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Party mit Prügelprinz

Gefühlt hat der 1. FC Köln im Moment nur einen Namen: Lukas Podolski. Der Star lockte beim Trainingsauftakt Ende Juni 21.000 Bollerköppe an.

Von Jürgen Roth |
    "Köln pervertiert jeden einzelnen", behauptete der Dichter Rolf Dieter Brinkmann 1974 in einem Beitrag für die WDR-Sendereihe Autorenalltag. Und weiter: "Und dann die trüben Muschelarbeiten, die Pfuscharbeiten, die Kölner leisten. Überall Pfusch, Gemuschel und Gemauschel!"

    Und, müssen wir ergänzen, Gekreische, Gejaule und geistiges Gelumpe. Nun ist zwar die genuine Infamie oder Dummheit der Stadt Köln eben spätestens seit Brinkmanns Verdikt ein Gemeinplatz. Aber seit Lukas Podolskis Rückkehr an den ruchlosen Rhein – nach drei Jahren in der ägyptischen Gefangenschaft unter der Herrschaft verschiedener Bayernkönige – drehen die Inhabitanten dieses römisch-katholischen Kokoloresgemeinwesens und Anhänger eines Fußballklubs namens 1. FC Köln derart wüst am Narrenrad, daß kürzlich sogar im gewöhnlich um äußerste Zurückhaltung bemühten ARD-Morgenmagazin davon die Rede war, der FC sei "eher ein hysterischer Verein".

    Eher?

    "Gefühlt hat der 1. FC Köln im Moment nur diesen einen Namen", fühlte man da barmherzig mit, diesen einzigartigen Namen: Lukas Podolski, der beim Trainingsauftakt Ende Juni 21.000 Bollerköppe anlockte (manche sprechen gar von 50.000), was, wie Bild entzückt und Buchstabe für Buchstabe verrückt meldete, "Ligarekord" sei und mit schnurstracks ins Pantheon der gestörtesten Zeitungszeilen einmarschierten Stammeleien gewürdigt wurde: "Das ist die große bunte Poldi-Show, und wir sind alle dabei. Das ist Poldi-Mania! Mega-Jubel. Immer wieder Glücks-Schreie – Wahnsinn. Dann wird die Poldi-Hymne ‚Nach Haus komm‘ eingespielt. OB Schramma überreicht Poldi eine Plakette von Papst Johannes Paul II."

    Michael Jacksons Heimgang und seine abartig-kollektivpsychotischen Folgen? Ein Dreck dagegen.

    "Es geht nicht hier um Systemfußball oder um ’nen anderen Dreckscheiß", hat Podolski 2003 mal fallenlassen. Sondern worum? Um das peinliche Theater in einer intellektuell irreversibel auf Vorschulniveau geschrumpften Menschengemeinschaft und die Entfesselung jener Medien, die wochenlang assistierend Poldi-Müll und -Mist in Umlauf bringen. "Eine Pellkartoffelmentalität haben sie hier", sagte Rolf Dieter Brinkmann, und der polnischen Pellkartoffel Poldi wird die Haut abgezogen, bis wirklich nichts anderes mehr als die nackte Knolle zu erblicken ist.

    Köln-Manager Michael Meier wirft sich in die Brust und erklärt, "daß wir mit diesem Transfer das Herz der Kölner getroffen haben". Der Fußballautor Christoph Biermann tauft das Rheinland in "Wildes Poldistan um", und ein Buchverlag pfeffert die Kladde Poldi und Köln – Eine Stadt und ihr Stürmer auf den Markt. Wenigstens der "Kölner Stadt-Anzeiger" rang sich diesbezüglich die Bemerkung ab: "Ob die Menschheit darauf gewartet hat, ist zweifelhaft."

    Die größte Plage der Menschheit ist bekanntlich die Zeitung, dieses heimtückische Instrument der Verblendung. "Verhängt das Blatt des Tags dir nicht das Licht?" fragte Karl Kraus. Stand das Ablösespiel gegen den FC Bayern unter dem Motto "Poldi kütt no Hus", so betitelte der Kölner Express eine sage und staune baß zweiundzwanzigseitige, vor Beknacktheit platzende Poldi-Spezialausgabe: "Hä is widder do!"

    Hä? Hä! Er. "Der verlorene Sohn". Der "Supertyp". Der "Sympathieträger". Das "Eigengewächs". Ein "echter kölscher Jung". Der "Stolz Schlesiens". "Das neue Gesicht des FC". Woraus der jecke Präsident Overath schließt: "Für den FC bricht eine neue Zeit an."

    Nur welche? Eine der finalen geistigen Implosion vermutlich, in der diese gesegnete Stadt Köln Tag für Tag über Poldi-Tore und insbesondere Poldi-Statements debattieren wird, solche zum Beispiel: "Ist immer ’n geiles Gefühl, wenn man ’nen Tor macht." – "Tore sind schon wichtig." – "Wir wollten hier gewinnen, und das haben wir gemacht mit dem Sieg."

    Hie und da attestiert man derartigen schaurig schlichten Kartoffelsätzen Witz – einen Witz, der ein Witz ist. Entgleiten Podolski in bester Fußballermanier bisweilen die Worte vollends – "Da muss man einfach drüber wegstehen", "Die Köpfe müssen jetzt hochgekrempelt werden" –, dann mag das komisch anmuten. Doch betrachtet man das Treiben in und rund um Köln sowie Poldis Palabern mit gehörigem Abstand, wird einem wieder einmal klar: Infantilität und Fanatismus sind ein Paar.

    In jüngerer Zeit ist Lukas Podolski auf dem Platz ja ab und an als Prügelprinz auffällig geworden. Vielleicht kommt er in die Pubertät. Hoffen wir für ihn – und in seinen Worten –, "daß man vom Kopf frei werden kann", und stöhnen wir mit Rolf Dieter Brinkmann: "Es wäre schon gut, wenn es das Rheinland nicht geben würde."