moment - Pachtfragen klärt, ob er Auflagen des Ordnungsamtes umzusetzen oder die Kosten des Kindergartens zu begleichen hat – ein Parteibuch helfe ihm im Alltagsgeschäft eines Gemeindebürgermeisters kaum. Wichtig sei praktische Unterstützung, und die bekämen er und die anderen zwölf, ebenfalls zumeist parteilosen Bürgermeisterkollegen im Amtsbereich Lübz von zwei Gemeindekoordinatoren. Und was ist den Mecklenburgern wichtig an einem Bürgermeister?
    "Auf die Kacke hauen kann keiner ab hier. Wenn man was sagt, muss man das auch tun. Die lassen sich nichts vormachen, die wissen ganz genau. Man muss ehrlich sein. Und zuverlässig."