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Patienten hinterm Steuer

Ein epileptischer Anfall oder ein Herzinfarkt hinterm Steuer, solche Fälle können Menschen das Leben kosten. Mit welchen Gesundheitsrisiken sollte man Patienten als fahruntauglich einstufen? Mitglieder der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft haben dem Deutschen Verkehrsgerichtstag nun ein Positionspapier vorgelegt.

Von Michael Engel |
    Wenn ein Patient nicht mehr Auto fahren darf, zum Beispiel wegen einer epileptischen Erkrankung, dann muss ihn der Arzt darüber aufklären. Der Hinweis sollte unbedingt in der Patientenakte vermerkt sein, sagt Dr. Karsten Scholz. Als Grund nennt der Justitiar der Ärztekammer Niedersachsen mögliche Schadenersatzforderungen, sollte der Patient dennoch fahren und dabei einen Unfall verursachen.

    "Es kann sein, dass Angehörige dann auf die Idee kommen, den Arzt zu verklagen, weil er eben seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Und das kann im Einzelfall natürlich schon dazu führen, dass es auch Schadenersatzansprüche gegen den Arzt gibt, der eine solche Aufklärung nicht gemacht hat."

    Mediziner müssen allerdings nicht die Polizei informieren, sollte sich der fahruntaugliche Patient ans Steuer setzen. Hier gilt – so Karsten Scholz – die ärztliche Schweigepflicht.

    "Der Arzt hat keine Polizeifunktion. Er muss den Patienten nicht überprüfen, was der macht. Die Schweigepflicht, um die es ja hier auch geht, hat natürlich auch den Hintergrund, dass sich der Patient überhaupt erst mal dem Arzt offenbart. Und das Entscheidende ist ja, dass der Arzt zunächst mal der Berater des Patienten ist und ihm Hilfestellung gibt und sagt: Sie müssen jetzt mal eine Zeit aussetzen und wenn Sie keinen Anfall wieder haben, dann ist es wieder anders. Aber sicher ist der Arzt auch auf die Informationen des Patienten angewiesen, und muss natürlich auch die entscheidenden Fragen stellen."

    Trotzdem kann es Situationen geben, in denen die Schweigepflicht nicht mehr gilt. Das jedenfalls stellte der Bundesgerichtshof in einem Urteil schon im Jahre 1968 fest. Wann jedoch der "übergeordnete Notstand" herrscht, wie lange das Fahrverbot gelten soll, bei welchen Krankheiten, das blieb bislang eher dem "Bauchgefühl" des Arztes überlassen. Deswegen entwickelten Mitglieder der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft ein "Positionspapier für den Deutschen Verkehrsgerichtstag. Prof. Hermann Klein vom Klinikum Idar-Oberstein.

    "Das wäre zum Beispiel gegeben, wenn ich einen Patienten habe, der jeden Tag bewusstlos wird, zum Beispiel bei einer Herzerkrankung, Aortenstenose, Verengung einer Herzklappe, und der mir mitteilt, dass er am nächsten Tag zum Beispiel eine Schulklasse mit dem Bus nach Italien fahren würde. Das ist etwas, was man dann verhindern muss. Weil das wirklich zu gefährlich ist. Und wenn der Patient das nicht einsehen würde, dass man das Gefühl hat, dass der sich darüber hinweg setzt, muss man die Polizei informieren. Das ist des Ergebnis unserer Arbeitstagung, Goslarer Verkehrsgerichtstag. Jetzt im Januar ist das genau so festgelegt worden."

    Doch wann genau und wie lange darf ein Patient nicht mehr Auto fahren? Die sogenannten "Begutachtungsleitlinien" der Bundesanstalt für Straßenwesen waren da nicht sehr präzise, meint Prof. Hermann Klein. Aus den bisherigen Regelungen für Patienten mit Herzschrittmachern entwickelte die Arbeitsgruppe eine mathematisch präzise Formel: Demnach darf ein Patient mit einem Unfallrisiko höher als 1: 20.000 nicht mehr Auto fahren. 1:20.000 bedeutet: einer von 20.000 Patienten mit genau derselben Krankheit macht pro Jahr einen medizinisch bedingten Unfall. Neben der Schwere der Krankheit spielt hier aber auch die Fahrzeit eine Rolle.

    "Der Berufsfahrer hat üblicherweise einen Acht-Stunden-Tag. Das heißt also, der Berufsfahrer verbringt ungefähr 25 Prozent seiner Zeit am Steuer. Während hingegen der Privatfahrer ungefähr vier Prozent seiner Zeit am Steuer verbringt. Das muss man bei der Risikokalkulation berücksichtigen."

    Nach dieser "Risikokalkulation" dürfte ein Patient, der zum Beispiel einen Defibrillator bekommen hat, schon eine Woche nach dem Eingriff wieder Auto fahren. Der Vielfahrer im LKW indes dürfte erst drei Monate nach dem Eingriff wieder ans Lenkrad, wenn das postoperative Komplikationsrisiko noch weiter gesunken ist. Erst dann wäre das Unfallrisiko von 1:20.000 beim Berufskraftfahrer unterschritten. Zum Vergleich: Bei einem 18-Jährigen Fahranfänger, der völlig gesund ist, beträgt das Risiko für einen schweren Unfall eins zu Tausend: Das ist 20 mal höher. Das "Positionspapier" der Kardiologen listet eine ganze Reihe von Krankheiten auf, die mit Blick auf das Unfallrisiko nun also auch berechenbar geworden sind und in die "Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung" eingearbeitet werden sollen. Als Hilfestellung auch für Ärzte.