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Passionsspiele Oberammergau 2020
Bayerischer Bartbefehl

Die männlichen Darsteller der Passionsspiele von Oberammergau 2020 dürfen sich seit Aschermittwoch dieses Jahres nicht mehr rasieren. In der Bibel steht davon nichts, doch die Tradition des Bartbefehls ist mächtig.

Von Regina Steffens |
Der Laiendarsteller Martin Norz (M.) spricht bei der Fotoprobe zu den Passionsspielen in Oberammergau in seiner Rolle als Jesus beim Abendmahl neben seinen Jüngern.
Aussehen wie Jesus und seine Zeitgenossen: die Oberammergauer lassen für die Passionsspiele Haare und Bärte wachsen (picture-alliance / dpa - Frank Mächler)
"Was wünschen Sie sich denn? 15 Uhr?"
Ein Dienstagmorgen im Friseursalon Kretschmar in Oberammergau. Es herrscht mäßiger Betrieb. Der letzte große Ansturm ist gut einen Monat her. Seitdem gilt der Haar- und Bart-Erlass: Die rund 2.400 Darsteller des Passionsspiels lassen Haar und Bärte wachsen. Bedeutet das weniger Kunden? Christina Daisenberger und ihr Team stellen sich darauf ein.
"Also ich glaube, da werden wir es schon merken, dass viel weniger Kinder kommen. Das ist ja nicht so dramatisch, ich glaub an den Kindern merkt man’s dann schon, dass was wegbricht", meint die 32-Jährige.
Wer heute in den Salon Kretschmar gekommen ist, hat keine Rolle in der Passion oder darf nicht mitspielen, weil er in einem anderen Ort lebt. Diese Kunden sichern das Einkommen von Daisenberger. Genauso das Extraangebot des Salons: Nagel- und Fußpflege sowie Kosmetik.
Friseure sorgen vor
Daisenbergers Großeltern hatten es da schwerer mit dem Haar- und Bart-Erlass. In den 50ern leiteten sie den Friseurladen, erzählt die Enkelin.
Hausfront des Friseursalons Kretschmar in Oberammergau
Die Friseursalons in Oberammergau stellen sich auf die Passionsspiele ein (Deutschlandradio/ Regina Steffens )
"Die Frisurenmode damals, zur Zeit von meinen Großeltern, da war das ganz normal, dass man zwei-, dreimal in der Woche zum Friseur gegangen ist zum Frisieren, zum Nachschneiden, zum Kämmen, zum Ausrasieren bei den Damen. Und meine Großeltern, das weiß ich schon noch, die haben sich schon immer Gedanken gemacht, unter dem Jahr ein Polster geschaffen für die Passionszeit."
Ein Polster anlegen - das müssen sie heute nicht mehr. Aber immer noch vorausschauend planen: Die Zeit mit weniger Kunden wollen sie nutzen und einen neuen Boden im Salon verlegen.
Offizieller Haar- und Bart-Erlass
Der Haar- und Bart-Erlass ist in Oberammergau schwarz auf weiß festgehalten. An einer Holztür im Foyer des Passionstheaters ist er auf ein großes, weißes Poster gedruckt.
Der Haar- und Barterlass an einer Holztür im Foyer des Passionstheaters. gedruckt auf ein großes, weißes Poster
Der Haar- und Barterlass 2020 (Deutschlandradio/ Regina Steffens)
Franziska Zankl vom Presseteam zeigt auf den unteren Rand: Schwungvolle Unterschriften vom Bürgermeister und vom Spielleiter Christian Stückl.
"Es ist so eine gewachsene Tradition, sag ich mal. Der Herr Stückl hat das mal nachgeforscht, ich glaube das war in den 1900er-Jahren, da wurden noch Bärte angeklebt. Aber jetzt ist es Tradition, dass man sich als Startschuss, das komplette Dorf gemeinsam jetzt die Haare wachsen lässt", sagt Zankl.
Eine Gemeinschaftsaktion - als Pflicht. Für Männer, Frauen, Kinder. Erstmals gilt es auch für die Chorsänger. Regisseur Christian Stückl macht für sich eine Ausnahme.
Durch das lange Haar sollen die Akteure wie Jesus und seine Weggefährten vor 2000 Jahren wirken - authentisch eben und professionell. Das Neue Testament gibt zwar keinen Bart-Befehl, vermutlich ist der Haarbewuchs deshalb nicht der Rede wert, weil er so selbstverständlich war.
Echte Haare für professionelles Theater
Das Passionsspiel ist kein Provinz-Theater, sondern ein Festival für 30 Millionen Euro. Da bleibt man streng, auch mit mehr als nur dem Haar, sagt Franziska Zankl.
"Piercings und Tattoos werden nicht so gerne gesehen. Wobei bei den Tattoos - inzwischen kann man sie ja auch überschminken bis zu einem gewissen Teil. Aber Jesus mit einem Tattoo am Kreuz, das ist nicht möglich."
Und auch kein Jesus mit blonden Strähnen oder Apostel mit Anklebe-Bärten wie Weihnachtsmänner.
"Ja mei, find ich schon okay"
Janina Nowotka ist die Chefin von Haarvanna Cut, ein zweiter Salon im Dorf.
"Die Frauen lassen sich trotzdem die Spitzen schneiden, es wird trotzdem Haare gefärbt und gesträhnt und viele, die schon lange Haare haben, kommen zum Nachschneiden", sagt Janina Nowotka.
Dafür sitzt gerade eine Kundin vor dem Frisierspiegel. Das nasse, glatt gekämmte Haar hängt ihr vor den Augen. Sie spielt bei der Passion im Volk mit.
"Ja mei, find ich schon okay, wenn man sich nur noch die Spitzen schneiden darf. Soll ja aussehen wie früher, von dem her ist das schon okay."
Es wird heimlich weiter geschnitten
Während sie das sagt, schneidet eine Mitarbeiterin blonde Strähnen an ihrem Hinterkopf ab.
Rollenverteilung für die Passionsspiele 2020 in Oberammergau: Lena Rödel schreibt die Namen der Darsteller auf eine Tafel, Spielleiter Christian Stückl sagt ihr die Namen an. 
Spielleiter Christian Stückl (rechts) gibt die Rollenverteilung für die Passionsspiele 2020 bekannt (picture alliance / Angelika Warmuth )
Auch beim Färben sind die Friseurinnen flexibel. Auf grelle Farben wie Pink oder Rot müsse man verzichten, aber solange es natürlich aussähe, wird weiter getönt, gesträhnt und gefärbt.
Janina Nowotka und ihr Team profitieren auch von der ‚Eitelkeit‘ ihrer Kunden.
"Als Steuerberater kannst du nicht als Schludi rumrennen"
"Weil ja jeder irgendwie ordentlich rumlaufen will", sagt Janina Nowotka. "Und von dem her glaube ich, der ganz Wilde, der einfach wuchern lässt und den Bart wachsen lässt, davon gibt’s halt nicht mehr so viele wie’s früher gab. Also ich glaube, alle die, die früher hier im Ort waren, haben halt wirklich Bart wachsen lassen. Und heute, mei, wenn du in München arbeitest oder als Steuerberater, kannst du nicht als Schludi rumrennen, denk ich mir."
Weniger Schnitte, dafür mehr Pflege und Beratung - so halten sich die Friseursalons die nächsten anderthalb Jahre über Wasser.
Zur Hilfe kommen ihnen auch Jesus’ Antagonisten: die Römer. Sie treten im Passionsspiel mit kurzrasiertem Haar auf - vom Erlass sind sie befreit. Die Rollen sind begehrt, weiß Christina Daisenberger vom Salon Kretschmar.
"Wenn jetzt halt einer kimmt, und lasst sich seine Haare komplett kurz schneiden, dann fragt man schon: ‚Hä was machst denn du? Bist du Römer, oder wo bist denn dabei?´ Jeder, der Römer ist oder hinter der Bühne arbeitet, kommt rein und freut sich."
Ansturm nach dem letzten Auftritt
Christina Daisenberger freut sich, wenn der Erlass nächstes Jahr im Herbst wieder aufgehoben wird. Sie weiß noch, wie es 2010, bei der letzten Passion, war.
"Wo der letzte Auftritt dann vorbei war, sind die zu uns gekommen. Das war dann von zehn bis halb viere in der Früh. Das war total verrückt, das war total schee, lustig, war richtig tolle Stimmung."
Und richtig tolle Stimmung ist dann auch, weil sie wieder zehn Jahre normale Arbeit haben - bis zum nächsten Haar- und Bart-Erlass.