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Pasolini und der Tod

Pier Paolo Pasolini war einer der größten Kritiker unausgelebter Mythen der Moderne. Er hat den Zusammenhang von Konsumgesellschaft, Opfer und Höllenfahrt früh erkannt. Selber hat er mit seiner Ermordung 1975 ein tragisches Ende gefunden. Die Münchner Schau über "Pasolini und der Tod" zeigt den Künstler, der malte, schrieb und filmte.

Von Wolf Schön |
    P.P.P. – so dringt der Stakkato-Dreiklang der Initialen auf Plakaten und Katalogen wie Hammerschläge in die Köpfe des Publikums ein. P.P.P. – das war das selbstgewählte Markenzeichen, das auch Politik, Polizei und Pornografie bedeuten konnte. Oder Poesie, Pathos und Posse, schließlich Prophetie, Provokation und Protest. Aber immer Pier Paolo Pasolini, der sich von den Extremen auf grandiose Weise zermalmen ließ. Das Oszillieren zwischen Dolce Vita-Glamour und den Slums der Ewigen Stadt endete 1975 mit seinem bestialischen Mord. Da hatte er gerade "Die 120 Tage von Sodom" abgedreht, die schärfste Abrechnung mit der verhassten Konsumgesellschaft, deren perverse Regisseure sich schändend und folternd an der aufblühenden, noch nicht korrumpierten Jugend vergehen.

    Die bizarren Stationen aus Leben und Werk des genialen und erbittert angefeindeten italienischen Filmkünstlers zeigt die Pinakothek der Moderne in München in einer Inszenierung, die tatsächlich in ein Kunstmuseum gehört. Auf einer monumentalen Textwand sind zum dreißigjährigen Todestag exemplarische Zitate zu lesen, darunter das zentrale Motto: "Ich hasse Natürlichkeit". Die Kunst als Antwort auf die Natur hat der Vielbegabte im halsbrecherischen Crossover absolviert, als Lyriker, Romancier, Journalist, Theaterautor, Zeichner, Maler und vor allem als Filmemacher.

    Da Pasolinis Filmbilder im Kontrast zu den chaotischen Massenmedien aus den klaren Quellen der Malereigeschichte schöpfen, bietet die Ausstellung im Zentrum des Rundgangs ein spektakuläres Lichtspiel, das die Aktionen des Kinos zu einer Collage aus optischen Sensationen verdichtet. Im Dunkelraum mit zwölf Großprojektionen ergeben Ausschnitte der wichtigsten Filme eine Zusammenschau der streng geformten Bildkompositionen. Nicht nur verweisen bedeutungsvolle Gesichter in überlangen Nahaufnahmen auf die hochkonzentrierten Freskomaler des Quattrocento, deren bedeutendsten Anreger Giotto Pasolini in seiner Verfilmung des Decamerone selbst dargestellt hat. Auch die artifizielle Bewegung der Massen in kargen biblischen Landschaften oder in Räumen, die an Theaterbühnen erinnern, folgt kunsthistorischen Vorgaben, um die Wirklichkeit in einen zeitlosen Mythos zu überführen. So kehren die Filmbilder, herausgelöst aus den Handlungsträngen, zu ihren musealen Ursprüngen zurück. Pasolinis visuelles Universum scheint still zu stehen, focussiert auf ewige Menscheitsthemen wie Religion, Liebe, Sexualität, Schönheit, Gewalt und Vernichtung. Fixsternen gleich leuchten darin die magischen Titel wie "Mamma Roma", "Das erste Evangelium", "Teorema" und "Medea" auf.

    Der Weg in den kinematographischen Kosmos führt über die Strada, die Straße der Triumphe und Tränen. Die angehäuften Dokumente führen ein wildes Leben vor Augen, das aus lauter Zerreißproben bestand. Der Katholik und Marxist mit homoerotischen Neigungen gab eine ideale Skandalfigur nach dem Geschmack der Boulevardpresse ab. Zahllose Illustriertenseiten schmückt der von Leidenschaft ausgezehrte Römerkopf. Auf dem letzten Foto, das um die Welt ging, liegt die Leiche am Strand von Ostia, als Märtyrer legendenumrankt, seit der mutmaßliche Mörder, ein minderjähriger Strichjunge, sein Geständnis widerrufen hat.

    Im dritten Teil der Münchner Schau entblößt der politische Kämpfer gegen eine entmenschte Profitgesellschaft als Maler und Zeichner sein empfindsames, vor der Öffentlichkeit verborgenes Innenleben. Auf zwei frühen Selbstporträts gibt sich der junge Mann aus dem Friaul als romantischer Träumer zu erkennen, mit einer Blume zwischen den Lippen. Fingermalereien auf durchsichtiger Folie nehmen die transparenten Zelluloid-Bilder der Filmtechnik vorweg. Während der Dreharbeiten für "Medea" hat er die Titelheldin Maria Callas auf Papier gebannt, die fragilen Spuren des Profils wie auf verwitterten Fresken zu fixieren versucht. Die beschwörenden Skizzen an der Grenze zur Auslöschung können auch als poetischer Hinweis auf Pasolinis kommunikatives Todesverständnis gelesen worden. Tot war für ihn nicht der, der sich nicht mehr mitteilen kann, sondern der nicht mehr verstanden wird.