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Patriotismus in der Ziegenzucht

Die Mittelmeerinsel Korsika ist fast komplett von Lebensmittellieferungen abhängig. Ackerflächen liegen großteils brach, ihre Bewirtschaftung ist oft mühsam und den Landwirten fehlt der Nachwuchs. Die Korsika-Stiftung, die der bekannteste Musiker der Insel, Jean-François Bernardini, gegründet hat, setzt sich für mehr Unabhängigkeit ein.

Von Dina Netz und Friederike Schulz |
    Jean-François Bernardini beugt sich über den Zaun, krault einer Ziege die Ohren und spricht leise mit dem Tier – selbstverständlich auf Korsisch. Dem zierlichen Mann mit dem schütteren braunen Haar ist die Begeisterung für sein neues Projekt anzumerken.

    Gerade erst ist Bernardini von einem Konzert aus Paris zurückgekehrt. In ganz Europa füllt der Musiker die großen Konzertsäle mit seiner Band "I Muvrini", die sich dem polyphonen korsischen Gesang verschrieben hat. Nun steht er am frühen Morgen auf einer einsamen Ziegenweide in den korsischen Bergen. Hier ist er zuhause, hier fährt er unermüdlich über unbefestigte Bergstraßen, um mit seiner "Korsika-Stiftung" Umweltschutzinitiativen und Kulturprojekte zu unterstützen.

    "Heute bin ich für unser Programm 'Terranea' hier, mit dem wir die korsischen Ziegenzüchter unterstützen. Das ist ein Berufszweig, der seit einigen Jahren in großen Schwierigkeiten steckt. 1995 gab es 200.000 korsische Ziegen, heute sind es noch 35.000. Es gibt immer weniger Landwirtschaft auf Korsika. Zudem wird diese Ziegen-Rasse durch eine Krankheit, die Paratuberkulose, bedroht. Dagegen wollen wir etwas unternehmen. Deswegen bin ich heute hier, um eine Patenschaft für die Aufzucht der korsischen Ziege zu übernehmen."

    Genau genommen gibt es die korsische Ziege allerdings noch nicht lange. Sie ist erst vor wenigen Jahren als eigene Rasse anerkannt worden. Die Ziege hat ein seidiges Fell und im Vergleich zu anderen Rassen längere Beine. Als Futter genügen ihr die dornigen Sträucher der korsischen Berge –diese Ziegen haben sich perfekt an die Gegebenheiten der Insel angepasst.

    Bernardini streicht der Ziege noch einmal über den Kopf und wendet sich dann wieder seinen Begleitern zu – zwei Vertretern der korsischen Regionaldirektion und Dominique Quetel vom Züchterverband. Sie hat die Zuchtstation im vergangenen Jahr aufgebaut. Die Idee: Jeder der etwa 250 Züchter auf der Insel stiftet einige Tiere für eine Herde. Sie sollen ausschließlich der Zucht dienen. Damit wolle man den Genpool vergrößern und langfristig das Überleben der Rasse sichern, so Dominique Quetel. Dafür reicht es allerdings nicht, die Ziegenzüchter an ihren korsischen Patriotismus zu erinnern:

    "Wir haben die Züchter gebeten, eins oder zwei ihrer Zicklein zu stiften. Doch dabei haben wir gemerkt, dass sie schon Schwierigkeiten haben, für ihre eigene Zucht zwei oder drei Tiere zu behalten. Uns obendrein noch Zicklein zu geben – ist für sie ein großes Opfer, weil sie die Ziegen sonst schlachten und dafür Geld bekommen würden. Deswegen sind wir auf die Korsika-Stiftung zugegangen und haben sie um Unterstützung gebeten. Nun kauft die Stiftung den Züchtern die Tiere ab. So entstehen den Züchtern keine finanziellen Verluste."

    Dominique Quetel und Jean-François Bernardini besprechen die Details des Vertrags. Die Stiftung stellt 30.000 Euro für die Entschädigung der Züchter und die Tierarztkosten zur Verfügung. Im Gegenzug bezahlt der Verband einen Hirten. Die Landwirtschaft sorgt auf Korsika gerade noch für drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes – die Insel ist zu 90 Prozent von Lebensmittellieferungen abhängig.

    Bevor es zur Unterzeichnung des Vertrags kommt, geht Jean-François Bernardini noch in den Stall, wo die Zicklein gefüttert werden. Doch so sehr sich der Sänger auch bemüht, die Tiere sind scheu und wollen sich einfach nicht streicheln lassen. Bernardini zuckt mit den Schultern, wendet sich zur Tür. Gleich muss er wieder ins Auto steigen, um gegen Mittag an der Küste in Bastia zu sein. Dort wartet das nächste Projekt. Die Stiftung will einen Esskastanien-Hain nutzbar machen, der zugewuchert ist. Noch ein, wenn auch winziger, Schritt auf dem Weg zu mehr wirtschaftlicher Autonomie:

    "Statt wie viele Korsen von der Unabhängigkeit zu schwärmen, rede ich über die Abhängigkeit unserer Insel. Korsika ist abhängig: moralisch, intellektuell, wirtschaftlich. Die Insel wird mit Lebensmitten vom Festland ernährt. Sehen Sie sich um: Die Natur ist unglaublich fruchtbar: Warum zum Teufel muss Korsika sein Obst, sein Gemüse und zwei Millionen Liter Milch pro Jahr importieren? Statt von der Unabhängigkeit zu schwafeln, rede ich lieber über konkrete Abhängigkeiten."

    Programmhinweis:
    Mehr Geschichten über "die Insel der Schönheit" erfahren Sie in der Sendung "Gesichter Europas" am 18.08.2012 um 11.05 Uhr im Deutschlandfunk. Das Thema: Separatismus war gestern Korsikas Suche nach einer neuen Identität (DLF)