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"Parzival. Der rote Ritter"

Es gibt mindestens drei Traditionsstränge, wenn man über Parzival, den Helden der Artusliteratur spricht. Da sind die Schilderungen des Wolfram von Eschenbach um 1200, der die ritterliche Grals-Welt und die religiöse Dimension hervorhebt. Parzival wird König der Gralsburg. Im 19.jahrhundert ist es dann das "Bühneweihfestspiel", die große Oper Richard Wagners, die von der Erlösung handelt.

Von Hartmut Krug |
    Der Autor Dieter Kühn hat im 20. Jahrhundert dann sich vieler literarischer Stoffe des Mittelalters angenommen und auch den Parzival als Alltagsgeschichte erzählt. Der Autor Tankred Dorst hat auch ein Bühnenstück geschrieben. In Hannover gab es gestern nun eine Uraufführung des Theaterstücks "Parzival. Der rote Ritter" des Schweizer Autors Adolf Muschg. Eine moderne Version, mit roten Motorrad-Leder-Klamotten. Held ist darin, wer es schafft, sich zu finden. Das versucht manch einer ja ein Leben lang.

    Wie in Wolfram von Eschenbachs höfischem Epos und in Tankred Dorsts Parzival-Stück erzählt auch Adolf Muschg in "Parzival. Der Rote Ritter" die Geschichte eines naiven Jünglings, der hinaus in die Welt zieht, um diese zu entdecken und sich selbst zu erkennen, als einen hindernis- und erkenntnisreichen Stationenweg. Doch bei Muschg ist dieser Stationenweg auch historisch zu verstehen: er führt nicht nur durch die Entwicklung des Bewußtseins des Heldens, sondern zugleich vom ritterlichen Mittelalter in die bürgerliche Moderne.

    Eintausend Romanseiten hat Muschg in seinem 1993 erschienenen Opus Magnum gebraucht, um die Sinnsuche Parzivals zu schildern, der als ein Held im Zeitalter gesellschaftlicher Umbrüche gezeigt wird. Die Hannoveraner Bühnenfassung kommt mit wenig mehr als drei Spielstunden aus: so ist eine zugleich von Gedanken und Handlungssträngen überquellende Version entstanden, in der manche Fragen und Probleme auch nur kurz angerissen werden. Doch insgesamt überzeugt die Bühnenfassung in Stefan Ottenis schnörkellos konzentrierter Inszenierung, die sich sowohl auf die Fragen und Haltungen des Helden in der Handlung wie die des Zuschauers an die Fabel einläßt. Drei Musiker, am Bühnenrand postiert, spielen und singen die personifizierte Fabel:

    Der nüchtern schnoddrige Ton des Fabelerzählers, der sich manchmal auch in einen ironischen Disput mit Figuren auf der Bühne einläßt, entspricht einer demonstrativen, sinnlich klaren Sprech- und Spielweise der Schauspieler. Man könnte den Stil der Inszenierung als analytisch spielerischen Realismus bezeichnen. Stefan Otteni und Thomas Laue haben eine offene Szene eingerichtet, auf der eine Drehbühne von einem doppelgeschossigen Halbrund aus Betonsäulen umgeben ist. Die Darsteller tragen heutige Alltagskleidung und spielen mit nüchtern unpathetischem Gestus. Die Aufführung beginnt mit dem Hochzeitsturnier von Parzivals Mutter Herzeloyde, die vom Gral zu den Rittern von Kanvoleis geschickt wurde, um Ordnung zu schaffen. Doch der von ihr erwählte Mann wirkt wie ein Affront gegen die hermetisch in ihrem Regelwerk abgeschottete höfischen Gesellschaft. Dieser Gahmuret campiert auf dem Turnierplatz und kommt als kaugummikauender Hippie daher. Statt den einheimischen Lähelin zu erwählen, der später als Statthalter von Herzeloyde und dem sofort weiterziehenden Vater ihres Sohnes die Rittergesellschaft in die von den Gesetzten des Handels und des Marktes bestimmte bürgerliche Gesellschaft überführt, geht sie die Verbindung mit einem ort- und regellosen Mann ein. Parzival, das Kind aus dieser Vereinigung der Gegensätze, wird von ihr in der Einöde großgezogen. Er soll kein Ritter werden und ersehnt sich das doch so sehr.

    Regisseur Stefan Otteni zeigt einen Artus-Hof, der in der bewußtlosen Fröhlichkeit munter leerer Partys dahintreibt, und einen Parzival, der mit den gutgemeinten Ratschlägen seiner Mutter, die er mit naivem Wollen als direkte Handlungsanweisungen versteht, zum Vergewaltiger, Räuber und Totschläger wird. Als er die Rüstung des roten Ritters haben will, springt er diesem an den Hals und zerbeißt ihm die Halsschlagader.

    Clemens Schick gibt seinem Parzival eine naive Forschheit und eine nie auftrumpfende Selbstsicherheit im suchenden Handeln. Wenn er Condwir Amur trifft, mit der er einen Menschen als selbstbestimmtes Gegenüber erfährt, dann wird er durch die Erfahrung der Liebe zwar ein anderer, doch verläßt er seine Frau sogleich wieder, um den Gral zu suchen:

    Parzivals Gralssuche gefährdet bei Muschg auch dessen Ehe. Denn während Parzival mit dem Gral den allgemeinen Sinn des Lebens sucht, hat Condwir Amur sich im Leben bewährt, sie hat sich mit dem gegenspielerischen Kapitalisten Lähelin zusammengetan, der von Muschg als eine Fortschrittsfigur gezeichnet und vom souveränen Matthias Neukirch als intellektueller, gutmeinender Macher gespielt wird.

    Wenn Parzival endlich den Gral befragen kann, verweigert dieser mit einem lakonischen "Well done. Thats it" jede Antwort und schafft sich selbst ab. Der Gral nimmt einen Zweck nicht an, der moderne Mensch muss seinen Sinn in sich und seiner Welt selbst suchen. Das wird Parzival mit seiner Frau und in der Beziehung zu ihr tun.

    Die Hannoveraner Spielfassung hat durch die poetisch klare Inszenierung von Stefan Otteni aus Adolf Muschg Roman ein wunderbares Theaterstück gewonnen.