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Party in Madrid

Feiern gehört zur Kultur Spaniens. Und das jede Woche von Donnerstag bis Sonntag. Die "Movida madrilena" ist eine Massenkultur und als allwöchentliche Partymeile ein herausragendes Charaktermerkmal Madrids.

Von Anna Deibele |
    Vor einer Bäckerei auf der Plaza de Juan Pujol in Madrid sitzt ein 52-Jähriger mit Dreitagebart und lockigen schulterlangen Haaren. Versunken improvisiert er auf seiner Gitarre. Der 52-jährige Ricardo Escassi del Castillo ist geborener Madrileno und genießt am Donnerstagabend den Anbruch des langen Wochenendes mit Tapas, viel Trinken und Feiern. Diese Tradition gibt es in der spanischen Hauptstadt jede Woche von Donnerstag bis Sonntag, genannt wird sie Movida madrilena. Ricardo Escassi ist Stammgast auf der Plaza de Juan Pujol:

    "Ich spiele gerade mit einem Verstärker, der so groß wie eine Zigarettenschachtel ist, ein klein bisschen größer. Ich muss ihn verstecken, weil man hier eigentlich nicht mit Verstärker spielen darf. Ich spiele zu meinem eigenen Vergnügen hier auf der Straße, nicht um davon zu leben. Beruflich mache ich etwas anderes."

    Seit vielen Jahren hat Ricardo Escassi ein Tonstudio im Herzen des alten Handwerkerviertels Malasana, der Wiege der Movida madrilena, und neben Huertas dem Viertel mit den meisten Kneipen in Madrid. Anfang der 80er-Jahre lebten hier die Künstler, Musiker und Intellektuellen, die nach Ende der Franco-Diktatur und einer Abkehr von der katholischen Kirche neue Werte wie Drogen, Sex und Musik propagierten. Die Movida madrilena war vor allem eine Kulturbewegung der Jugend und eine gesellschaftliche Liberalisierung, die von Madrid ausging und sich bald in ganz Spanien ausbreitete, meint Ricardo Escassi:

    "Nach einer so langen Diktatur hatten die Menschen Lust kreativ zu sein und dann haben eben ein paar Interessierte der ganzen Sache einen Namen gegeben. Die Menschen hatten wieder Lust zu leben!"

    Einer, der die Movida madrilena der breiten Öffentlichkeit zugängig macht, ist der Filmemacher Pedro Almodóvar, der mit seinem Debütfilm "Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande" im Jahr 1980 das Setting mitten in die Movida madrilena legt. Musikalisch spielt damals vor allem der Pop-Rock und der Punk eine wichtige Rolle, so Escassi:

    "Hier im Viertel wimmelte es nur so vor bekannten Leuten. Vor allem Musiker aus den 80ern waren hier ansässig. Sie spielten in Bands, die später als DIE Gruppen der Movida bekannt wurden. Viele hatten so gut wie keine musikalische Ausbildung. Aber es ging auch nicht darum gut zu sein, sondern dem Land eine neue Farbe zu geben, das bis dahin ziemlich eintönig gewesen ist."

    Ricardo Escassi selbst spielt in den 80ern als Gitarrist bei Bands wie Glutamato Ye-Ye und Radio Futura mit. Inzwischen komponiert und schreibt er eigene Songs und kollaboriert auch mal mit Berühmtheiten wie Steve Wonder. Was die Entwicklung der ursprünglichen Madrider Bewegung angeht, ist Ricardo Escassi kritisch:

    "Am Ende hat alles einen kommerziellen Charakter bekommen. Das Image der Movida madrilena, die Grenzen überschreitet, ist bei vielen haften geblieben, aber das war meiner Meinung nach eher nebensächlich. Vor allem war die Movida ästhetisch wichtig, nicht so sehr tiefgreifend ideologisch."

    Mit dem Ende der sozialistischen Ära im Jahr 1991 naht auch das Ende der Movida. Geblieben sind die Musik, die Filme von Almodóvar und das exzessive Nachtleben. Und das findet vor allem auch bei den unter 30 –Jährigen besonderen Anklang, welche über ein Drittel der gesamten Stadtbevölkerung darstellen. Die sieben staatlichen und acht privaten Universitäten in der Region Madrid und die aktive Künstlerszene ziehen viele junge Menschen in die Hauptstadt Spaniens. Gegen 11 Uhr nachts sind die Straßen des Stadtteils Chueca rappelvoll. Die 24-jährige Christina geht regelmäßig in der Bar "El Tigre" in der Nähe der Gran Via aus. Ihre Partypläne dauern bis zum Morgengrauen:

    "Also vor allem die Tapas! Besonders wenn man feiern geht, dann kauft man sich hier lediglich eine Coca-Cola und dazu gibt es einen Haufen Tapas. So hat man eine richtige Abendmahlzeit. Danach feiern wir bis zum Morgengrauen. Zum Frühstück gibt es noch Churros und danach geht’s ab nach Hause zum Ausschlafen."

    Dem 26-jährigen José gefällt es besonders gut, dass hier vor allem junge Leute ausgehen. Im Anschluss ziehen er mit seinen Kumpels zum Zentrum der Stadt, der Plaza del Sol weiter. Er sieht seine Nacht ganz im Erbe Almodóvars:

    "Sex, Drogen, Alkohol – das, was in Madrid so üblich ist! Vor allem viel Party!"

    Der 23-jährige Kevin aus Frankreich kommt hinzu. Er verbringt gerade seine Ferien in Spanien und ist zu seiner Stammbar "El Tigre" zurückgekehrt. Vor zwei Jahren hat er in Madrid ein Austauschjahr gemacht, jetzt ist er mit französischen Freunden unterwegs, um ihnen das Nachtleben von Madrid zu zeigen:

    "Wenn man nach Madrid kommt, dann braucht man sich nicht die Sehenswürdigkeiten und Kirchen anschauen oder ins Ballett gehen. Das Wichtigste in Madrid ist die Movida: Ausgehen, Leute treffen, Essen gehen, was Trinken. Diese Stimmung, diese Bewegung, diese Energie, die man dabei erlebt, das ist für mich die Movida. Und für mich persönlich ist die Movida, das was die Stadt Madrid ausmacht. Wenn mich jemand fragen würde, was ist Madrid, dann würde ich sagen, schau es dir an. Ich würde demjenigen nichts verraten. Die Movida muss man erleben, um sie zu verstehen."

    Die Plaza Dos de Mayo, das Stadtteilzentrum von Malasana, steht bei den Franzosen heute noch auf dem Programm, gepaart mit einem Besuch in einer der zahlreichen Diskotheken der Stadt. Die "Movida Madrilena" ist inzwischen weit über die Grenzen Spaniens bekannt. Für jede Altersklasse hat die größte Stadt Südeuropas das entsprechende Partyviertel. Während sich in Chueca, Tribunal und Lavapiés eher die Studenten wohlfühlen, stehen Malasana und La Latina eher für die mittlere Generation, die sich bereits im Arbeitsleben etabliert hat. Selbst die Rentner lassen sich trotz Wirtschaftskrise die Feierlaune am Wochenende nicht verderben. Wenn es um Tapas und Chupitos auf der Plaza Santa Ana oder der Plaza Mayor geht, ist in Madrid jeder dabei!
    Madrid bei Nacht
    Von Donnerstag bis Sonntag verwandelt sich das nächtliche Madrid in eine Partymeile. (Anna Deibele)