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Patchwork-Jobber

In unsicheren Zeiten ist eine feste Stelle fast unbezahlbar. Da kommt es eher selten vor, dass jemand kündigt, nur um etwas neues auszuprobieren oder einfach zufriedener zu sein. Erst recht nicht, wenn er kleine Kinder hat. Management-Trainer Bert Erlen hat es trotzdem gewagt. Und bis jetzt noch nicht bereut.

Von Sandra Doedter | 29.12.2005
    "Das ist indisches Linsencurry, da kommen hinterher noch karamellisierte Erdnüsse drüber beim Servieren. Hier ist Hirtensuppe, also: Käse-Lauch-Suppe mit Hackfleisch und dahinten ist noch Erbsencreme in einem anderen Topf. Die musste ich auslagern, weil mich der Brenner heute verlassen hat."

    Seit sieben Uhr steht Bert Erlen in einer Kölner Großküche. Hat in riesigen Suppentöpfen Erbsen und Linsen gekocht, Zwiebeln und Hackfleisch angebraten. Jetzt, um elf, ist es höchste Zeit aufzubrechen. Also rein mit den Bottichen in den Wagen - und ab nach Düsseldorf.

    Bert Erlen hat eine mobile Suppenbar - den "Suppentag". Jeden Dienstag steht er mittags mit seinem Wagen in einem Düsseldorfer Büroviertel. Koch ist Bert Erlen nicht. Bis vor wenigen Monaten hat er jeden Tag in einem komfortablen Büro gesessen. Fest angestellt. Mit gutem Gehalt.

    "Ich hab eigentlich eine klassische betriebswirtschaftliche Ausbildung und bin dann eingestiegen bei einer Business-School. Also: Weiterbildung für Manager. Und habe die Seminare organisiert, sehr lange, dreiwöchige Seminare. Und dann bin ich da hineingewachsen, hab dann auch inhaltlich die Seminare gemacht. Das habe ich fünf Jahre gemacht, und dann war ich noch ein Jahr in einem Unternehmen, quasi die andere Seite. Corporate University nennt man das, eine Weiterbildungseinrichtung in einem Unternehmen. Das ist so das, was ich gemacht habe."

    Seine Themen: alles, was mit Zahlen zu tun hat. Kostenrechnung und Buchführung, Investitionsplanung und wertorientierte Unternehmensführung. Zahlen mag er nach wie vor. Seine feste Stelle hat er aus anderen Gründen gekündigt.

    "In erster Linie war es, dass ich mich so unflexibel gefühlt habe. Und dass ich den Bürojob so uniform fand. Das war immer gleich, da passierte nichts. Da hatte ich nicht mehr so eine Lust drauf. Aber eigentlich wollte ich mehr Zeit für die Familie haben."

    Auf der Suche nach einer Alternative landete er bei einem Freund, der mit einer mobilen Suppenbar durch die Schweiz fuhr. Und siehe da: Der Freund wollte den Wagen verkaufen. Überhaupt: Der Wagen. Ein Hingucker, der Citroen HY. Ein Oldtimer aus Wellblech, 30 Jahre alt, ohne Heizung. Bert Erlen hat den Wagen schon umgebaut gekauft, mit ausklappbarer Theke und einem Gasbrenner, der das Wasserbad für die Suppe erhitzt. Fehlte nur noch der organisatorische Teil der Unternehmensgründung.

    "Ich brauchte zunächst einen Gewerbeschein. Der heißt bei mir Reisegewerbeschein, weil ich ja rum fahre. Da brauchte ich ein polizeiliches Führungszeugnis, was vom Finanzamt, zum Beispiel auch eine Belehrung vom Gesundheitsamt, wie ich mit der Hygiene umgehen muss. Das habe ich gemacht, während ich noch angestellt tätig war, und das musste ich dann schon zeitlich auf die Reihe kriegen. Und das hat dann schon ein paar Wochen gedauert."

    "Guten Appetit, bis nächste Woche. Ich nehme das Linsencurry. Oh, eine Stammkundin!"

    Den Suppentag mit dem brummenden Gasbrenner gibt’s aber nicht nur auf diesem zugigen Platz in Düsseldorf. Bert Erlen kommt auch direkt vors Standesamt gefahren, zu Geburtstagen nach Hause oder zu Firmenevents. Zum Beispiel, wenn ein Bürogebäude eingeweiht wird. Auch am Kochtopf kann er sein Wissen aus der Betriebswirtschaft anwenden.

    "Ich weiß natürlich aus der Theorie, wie man ein Unternehmen führt, also, was da so wichtig ist. Ich muss einen Businessplan machen, den hab ich natürlich auch gemacht. Ich muss mir Marketing überlegen, wie will ich das machen, wie soll die Konzeption aussehen. Das sind bei so einem kleinen Wagen natürlich große Worte, aber das ist natürlich auch so. Und wie ist die Preisgestaltung, welche Qualität soll die Suppe haben, wie will ich das kommunizieren.

    Ganz ohne Unterstützung musste er den Sprung in die Selbstständigkeit aber nicht wagen: Von der Bundesagentur für Arbeit bekommt er Starthilfe für Existenzgründer: Für ein halbes Jahr ungefähr sein letztes Netto-Gehalt. Weil aber auch danach der Schornstein rauchen soll und die Suppe das noch nicht hergibt, bleibt Bert Erlen freiberuflich in der Unternehmensberatung.

    "Also, ich glaube da schon dran hier, aber ich arbeite schon in meinem alten Beruf weiter. Das heißt, ich werde als Referent gebucht, bin unterwegs für verschiedene Auftraggeber, und mache da meine Seminare, und berate Unternehmen in der Management-Entwicklung, also in der Führungskräfteweiterbildung und organisiere auch Seminare für Unternehmen. Die Suppe und das Seminargeschäft jongliere ich so ein bisschen, wie es halt kommt.

    Und die Bilanz nach den ersten Monaten?

    "Bei dem, was war, hatte ich meine Sicherheit im Job und wusste, dass ich da meine Kompetenzen habe und dass mir da nicht so schrecklich viel passieren konnte. Aber ich war eben auch nicht so richtig glücklich. Und hier kann ich nett mit den Leuten plaudern und bin hier körperlich aktiv, das ist ein viel besserer Ausgleich. Und das hat insgesamt unserer Familie sehr gut getan."