Maria Ossowski: Ihr wichtigstes Projekt, Professor Parzinger, ist momentan das Humboldt-Forum im neuen Berliner Schloss mit den außereuropäischen Sammlungen. Dort gibt es einen hochkarätig besetzten Expertenrat, und die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat dieses Gremium jetzt wutentbrannt verlassen und dies mit medialem Knall in der "Süddeutschen Zeitung" kundgetan. Das Humboldt-Forum käme zur falschen Zeit, die Provenienzen der Exponate seien nicht geklärt, der Expertenbeirat tage zu selten, auf ihn werde nicht gehört, es sei zu viel Geld da – das sind heftige Vorwürfe. Da haben Sie sich sicherlich sehr geärgert.
Hermann Parzinger: Ja, klar. Vor allem von jemand, der es eigentlich besser wissen müsste, und jemand, mit dem man ja auch lange kooperiert hat. Wenn jemand einen solchen Eindruck eines Projektes hat, in dessen Expertengremium man sitzt, dann sucht man eigentlich das Gespräch mit dem Gründungsintendanten und sagt, passt mal auf, was macht ihr da eigentlich? Das ist ja nicht passiert. Und in der letzten Sitzung des Expertenbeirats, drei Tage im April, war sie ja gar nicht mit dabei. Und das ist ein bisschen befremdlich. Und gerade da haben wir einen ganzen Nachmittag über den Umgang mit unseren Afrika-Sammlungen diskutiert.
Wir haben auch zwei auswärtige Afrika-Historiker einbezogen. Das war sehr kontrovers. Das war ganz wichtig. Ich glaube, dass niemand von den Experten, die dabei waren im April, das Gefühl hat, dass sie hier auf einer Pro-forma-Veranstaltung sind, dass man auf sie nicht hört. Im Gegenteil, Neil McGregor hatte Frau Savoy auch gebeten, doch im Januar noch einmal teilzunehmen und dann erst zu entscheiden. Insofern sind wir schon ein bisschen überrascht über diese Fundamentalkritik, dass keine Provenienzforschung durchgeführt würde. Das ist natürlich falsch. Die wird natürlich durchgeführt. Natürlich kann man da auch noch mehr machen. Das ist ja klar. Es ist immer die Frage, ist das Glas halb voll oder ist es halb leer? Wir haben einfach ein großes Forschungsprojekt, Untersuchung der Provenienzen aus Ostafrika, wo wir eng mit Tansania kooperieren. Ich war selbst im letzten Herbst dort. Das haben wir mit Mitteln großer deutscher Unternehmen, die im Kuratorium Preußischer Kulturbesitz zusammenwirken, die uns das ermöglichen. Das heißt, es braucht auch natürlich irgendwie eine Stelle, an der man mal, ähnlich wie für NS-Raubkunst, Anträge für Provenienzforschungsprojekte in Bezug auf völkerkundliche Sammlungen stellen kann. Man kann von den Museen nicht immer alles erwarten, sie sollen alles aus dem bestehenden Etat und dem bestehenden Personalstamm leisten. Das ist schlicht nicht möglich. Wir tun das auf einem gewissen Niveau, aber wenn man dann weiter in die Tiefe geht, muss man – das machen wir ja wie gesagt bei NS-Raubkunst ganz genauso –, muss man Projekte definieren und dann sich um Drittmittelunterstützung kümmern und dann da rangehen. Und da bleibt aber, das gebe ich gern zu, für die Zukunft dann noch viel zu tun.
"Die Provenienz völkerkundlicher Bestände ist ein relativ neues Thema"
Ossowski: Herr Professor Parzinger, das Humboldt-Forum birgt die ethnologischen Sammlungen aus Kolonialzeiten. Es ist ein Panorama der Welt. Warum ist eigentlich die Provenienzforschung komplizierter als in der Kunst, zum Beispiel bei Bildern?
Parzinger: Ich würde nicht sagen, dass sie komplizierter ist. Dort ist es zum Teil auch sehr verwinkelt und man muss viele Archive durchforsten. Aber jetzt zum Beispiel für den Kunstmarkt der 30er-Jahre, was bei NS-Raubkunst sehr wichtig ist, gibt es halt vielfach doch eine sehr umfangreiche Aktenlage. Das ist bei den völkerkundlichen Sammlungen ungleich schwieriger. Man muss den Aktionsradius, den Aufgaben, den Schicksalen der Sammler, die diese Dinge erworben haben für die Museen nachgehen. Waren das Kolonialbeamte, waren das Wissenschaftler. Es gibt da sehr oft auch Bestände, die aus Kolonialkriegen, also unter Zwangsanwendung auch von deutschen kolonialen Soldaten eingesammelt wurden und am Ende in einem Völkerkundemuseum landeten. Das sind natürlich schon Dinge, die in einem klaren Unrechtskontext stehen. Das heißt, diese ganzen Dinge muss man verfolgen, muss man recherchieren, bestmöglich natürlich auch da, wo unsere Archive sozusagen enden, mit den Kollegen in den betroffenen Ländern. Und das tun wir auch. Wir haben Kooperationen jetzt mit Ruanda, mit Tansania, wo es wichtig ist, wirklich gemeinsam das Schicksal, den Weg dieser Sammlungen zu untersuchen.
Ossowski: Und gäbe es einen Restitutionsanspruch, was geschähe dann?
Parzinger: Provenienzforschung hat eigentlich das Ziel, proaktiv die Bestände zu untersuchen, und die Bestände, die nicht sauber sind, die wirklich dann auch von sich aus zurückzugeben. Wir haben ja auch, was NS-Raubkunst betrifft, arbeiten wir ja nicht nur Ansprüche, die an uns gestellt werden, ab, sondern wir durchforsten ganz gezielt unsere Bestände nach Projekten, Bestand für Bestand, und stoßen da immer wieder eben auf Dinge, die möglicherweise oder höchstwahrscheinlich unter Zwang entzogen worden sind, und gehen dann, versuchen auch die Erben zu recherchieren, und gehen ran. Und so stelle ich mir das hier eigentlich auch vor. Und das war konkret der Fall mit Objekten aus dem Maji-Maji-Krieg in Tansania, die wir entdeckt haben, die wir im Humboldt-Forum auch zeigen wollen, um dieses Phänomen und die Geschichte des Maji-Maji-Kriegs, an den ja in Deutschland kaum einer denkt, immerhin mit angeblich fast 300.000 Toten. Also keine Kleinigkeit, also wirklich ein Kolonialverbrechen, um diese Geschichte hier zu erzählen. Und deshalb sind wir und bin ich mit meinen zuständigen Kuratoren im Herbst in Tansania gewesen und haben gesagt, wir haben diese Bestände, wir wollen mit euch gemeinsam erstens die Geschichte dieses Maji-Maji-Kriegs aufarbeiten und dann aber auch gemeinsam diese Geschichte im Humboldt-Forum präsentieren. Und das ist natürlich ein Bestand, wo man sagt, okay, das zeigen wir jetzt ein, zwei Jahre im Humboldt-Forum, und dann geben wir das zurück nach Dar-es-Salam, und dort soll es dann verbleiben.
Ossowski: Die Provenienzforschung bei völkerkundlichen Objekten ist ja noch ein relativ junges Phänomen. Das heißt, das wird auch nicht bis zur Eröffnung des Humboldt-Forum alles erforscht sein, sondern das wird das Humboldt-Forum begleiten?
Parzinger: Auf jeden Fall. Das ist nun mal so. Die Provenienz völkerkundlicher Bestände ist ein relativ neues Thema, dessen man sich aber ganz klar bewusst geworden ist. Es gibt beim Deutschen Museumsbund eine Arbeitsgruppe, die sich genau mit diesem Problem befasst, denn es ist ja nicht nur ein Problem von Berlin. Das ist eine Aufgabe, die alle völkerkundlichen Sammlungen, und auch nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, in England, überall, weltweit oder sagen wir mal, in der westlichen Welt, die solche Sammlungen in dieser Zeit angelegt haben, müssen sich damit auseinandersetzen. Und wenn ich wieder zurückdenke an die Provenienzforschung zur NS-Raubkunst: Im Umgang damit haben wir ja auch und auch die Politik, die Verantwortlichen – ich denke nur an die Washingtoner Prinzipien, 1998 verabschiedet, doch eine Menge dazugelernt. Die Washingtoner Prinzipien besagen ja auch, dass man nicht immer zu eindeutigen Lösungen kommt, und deshalb gibt es ja auch diese fairen und gerechten Lösungen. Das heißt, da, wo man wirklich die Wahrheit nicht mehr vollkommen rekonstruieren kann, dass man da versucht, einfach wirklich gemeinsame Lösungen, Kompromisse zu finden. Ich glaube, das ist die Aufgabe, und da müssen wir noch eine Menge an Erfahrungen sammeln. Aber so, wie manche das darstellen, das ist alles Raubgut, das muss also alles komplett zurückgegeben werden, das wird der Wissenschaftsgeschichte, dem Entstehen dieser Sammlungen natürlich auch in keiner Weise gerecht – das ist absurd.
"Forschung ist immer die Basis für alles"
Ossowski: Sie haben Wissenschaftsgeschichte eben, Professor Parzinger, erwähnt. Sie sind ja gleichermaßen zuständig einmal für die Wissenschaft in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die wissenschaftliche Arbeit, und natürlich auch für die Präsentation von Kunstgegenständen. Kann man da priorisieren und sagen, das eine ist wichtiger als das andere?
Parzinger: Nein. Alle Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben eine weit zurückreichende große Tradition auch als Forschungseinrichtung. Und es ist vollkommen klar, und es gehört zu dieser Berliner Tradition dazu, und die führen wir wirklich mit vollem Bewusstsein auch weiter. Dass Wissenschaft und Forschung die Grundlage jeglicher Vermittlungsarbeit und jeglicher Arbeit mit den Sammlungen ist und sein muss. Aus der Forschung mit den Beständen entstehen die neuen Ideen, die man dann in Ausstellungen umsetzt. Und das Großartige für mich – ich komme ja vom Deutschen Archäologischen Institut, ich war in einer außeruniversitären Forschungseinrichtung, die nicht diese Chance wie ein Museum hat, ihre Ergebnisse in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Mir ist hier bei dieser Einrichtung erst bewusst geworden, was für ein unglaubliches Potenzial das ist, die Ergebnisse, die Wissenschaft erzielt, den Menschen, der Öffentlichkeit wirklich vorzuführen, zu zeigen, zu erklären. Und das ist das, was in vielen Wissenschaftsbereichen, die immer spezialisierter werden, ja total fehlt, dass Wissenschaft und Forschung völlig abgehoben und völlig abgenabelt sind von der Öffentlichkeit. Aber Wissenschaft und Forschung werden mit öffentlichen Geldern finanziert, und insofern glaube ich, dass es für die Dinge, die wir tun, sammlungsbezogene Grundlagenforschung, also Geistes- und Sozialwissenschaften im Wesentlichen, dass das gar nicht voneinander trennbar ist. Forschung ist immer die Basis für alles. Das beginnt mit der Konservierung, Konservierungswissenschaften. Also die Tradition, Forschung auf allen Bereichen, auch zum Erhalt der Bestände ist ganz wichtig, und es betrifft nicht nur die Museen, es betrifft die Staatsbibliothek, es betrifft das Geheime Staatsarchiv, das Ibero-Amerikanische Institut, das ist eine unserer erfolgreichsten Einrichtungen, was die Einwerbung von Drittmitteln betrifft, und genauso auch die Musikforschung.
Ossowski: Die Stiftung wurde 1957 gegründet. Der Bundestag hat das Gesetz beschlossen, ein Gesetz zur Errichtung einer Stiftung Preußischer Kulturbesitz, um die Vermögenswerte des ehemaligen Landes Preußen auf die Stiftung zu übertragen. Das klingt ein bisschen sperrig, und wenn man so überlegt – es gibt das MoMA, es gibt den Louvre, es gibt den Prado. Das sind so Wörter, die sofort etwas im Kopf bewegen. Aber Stiftung Preußischer Kulturbesitz? Ein bisschen sperrig, oder?
Parzinger: Das ist ein bisschen das Problem, mit dem wir zu kämpfen haben. Wir sind einerseits viel mehr als die von Ihnen genannten Einrichtungen. Gleichzeitig ist es aber schwierig, diesen einmaligen Kosmos der Kunst und Kultur, der alle Sparten – und das gibt es sonst fast nirgends –, der alle Sparten der kulturellen Überlieferung, Nationalmuseen, Nationalbibliotheken und Nationalarchive unter einem Dach zusammenfasst. Das ist das ganz Besondere, und das kann man nicht mit einem Label. Aber das ist gleichzeitig schwierig, marketingmäßig nach außen zu tragen. Das ist aber gleichzeitig eine Zukunftsaufgabe. Wir haben gerade damit jetzt wieder begonnen, diesen Prozess eben der Vermittlung des Außenauftritts, der Wahrnehmung der Stiftung bei den Bürgern, bei den Menschen zu verbessern. Das ist, glaube ich, dringend notwendig. Die Herkunft – das hängt natürlich damit zusammen, dass wir die Kultureinrichtungen des ehemaligen Staates Preußen, dass es ja eine gesamtstaatliche Stiftung ist, die zu 75 Prozent vom Bund finanziert wird, zu 25 Prozent von allen 16 Ländern. Also die einzige Kultureinrichtung, die vom Bund und den Ländern gemeinsam getragen wird aufgrund der gesamtstaatlichen Bedeutung. Und das war damals, muss man immer wieder dran erinnern, in den 50er-Jahren, als ja in den westdeutschen Auslagerungsorten die Schätze unserer Einrichtungen vor den Bombenangriffen und Kriegshandlungen geschützt waren, Preußen war aufgelöst, und vieles hat man in Hessen zusammengezogen, und Hessen sagte, ja, Preußen gibt es nicht mehr, Preußen war der Eigentümer, jetzt sind wir der Eigentümer. Und es fing so eine, man kann fast sagen, innerdeutsche Beutekunstproblematik an, die letztlich dazu geführt hat, dass die Stiftung gegründet wurde, dass in einem wirklich langen Prozess diese Schätze wieder nach Berlin zurückgeführt werden mussten. Das ist erst in den Siebzigern abgeschlossen gewesen.
"Digitale Transformation ist enorm wichtig"
Ossowski: Es sind unglaubliche Schätze, und Sie sagen, es muss noch einiges getan werden in der Außenwirkung, in der Werbung. Das ist ganz klar, SPK ist nicht so eine Marke. Was wollen Sie ganz konkret ändern?
Parzinger: "Museumsinsel" ist natürlich schon eine Markenbezeichnung, die man mit Louvre, British Museum und Prado vergleichen kann. Aber das fängt ja schon bei den Staatlichen Museen zu Berlin an, dass sie natürlich – Museumsinsel ist nur einer ihre ganz besonderen, aber nur einer ihrer Standorte. Da gibt es die Gemäldegalerie, den Hamburger Bahnhof, das Museum für Fotografie und so weiter. Ich glaube, die große Herausforderung besteht darin, dass man wirklich diese unglaubliche Vielfalt zusammenbringt. Und der Name Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder auch Staatliche Museen zu Berlin wirkt etwas bürokratisiert. Der lässt sich schlechter vermitteln. Man muss irgendwie schauen, dass man mehr über die Inhalte geht. Aber das große Ziel wäre wirklich, diesen einmaligen Kosmos, den es wirklich nirgends in vergleichbarer Form gibt, und mit den ganzen Potenzialen, und da ist, was wir jetzt auch begonnen haben, digitale Transformation enorm wichtig, wo Sie eben zu bestimmten Themen die ganze Information, die Museen, Bibliotheken und Archive und Forschungsinstitute bieten können, dass Sie das abrufen können. Der Museumsbesucher, daran arbeiten wir jetzt, wenn Sie in Ausstellungen gehen, dass Sie über App-Anwendungen, über anderes, wirklich Augmented Reality, Virtual Reality, was es jetzt alles gibt, und wir haben ein 3-D-Digitalisierungszentrum auf der Museumsinsel, und, und, und. Dass diese Inhalte, die entstehen dann, für den Besucher und auch für die Wissenschaft entsprechend eben Vermittlung unterstützen und gleichzeitig das Besuchererlebnis wirklich erweitern. Und da steckt großes Potenzial drin, und das, glaube ich, ist eine der ganz wichtigen Aufgaben.
Ossowski: Sie wollen die Museen modernisieren. Und das heißt, in einem so riesigen Unternehmen wie Ihrem, dass die Museumsdirektoren, die Leiter auch viel enger zusammenarbeiten müssen. Und ich war mal auf dem Organigramm der Berliner Museen, und was habe ich da alles gefunden. Ägyptisches Museum hat einen Leiter, Antikensammlung, Gemäldegalerie, Kunstbibliothek, Kunstgewerbemuseum, Kupferstichkabinett, Museum für Asiatische Kunst, Islamische Kunst, Byzantinische Kunst, Ethnologisches Museum, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Münzkabinett, Nationalgalerie, Vorderasiatisches Museum, Gipsformerei, das Institut für Museumsforschung und das Museum für Europäische Kulturen. Ich hab das extra mal alles aufgezählt, um zu zeigen, wie groß dieser Apparat ist. Und jetzt frage ich Sie: Wie wollen Sie all diese Fürsten und Fürstinnen, die diesen Museen vorstehen und die sie leiten, zu mehr Zusammenarbeit bringen? Wie wollen Sie das schaffen, wie wollen Sie motivieren? Es ist, glaube ich, kein Geheimnis, dass das außerordentlich schwer ist.
Parzinger: Und es ist ein Prozess, der nicht nur top-down geht. Sie können nicht die Direktoren und Generaldirektorinnen zusammenrufen und dann sagen, so, Leute, wir machen das jetzt so und so. Sondern wir haben einen solchen Prozess des engeren Zusammenbindens nach meiner Übernahme der Präsidentschaft schon mal begonnen. Und das sind so Prozesse, die man immer wieder aufs Neue initiieren muss. Wir wollen jetzt eine neue Dimension erreichen. Ob das die digitale Transformation ist, oder ob das die Kommunikation und Außenwahrnehmung ist. Und da ist es ganz wichtig, dass man auch Verantwortlichkeiten abgibt. Wir haben zum Beispiel zwei Digital Chief Officers jetzt berufen, das sind die Stellvertretenden Generaldirektoren, Frau Haak von den Museen, Herr Altenhöner von der Staatsbibliothek, die diese digitale Transformation, Herr Altenhöner für die strukturellen Fragen, Frau Haak mehr angebotsbezogen, projektbezogen, die das sozusagen quer zu den fünf Säulen, die die fünf Einrichtungen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz tragen, quer zu den Säulen praktisch als Querschnittsaufgabe weiterentwickeln sollen.
Und das ist, glaube ich, ganz wichtig, dass auch die Mitarbeiter, die leitenden Mitarbeiter einzelner Einrichtungen, einzelner Museen verstehen, dass sie durchaus auch eine Verantwortung für das Ganze übernehmen, und dass die einzelne Einrichtung auch viel mehr davon hat, wenn das Ganze sozusagen diese Dinge gemeinsam weiterentwickelt. Denn die Kompetenzen, die Kapazitäten sind nicht immer gleichmäßig verteilt. Man kann voneinander profitieren, wenn man zusammenarbeitet. Und an diesen Zielen, dafür muss man werben, man muss auch Incentives, man muss versuchen, Anreize zu schaffen, aber das ist dann ganz wichtig. Sonst funktioniert es nicht. Man kann sowas nicht anordnen. Aber bisher, muss ich sagen, in meiner Erfahrung, dass das immer sehr konstruktive Prozesse waren. Und manchmal war ich sogar erstaunt, wie begeistert man dann auch bereit war, da mitzuarbeiten. Es gibt dann schon Punkte, wo es nicht einfach ist, weil vor allem man an die Punkte kommt, wo dann der eine oder andere dann doch auch was an Eigenständigkeit abgeben muss. Und da ist es wichtig, dass man den Mehrwert deutlich macht.
"Das ganze Kulturforum wird sich nachhaltig verändern"
Ossowski: Eines Ihrer wichtigsten Museen, Herr Professor Parzinger, die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe, eine Ikone der architektonischen Moderne, wird gerade gründlich renoviert. Darin konnten wir früher alle Schätze des 20. Jahrhunderts bewundern. Ein Schwerpunkt der Sammlung ist der deutsche Expressionismus mit den Werken der "Brücke", darunter Ernst-Ludwig Kirchners "Potsdamer Platz" und Arbeiten von Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz, Oskar Kokoschka und so weiter. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis wir diese Werke in der neuen Nationalgalerie wieder sehen können. Jetzt erinnern wir uns mal ans MoMA, ans Museum of Modern Art. Als das renoviert wurde, hat Peter Raue, unser umtriebiger Kunstanwalt die Werke einfach hierher geholt, nach Berlin in die Neue Nationalgalerie. Es war damals eine echte Jahrhundertsensation. Warum können wir mit dieser unglaublichen Sammlung des 20. und 21. Jahrhunderts nicht nach Bonn oder nach Schleswig, nach München oder Marzahn oder überhaupt in die neuen Bundesländer gehen?
Parzinger: Wir hatten die Ausstellung im Jerusalem-Museum, das war ein Auftritt im Ausland. Wir arbeiten mit diesen Beständen natürlich auch im Hamburger Bahnhof. Dort wird ja immer wieder in wechselnden Präsentationen im Kleihues-Flügel die Klassische Moderne sichtbar gehalten, jetzt mit der großartigen Berlin-Ausstellung. Bei dem anderen ist es natürlich so, das ist schon etwas, was in der Zukunft wichtiger ist. Da ist ja immer die Frage, wie können wir die Menschen dazu bringen, dass sie in die Museen kommen, dass sie zum Kulturforum auf die Museumsinsel gehen oder zum Hamburger Bahnhof. Das passiert nicht von allein. Wir haben das mal in Marzahn im Kultur- und Freizeitzentrum versucht im letzten Sommer. Dort haben wir Objekte aus dem Ethnologischen Museum präsentiert, und all die Menschen, die dort arbeiten, die teilnehmen, das Schwimmbad "Nikita", das Bürgeramt und so weiter haben das zur Kenntnis genommen. Wir haben dort Podiumsdiskussionen durchgeführt, man hat sich damit auseinandergesetzt. Also das hat eine richtige Wahrnehmung in diesem Bezirk gehabt. Und das muss man, glaube ich, stärker tun. Nur, man muss sich dabei natürlich bewusst sein, vor allem qualitätvolle, hoch wertvolle Objekte, Kunstschätze kann man nicht so einfach irgendwo aufstellen. Das ist eine Frage der Kosten auch, der Machbarkeit überhaupt. Viele Kooperationen laufen jetzt auch mit Schulen und so weiter. Kinder und Jugendliche, das ist ganz wichtig, aber unsere Zielgruppen sind alle Teile der Gesellschaft, und wir müssen gerade die nichtklassischen Museumsgänger, die müssen wir noch stärker für uns zu gewinnen versuchen.
Ossowski: Es ist ja so wie in allen Metropolen: In erster Linie gehen Gäste und Touristen in die Museen. Und eines Ihrer Häuser, haben wir eben schon erwähnt, die Gemäldegalerie, da möchte ich doch mal kurz aufzählen, was die beherbergt: Cranach, Dürer, Holbein, Rubens, Botticelli, Bellini, Tintoretto, Canaletto, Tiepolo, Caravaggio, Goya, Gainsborough, Watteau – alles mit Rang und Namen vom 13. bis 18. Jahrhundert. Diese Gemäldegalerie liegt am Kulturforum, und, ganz ehrlich, Professor Parzinger, wenn ich da reingehe am Dienstagvormittag, da denke ich immer, ich bin allein.
Parzinger: Die Gemäldegaleriezahlen sind meistens gar nicht so schlecht. Das ist irgendwo auch das Geheimnis oder die besondere Qualität, dass man immer denkt, man ist dort allein. Man ist es aber gar nicht. Natürlich, eine so herausragende Sammlung würde auch noch viel mehr Besucher vertragen. Ich denke, da ist ganz entscheidend zwei Punkte, und das haben wir ja auch vor: Eines, dass die Wandelhalle, die aber über all die Jahre gar nicht als Ausstellung genutzt wurde, die Museen benutzen sie ja jetzt als Ausstellung, dort ist die Botticelli-Ausstellung gewesen, dann die "El Siglo de Oro"-Ausstellung war es der zentrale Bereich, das wollen wir weiterhin auch tun. Die Teheran-Ausstellung wäre dort ja auch gewesen. Also, im Gebäude selbst weitergehende Highlights anzubieten. Und dann natürlich wird das ganze Kulturforum nachhaltig sich verändern. Wenn man sich klar macht, wenn die Sanierung des Mies-van-der-Rohe-Baus fertig ist, wenn der Neubau eröffnet ist mit der unterirdischen Verbindung – wir werden uns natürlich dann auch um eine Freiraumbespielung kümmern müssen. Ich glaube, einen wirklich nachhaltigen Anstieg der Besucherzahlen wird man erst erreichen, wenn der ganze Ort mit den Neubauten insgesamt eine ganz andere Wirkung entfaltet. Das bedarf noch etwas Geduld, das wird noch ein bisschen dauern, aber ich glaube, das ist etwas, worauf sich die Berliner wirklich freuen können.
Ossowski: Sie haben erwähnt eben gerade noch, mit der Gemäldegalerie, dass die Teheran-Ausstellung ja eigentlich dort rein sollte. Wie ist da im Moment der Stand der Dinge? Es handelt sich um eine Sammlung des Schahs und seiner Familie, seiner Frau, Kunst des 20. Jahrhunderts. Wie ist da der Stand der Dinge?
"In neun Jahren wird die Mitte Berlins anders aussehen"
Parzinger: Im Augenblick gibt es noch keine konkreten Neuigkeiten. Wir hören immer wieder Nachrichten aus Teheran, Stimmen, die sagen, dem stünde nichts mehr im Wege, dass sie nach Berlin käme. Aber die entsprechenden Maßnahmen sind noch nicht getroffen. Das heißt, wir warten jetzt noch mal ab. Wir hätten die Möglichkeit, im Herbst die Ausstellung noch einmal zu zeigen. Ich glaube, es wäre wichtig, diese Ausstellung zu zeigen. Sie hat sehr viel Vorlauf gehabt, sie ist sehr debattiert worden in der Öffentlichkeit, auch im Iran. Wir haben das sehr begrüßt, nachdem sich der erste Plan oder der erste Versuch zerschlagen hat, sie in Berlin und dann in Rom zu zeigen, dass daraufhin im TMoCA in Teheran die Ausstellung mit genau diesen Bildern gezeigt wurde, mit dem Titel "The Berlin-Rome Travellers".
Das war ja auch einer der Kritikpunkte hier, dass man gesagt hat, ihr zeigt die ja nur im Westen, die Bilder, die müssen doch im Iran gezeigt werden. Jetzt werden sie im Iran gezeigt. Ich bin mir ziemlich sicher, hätte es nicht wirklich diese intensiven Gespräche hinter verschlossenen Türen, in der Öffentlichkeit, mit den Medien, die Berichterstattung, die war ja auch im Iran ziemlich intensiv, nicht nur in Deutschland. Hätte es das nicht gegeben, hätte es diese Ausstellung mit diesen Bildern, mit diesem Titel, in Teheran nicht gegeben. Und dadurch haben wir allein schon eine Menge erreicht, wie ich finde. Und die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben. Wir werden sehen. Es wird jetzt das neue Kabinett zusammengestellt nach der Präsidentschaftswahl, und wenn es da gute Anzeichen gibt, dann werden wir da vielleicht noch mal hinfahren, und dann muss es allerdings schnell gehen, weil entweder kriegen wir es jetzt im Herbst hin oder das Thema ist dann wirklich erledigt. Es wäre schade, aber dennoch haben wir, meine ich schon, einiges damit erreicht.
Ossowski: Sie sind neun Jahre dabei, wir schauen jetzt neun Jahre in die Zukunft. Was ist das Wichtigste, ganz konkret, was Sie dann geschafft haben, Herr Professor Parzinger?
Parzinger: Ich glaube, in neun Jahren wird die Mitte Berlins anders aussehen. In neun Jahren, wenn man vom Brandenburger Tor zur Museumsinsel geht, wird man auf halbem Wege links die fertige Staatsbibliothek Unter den Linden sehen. Das wird ein grandioser Tempel der Kunst und des Wissens, in seiner wilhelminischen Pracht wiedererstanden mit modernen Zutaten. Der neue Lesesaal etwa, mit modernster Forschungsinfrastruktur, mit Digitalisierungsstraße und, und, und. Dann, ein Stück weiter, wird das Schloss stehen. Die Außenraumgestaltung – ich hoffe, dass dort das Sanchi-Tor stehen wird, was wir drei Gründungsintendanten ja vorgeschlagen haben, als Kontrapunkt zum Brandenburger Tor zu sehen sein wird. Die Menschen werden hineinströmen. Es wird pulsieren. Die Menschen werden es auch wahrnehmen, werden oft dorthin gehen, Veranstaltungen genießen. Gegenüber die Museumsinsel wird noch nicht fertig sein. Der Pergamon-Altar wird wieder zu sehen sein, die James-Simon-Galerie längst eröffnet. Der Südflügel des Pergamon-Museums wird seiner Eröffnung entgegengehen. Vielleicht können wir schon mit dem alten Museum beginnen, das muss ja auch noch grundsaniert werden. Und wenn man dann sich zum Kulturforum bewegt – in neun Jahren kann man wirklich die alte Nationalgalerie von Mies von der Rohe betreten, dort eine Gemäldegalerie, sage ich immer, der Klassischen Moderne im Untergeschoss eben sehen und dann über einen Gang hinübergehen in den Neubau, der dann schon fertig sein wird, und wirklich die Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts mit all ihren Brüchen und revolutionär neuen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts genießen können, und wird vielleicht dann auch viel stärker die großartige Sammlung in der Gemäldegalerie wahrnehmen. Eine Außenbespielung an den Umgebungsflächen des neuen Museumsgebäudes für die Kunst des 20. Jahrhunderts, was es dann auch, hoffe ich, schaffen wird, die ganzen Anrainer stärker zusammenzubinden. Also das ist schon was, worauf man sich freuen kann. Und der Hamburger Bahnhof, der dann um die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert in Anführungszeichen befreit ist, wird sich noch stärker dem widmen können, was heute zeitgenössisch ist. Also ich denke, es wird viel geschehen in den nächsten neun Jahren.
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