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Patriotismus als "Putins Plan"

Patriotismus wird in Russland derzeit großgeschrieben, kurz vor der Wahl zur Duma, dem Parlament. Dabei schwingen nicht selten auch durchaus offensive, aggressive, bis ins Nationalistische reichende Töne mit. Schon seit geraumer Zeit beschwören Putin und seine Anhänger zudem ein altes Trauma: die Einkreisung und Bedrohung Russlands durch äußere Feinde und durch eine Fünfte Kolonne im Inneren. Robert Baag berichtet.

30.11.2007
    "Großes Russland! Vom heißen Süden bis in den Hohen Norden - ein Land, das Du immer neu entdeckst. Liebe es von ganzem Herzen! Sei stolz auf Deine Heimat. Sei der Hausherr Deines Landes. Unser Boden - das ist unsere Seele. - Fonds 'Nördliche Weite', offizieller Sponsor der russischen Fußball-Nationalmannschaft!"

    Patriotismus ist angesagt in Russland in diesen Wochen und Tagen kurz vor der Wahl zur Duma, dem Parlament. Aber nicht nur ausländischen Beobachtern fällt auf, dass sich dieser offiziell beförderte Patriotismus nicht nur zwischen den Zeilen, sondern auch durchaus offensive, aggressive, bis ins ausgrenzend Nationalistische einschwenkende Töne leistet. Erst vor kurzem machte Präsident Putin höchstpersönlich, offiziell der parteilose Spitzenkandidat von "Jedinnaja Rossija" - der Partei "Geeintes Russland" vor seinen Anhängern deutlich, wem Russlands Wohlergehen vermeintlich ein Dorn im Auge ist:

    "Diejenigen, die sich gegen uns und unsere Projekte stellen, die brauchen einen schwachen, kranken Staat. Die brauchen eine desorganisierte, desorientierte und zersplitterte Gesellschaft. Und leider gibt es in unserem Land immer noch welche, die wie die Schakale um ausländische Botschaften herumschleichen, und auf die Hilfe ausländischer Stiftungen und Regierungen hoffen anstatt auf die Unterstützung ihres eigenen Volkes!"

    Russische Liberale als Marionetten dunkler westlicher Kräfte. - Schon seit geraumer Zeit beschwört Putins Mannschaft ein altes tief sitzendes Trauma: Die Einkreisung und Bedrohung Russlands durch äußere Feinde und durch eine Fünfte Kolonne im Inneren. Aber - und das ist die aktuelle Botschaft - Russland weiß sich wieder zu wehren. Und: Bewirkt hat das kein anderer als der Präsident. Über das Jahr verteilt transportiert die Kreml-Regie über das Fernsehen regelmäßige Auftritte Putins bei den Streitkräften - so wie hier Mitte August, als er Russlands strategischen Bombern wieder aufzusteigen befahl:

    "Andere Staaten haben ihre Flugzeuge immer fliegen lassen. Das schafft gewisse Sicherheits-Probleme für die Russische Föderation. Deswegen habe ich entschieden, die Flüge unserer strategischen Luftflotte wieder aufnehmen zu lassen. Von heute an werden sich stets insgesamt 20 Flugzeuge in dauernder Kampfbereitschaft befinden!"

    Dass viele Menschen in Russland inzwischen diese Art von Machtdemonstration nicht nur akzeptieren, sondern sogar ausdrücklich begrüßen, steht für den Politologen Leonid Radzichovskij außer Zweifel:

    "Die Gesellschaft ist von oben bis unten von dieser Ideologie genauso infiziert wie die Macht!"

    Zu dieser neuen, staatlich orchestrierten Selbstgewissheit gehört auch ein erneuertes Geschichtsverständnis. Und wieder war es Putin, der vor einem halben Jahr den Geschichtslehrern die Marschroute vorgab, an der sich die Jugend künftig orientieren sollte. Dem Volk brachte es das Fernsehen nahe, das den Auftritt mitfilmte:

    "Problematische Seiten in unserer Geschichte? - Ja, die hat es gegeben. So wie in jedem anderen Land. Aber wir hatten weniger als manche andere. Und sie waren nicht so furchtbar wie bei anderen. Sicher, bei uns gab es den Terror von 1937. Aber in deren Ländern war das noch viel schlimmer. Wir jedenfalls haben keine Atomwaffen gegen Zivilisten eingesetzt oder tausende Kilometer mit Chemiewaffen überschüttet. Bei uns gab's keinen Nationalsozialismus. Wir dürfen nicht zulassen, dass man uns irgendein Schuldgefühl aufdrängt. Die sollen vor ihrer eigenen Tür kehren!"

    Ganz anders hingegen Dmitrij Muratov, der Chefredakteur der oppositionellen "Novaja Gazeta", jener Zeitung, bei der die ermordete Anna Politkovskaja gearbeitet hat:

    "Kein einziger Tschekist, NKWD- oder KGB-Mann, hat sich je für die Millionen Erschossenen verantworten müssen. Solange wir sagen werden, dass unsere Geschichte nur aus Ruhmesblättern besteht, kommt es bei uns zu keinem 'Nürnberger Prozess'. - So einen großen, historischen Prozess aber brauchen wir, wo die ganzen Jahre der Stalin'schen Unterdrückungen endlich umfassend ans Tageslicht kommen müssen!"

    Doch auch Muratov ist klar, dass es für solch ein Vorhaben kurz- bis mittelfristig keine Chance gibt. Nicht zuletzt, deshalb, weil Wahlkampf herrscht. Vor allem aber, weil viele Funktionsträger innerhalb der aktuellen Machtstrukturen und auch der Präsident selbst ihre Berufslaufbahnen noch in eben dieser stalinistisch geprägten Geheimpolizei, dem KGB, begonnen haben.