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Passionsfrucht

"Ich war sieben Jahre alt, als ich ein Buch anfing, das von einem Bauernhof handeln sollte. Mit 11 begann ich dann mit einem Freund ein Buch, doch auch das kam nicht über Seite 1 hinaus. Ich fing viele kleine Sachen an, kam aber nie weiter. Lange glaubte ich, ich wäre nicht imstande, einen Roman zu schreiben, weil meine Phantasie nicht ausreichte. Meine Vorliebe galt zudem der amerikanischen und der eher klassischen Literatur wie Dostojewski und so was. Das gab mir immer das Gefühl, man müsse beim Schreiben bescheiden sein, weil man nie so gut schreiben könnte. Zugleich sollte man aber sehr hohe Ansprüche haben und kein Buch schreiben, das nicht gut ist. Das hielt mich eine ganze Weile davon ab, es auszuprobieren. Und das war gut so, denn ich habe mir kürzlich noch einmal einige der Sachen, die ich mit 20 schrieb, durchgelesen und war froh, sie nie an einen Verleger geschickt zu haben."

Johannes Kaiser |
    Der 1962 in Amsterdam geborene Karel van Loon hat sich viel Zeit gelassen mit seinem Romandebüt, sich erst einmal an zwei populärwissenschaftlichen Büchern über Umweltskandale und Gentechnik erprobt, dann einen Band halbfiktiver Geschichten vorgelegt, der auf tatsächlichen Reisen des Journalisten beruht, bevor er sich an 'Passionsfrucht' setzte. Die Warte- oder besser Reifezeit hat sich gelohnt. Als das Buch letztes Jahr in Holland erschien, wurde es nicht nur ein völlig unerwarteter Bestseller mit mehr als 150 000 verkauften Exemplaren, sondern auch noch mit einem renommierten Literaturpreis, dem Generale Bank Prijs ausgezeichnet. Das unverhoffte Glück macht den Autor ganz verlegen. Damit hatte er nicht im Traum gerechnet, daß ihm eine kleine Liebesgeschichte den Jugendtraum erfüllen würde, ein richtiger Romanschriftsteller zu werden:

    "Da Liebe so wunderbar verwickelt ist, lohnt es sich, über sie zu schreiben, auch wenn schon so viel über sie geschrieben wurde, daß es fast lächerlich wirkt, es noch mal zu machen. Zugleich ist die Liebe in diesen Tagen trivialisiert worden. Es gibt so diese Tendenz, der Liebe zynisch gegenüberzutreten. Liebe ist da nur ein Konsumgut, eine Illusion. In kosmopolitischen Zeitschriften spricht man sehr viel darüber, wie Liebe eine Ware geworden ist. Ich glaube, das stimmt nicht, gilt noch nicht einmal für die Leute, die darüber schreiben. Wenn man ganz ehrlich ist, dann ist die Liebe oder deren Fehlen oder das Zerbrechen einer Liebe immer noch die wichtigste Geschichte im eigenen Leben und der ganze Rest ist hohl angesichts der Bedeutung von Liebe. In der Hinsicht bin ich viel eher Romantiker."

    Die Idee zu seinem Buch kam dem 38jährigen Amsterdamer Schriftsteller, als er mit seiner Frau ein Kind machen wollte und es lange Zeit nicht klappte, sich beide untersuchen ließen, sogar überlegten, ein Kind zu adoptieren. Das Kind ist inzwischen da, doch die Idee blieb und wuchs sich zur Geschichte des vermeintlichen Vaters Armin Minderhout aus, der nach langen vergeblichen Versuchen, noch einmal mit seiner zweiten Frau ein Kind zu zeugen, erfährt, daß er aufgrund eines Gendefekt prinzipiell zeugungsunfähig ist. Damit stürzt für ihn eine ganze Welt zusammen. Sein Sohn aus erster Ehe ist nicht sein Sohn. Die Treue seiner vergötterten ersten Frau ein Trugbild. Sie hat ihn betrogen, aber mit wem? Minderhout kann sie nicht mehr fragen, denn sie ist tot. So stürzt er sich verzweifelt in die Suche nach dem wahren Erzeuger:

    "Man idealisiert oft seine erste Liebe und das Problem bei solchen Idealisierungen ist, daß man irgendwo im Hinterkopf weiß, daß es nur ein Idealbild ist, das man selbst entworfen hat, und das heißt, man weiß auch, daß es eine Menge Dinge gibt, die man nicht weiß, denn niemand kann so ideal sein, wie man ihn gemacht hat, und deswegen besteht die größte Furcht darin, diese andere Seite zu entdecken. Und jetzt ist er plötzlich mit diesem anderen Teil von ihr konfrontiert. Er stellt sich gleich die schlimmsten Szenarios vor, fürchtet, ein komplettes Doppelleben zu finden. Alles ist möglich, seit er diesen Schlangentopf geöffnet hat. Am Ende findet er eine Möglichkeit, damit umzugehen. Also in diesem Sinne ist es auch ein Buch über das Älterwerden, weil man, wenn man jung ist, noch diese hohen Ideale hat."

    Bei aller Seelenqual: die Nachforschungen entbehren nicht der Komik, wenn Armin Minderhout vermeintliche Liebhaber des Beischlafs mit seiner Frau zu überführen versucht, ohne sich verraten zu wollen und dabei sogar selbst in Versuchung gerät. Ihn quält zudem, wie er seinem Sohn beibringen soll, daß er nicht der echte Vater ist. Wird sich ihr Verhältnis ändern? Nach dem plötzlichen Tod der Mutter hat ihn nicht zuletzt das Kind davor bewahrt, sich das Leben zu nehmen. Seine zweite Frau, engste Freundin seiner verstorbenen Ehefrau, hilft ihm, erst mit dem Verlust und dann der verlorenen Vaterschaft klarzukommen.

    "Sie ist jemand, der viel besser für ihn ist, geeigneter als Partnerin, als Ehefrau als seine idealisierte erste Liebe. Es fällt ihm sehr schwer, das zu sehen, denn man glaubt, die erste Liebe war die beste Liebe, die man jemals hatte, auch wenn man eigentlich weiß, daß das nicht stimmt. Es gibt ständig diesen Konflikt, daß man denkt, die zweite Liebe sei weniger intensiv. Aber das stimmt nicht, es ist eine Liebe, die unbeschwerter ist, auf ihre Art reifer, oftmals besser und tiefer. Nur ist es schwerer, den Wert einer solchen Liebe zu begreifen als den einer extrem dramatischen Liebe."

    Insofern ist Karel van Loons Buch ein klassischer Entwicklungsroman. Der verwirrte, kopflose, bisweilen unfreiwillig komische Held verliert bei der Suche nach dem tatsächlichen Vater seine Illusionen über die Liebe, wird erwachsen. Das könnte nun so klingen, als würde seitenlang in romantischen Gefühlen geschwelgt, doch das Gegenteil ist der Fall. Karel van Loon schreibt ohne Schnörkel und Verzierungen, gerade drauf los. Sein Roman wälzt die Probleme nicht quälerisch-wortreich vor allen Seiten hin und her. Er kommt rasch zur Sache, erzählt stringent und amüsant und ist darum auch nur knappe 238 Seiten lang. Der Autor, der sich keineswegs für einen typischen Vertreter der holländischen Literatur hält, sieht sich darin allerdings in bester niederländischer Tradition:

    "Ich habe gerade mit meiner griechischen Übersetzerin gesprochen und die sagte: 'Als ich dein Buch gelesen habe, war es für mich so unglaublich holländisch, weil es da immer diese Direktheit gibt. Die Leute sagen sich die Wahrheit ohne jede Einleitung. Sie schmeißen sie sich einfach an den Kopf.' Die Holländer sind wirklich so. Darum finden eine Menge Leute aus anderen Ländern, daß wir entweder sehr arrogant sind oder sehr schlechte Manieren haben. Ihnen kommt es unverblümt und grob vor, wenn man miteinander so offen ist, aber so sind wir oder so hat sich unsere Gesellschaft entwickelt."