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Patron der Reisenden

Der "Martinstag" samt Singen und Süßigkeiten bezieht sich auf den "Heiligen Martin von Tours". Er lebt im vierten Jahrhundert. Der römische Soldat Martinus, später Abt und Bischof, teilt seinen Militärmantel mit einem Bettler. Er ist Kirchenpatron der Armen und auch der Schutzheilige der "Reisenden und Pilger". Somit ist er auch der Beschützer der "Sonntagsspaziergänger".

Von Franz Nussbaum | 11.11.2012
    Und dieser Bischof Martin ist am 08. November 397, also vor 1615 Jahren, in Candes-Saintes-Martin an der Loire gestorben. Und Franz Nussbaum will nun die religiösen Vernetzungen und die Spur dieses Martin aufnehmen und erwartet uns an der Loire zum "Martins"-Spaziergang auf der Suche nach dem wohl populärsten Heiligen des Fränkischen Reiches, zu dem ja auch (das heutige) Deutschland gehörte.

    Candes ist ein kleines, hübsches Örtchen an der Loire. Es wird auch Candes-Saintes-Martin ausgeschildert und verdient nicht schlecht am Martin-Tourismus. Und hier treffe ich auf eine deutsche Fahrrad-Gruppe. Die sitzt untätig und stinksauer auf einem Mäuerchen. Sie haben zum zweiten Mal an diesem Tag einen Platten und warten nun darauf, dass es repariert wird. Und in diesem deutschen Stimmungstief schlägt einer von diesen Radlern vor, man solle vielleicht doch dem Heiligen Martin drüben in seiner Kirche, wo er ja gestorben ist, da solle man ihm doch eine Kerze mit einer Fürbitte gegen platt gefahrene Reifen stiften.
    Da klingelt es gewissermaßen bei mir. Richtig, Martin von Tours, der Schutzheilige der Reisenden. Seinetwegen sind doch die deutschen Jakobspilger vor eintausend Jahren einen Umweg von mehreren Tagen getippelt, nur um speziell an seinem Grab im nahen Tours eine besondere himmlische Fürbitte zu günstigen Konditionen zu erflehen. Und wir lesen

    "Für die Wallfahrer von früher gab es nur eine Route in der Vielzahl der Pilgerwege. Tours war damals ein Brennpunkt. Hier galt es das Grab des heiligen Martin zu besuchen, des großen Frankenheiligen, der höchste Verehrung genoss und deshalb Scharen von Wallfahrern anzog. Auch als das Jakobusgrab von Santiago de Compostela überhaupt noch nicht bekannt war, da war Tours schon ein Lourdes des Fränkischen Reiches. Und deswegen findet man Martinskirchen besonders häufig als Stationen an wichtigen Handelswegen."

    Und vielleicht ist ja auch deshalb der berühmte Mantelteiler Martin ein Nothelfer auch für Fahrradmäntel. Und um meine Martinskenntnisse etwas aufzufrischen, frage ich hier am Loire-Ufer einen deutschen Steppke, der mit seinen Eltern hier unterwegs ist, den ungefähr sechsjährigen Tom. Was weißt Du denn von dem?

    "Tom: "Ich weiß, dass der ganz lieb war und dass der ein Soldat war bei den Römern."

    Nussbaum: "Der war ein Soldat?"

    Tom: "Weil der Vater, der war auch so ein Soldat bei den Römern."

    Nussbaum: "Woher kennst Du die Römer?"

    Tom: "Ja ich kenn die von Obelix und Asterix. Ja der Asterix ist so klein und der Obelix ist so dick."

    Nussbaum: "Der Martin hat einen Bettler getroffen ..."
    Tom: "Der hat Martin gefragt, lieber Martin, kannst Du mir bitte ein Stück von dem Mantel geben, mir ist nämlich sehr kalt. Und der hat einfach gesehen, der ist ein armer Mann, hat der ein Stück von seinem Mantel abgeschnitten."

    Nussbaum: "Wieso ist denn das überhaupt bekannt geworden? Hat da einer damals ein Handy-Foto gemacht oder wie?"
    Tom: "Nein, es war bekannt geworden, dass der Martin ganz lieb ist. Und das haben welche erfunden, dass es Martin auch an so einem bestimmten Tag auch zum Feiern gibt."

    Nussbaum: "Gibts bei euch in der Schule auch arme Kinder?"

    Tom: "Ja, zwei."
    Nussbaum: "Und woran sieht man das?"
    Tom: "Dass die aus Afrika ..., also einem ganz schlimmen Land, wo ganz viel Panzer sind, also wo so Krieg ist.""

    ... und so schließt sich der Kreis im großen Weltbild vom kleinen Tom. Da wo Krieg ist, ist Armut. Und wenn ein Krieger ganz lieb ist, wie der Offizier Martin, dann erfindet man einen Tag, wo man den Gutmenschen auch feiern kann. Der Stoff seines Mantels, ein Stoff, aus dem Legenden entstehen. Und auch unsere heutigen Zeiten sprudeln täglich über von Legenden über legendäre Tour de France Sieger, über Politiker, die dürre Landschaften oder gar Griechenland zum Blühen bringen.

    Lassen Sie mich auch die Landschaft um dieses Dörfchen schildern. Es soll zu den schönsten Dörfern Frankreichs zählen. Wir blicken bei immer noch milden Temperaturen auf Mauern mit Blumenranken oder auf mannshohe Stauden mit großen ganz dunkelroten Blüten. Oder wir blicken auf die Loire, dem bisweilen auch blutroten Schicksalsfluss der Franzosen. Sandbänke. Kinder spielen ausgelassen auf einem Nachen. Und noch prosaischer kann uns der Schriftsteller Helmut Domke seine Sicht schildern.

    "Es ist ein Platz von dem man die ganze Landschaft mit einem einzigen Blick umfasst. Das Flusstal ist hier so weit geworden und von Wasser durchzogen, aufgefächert in blühende Inseln, in Auen und blinkenden Wasserarmen, in welche sich die schimmernd herandrängende Vienne mischt."

    Zurück in das Jahr 397. Was macht der Bischof von Tours in Candes? Er ist im November, bei vielleicht ähnlichen Temperaturen, als Bischof und gleichzeitig auch als Abt seines Klosters unterwegs. Er ist schon ein betagter Mann. Bischof Martin unternimmt damals eine Visite seiner Pfarrgemeinden, er soll auch noch missioniert haben. Der neue Glauben ist gegen 400 noch nicht in trockenen Tüchern. Die Christenwelt wird zudem intern von einem erbitterten Streit von Dogmatikern erschüttert. Ist Jesus der Sohn Gottes? Oder ist er ein Menschensohn, der durch die Qualität seines Charakters und seiner guten Taten wegen- von Gott quasi adoptiert worden ist? Martin stirbt also hier in diesem Loiredörfchen.

    Und nun betreten wir die dreischiffige Kirche aus dem 11. Jahrhundert. Sie wurde über Martins kleine Sterbekapelle dann gebaut. Pilgerkerzen, Votivtafeln. Merci, Martin.

    Dann natürlich auch das bekannteste Martinsbild. In römischer Militäruniform auf einem Schimmel. Ein alter Mann mit Bart. Martin teilt den Mantel. Beide haben keinen Blickkontakt. Martin trägt zum römischen Helm schon seinen Heiligenschein.
    Das ist die Legende. Daten, Fakten, Quellenlage? Hat es Martin überhaupt gegeben, was einige ja bezweifeln? Michael Kleu:

    "Martin ist eine an sich historisch verbürgte Persönlichkeit. Aber es beginnt schon mit den Schwierigkeiten seines Geburtsjahres. Nur sein Todestag ist verbürgt. Ob er 61 Jahre oder 81 Jahre alt war, Fragezeichen. Viel über Martin Überliefertes verliert sich im Halbdunkel ungeklärter Quellen. Was natürlich auch aus dem großen Zeitabstand zu erklären ist. Wer nach heutigen Maßstäben nach Fakten fragt, muss alle Martins Wunder streichen. Wir müssen wissen, nach damaligen Vorstellungen wurde man ein Heiliger, wenn man ein Märtyrer war. Wer eines natürlichen Todes starb, der musste neben einem frommen Lebenslauf eine Reihe von außergewöhnlichen Wundern gewirkt haben. Grundlage aller damaligen Aussagen über Martin ist die "Vita Sancti Martini". Geschrieben von einem Zeitgenossen aus Martins Umfeld in Tours. Der beschreibt ihn als makellosen, demütigen und bescheidenen Menschen und Wundertäter."
    War denn bei der Mantelteilung denn in Amiens in Nordfrankreich, war da ein Zeitzeuge in unserem Sinn dabei?

    "Dieser Biograf S u l p i u s S e v e r u s war jedenfalls nicht dabei. Die Mantelteilung ist wohl so im Volksmund weiter erzählt worden. Eine weitere Quelle seiner Wunder, dass Martin beispielsweise öfter Tote erweckt hat, ist Gregor von Tours. Gregor folgt rund 200 Jahre nach Martin, ebenfalls als Bischof von Tours, dem Martin nach. Gregor von Tours ist ein anerkannter Geschichtsschreiber. Er ist aber noch stärker ein Hagiograph, das heißt ein Spezialist für Wundererzählungen aller Heiligen und Martyrer. Es gibt den etwas pointierten Vergleich, der Hagiograph Gregor von Tours war im heutigen Sinne eher ein Serien- und Drehbuchschreiber. Das heißt, er schreibt, wie es aus seiner Sicht eben wichtig war, um die Folter der Märtyrer und die Rolle der Heiligen als Wundertäter plakativ herauszustellen. Gregor verfasst alleine vier Bücher, voll mit den Wundern des Heiligen Martin."
    Und Gregor von Tours verfasst auch eine berühmte "Geschichte der Franken".
    "Und darin beschreibt er auch die besondere Rolle des Merowingerkönigs Chlodwig. Chlodwig, des Siegers der Schlacht bei Zülpich 496 gegen die Alemannen, quasi die Deutschen. Und auf diesen 'Sieger Chlodwig' geht dann wohl überhaupt die Martinsverehrung ab dem 5. Jahrhundert zurück. Der Merowinger erklärt Martin zum Schutzheiligen des Fränkischen Reiches. Nun entstehen überall im Reich die Martinskirchen. Und das Reliquiar des angeblich erhaltenen Martinsmantels führen die Fränkischen - und später die französischen Könige als geheiligtes Siegeszeichen in ihren Schlachten mit."

    Und nun übersetze ich mir hier in der Kirche an der Wand eine französische Merktafel. Also: Martin, Bischof von Tours, gründet in Candes eine von 6 Pfarrgemeinden mit einem Kloster, mit einer Kirche und einer Schule. Er stirbt hier.
    Weiter lese ich, und nun wird es interessant. 1180 schreiben diese Chorherren an den Bischof von Köln. Sie schreiben, die Apsis ihrer neuen Kirche sei schon fertig, sie bitten in Köln um Geld. Ist also diese Kirche mit Geld aus dem heiligen, reichen Köln fertiggestellt worden?

    Und nun springen wir von der Loire an den Rhein. Wir stehen vor dem Dom. Im Historischen Archiv des Erzbistums Köln, hier fast im Schatten der Domtürme, ist unter "1180" kein Brief aus dem kleinen Candes abgeheftet. Und es liegt auch keine Notiz vor, wie man vor gut 800 Jahren überfallsicher Bares oder Gold über fast 1000 Kilometer an die Loire überbringt. Aber wenn Köln nicht reagiert hätte, wäre es ja nicht in Candes erwähnt. Malen wir uns die Szenerie von 1180 etwas aus.
    Im alten, noch romanischen Dom von Köln, an gleicher Stelle wie die heutige gotische Kathedrale, da ist seitlich auch ein Martinus Altar eingerichtet. Martin, der Schutzheilige der Reisenden und Pilger ist in einer blühenden Handelsstadt mit Tausenden von Reliquien quasi lebenswichtig. Martin ist zudem in Köln bekannt. Eine weitere Legende. Als Martin 397 in Candes hinscheidet, da hört der Heilige Severin, Bischof von Köln, er hört in gleicher Stunde einen Chor von Engeln, die singend die Seele des Heiligen Martin von der Loire gen Himmel tragen. Eine Legende. Wir lesen über das Köln von 1180.

    "Köln ist um diese Zeit mit etwa 50.000 Einwohnern die größte Stadt im Reich von Friedrich Barbarossa. Philipp von Heinsberg ist der ebenso mächtige Erzbischof von Köln, gleichzeitig Kurfürst, gleichzeitig Kanzler für Italien und gleichzeitig einer der engster Berater und Diplomaten des Kaisers."

    Um das Jahr 1180 verdoppeln die aufmüpfigen Kölner Stadtbürger, gegen den Willen des Erzbischofs, das Stadtgebiet. Dafür müssen sie in einem Vergleich eine immense Summe in die Geldtruhen des Bistums abführen. Gleichzeitig profitiert das Erzbistum am politischen Sturz von Heinrich dem Löwen und bekommt vom Kaiser das Herzogtum Westfalen zugeschlagen.

    So gesehen ist ein Bittbrief aus dem kleinen Candes an der Loire nur eine Petitesse für Köln am Rhein. Eine Sache, die man aus der Portokasse erledigen konnte. Denn in Köln steppt damals auch "pilgertouristisch" der Bär. Seit 1164 werfen sich neue Scharen von frommen Wallfahrern vor dem frisch importierten-, noch provisorischen Schrein der Heiligen Drei Könige auf die Knie. Die Drei Könige sind Zeitzeugen von Christi Geburt im Stall von Betlehem. So die Legende. Zitat:

    "Die Könige aus dem Morgenland waren damals die wichtigsten Reliquien des Hochmittelalters. Und sie waren extra für das Heilige Köln aus dem Dom zu Mailand entwendet - in Köln sagt man 'geklaut' - worden."

    So war das in Köln. Auch in Wallfahrerkonkurrenz zum populären Martinsgrab in Tours oder zum Jakobsgrab in Nordspanien. Und gleichzeitig ahnen wir etwas von den personellen Vernetzungen des Abendlandes über Bruderschaften, über Pilgerströme, über Pilgerwege, über Schutzheilige und Scheinheilige. Und weil Sie mir dabei so andächtig zugehört haben, liebe Sonntagsspaziergänger, dürfen Sie sich auch ein Sankt-Martins-Kerzlein zur Feier des Tages in Ihrer Kopflaterne an-zünden.

    Quellen:
    Historisches Archiv des Erzbistums Köln
    DuMont-Reiseführer, Werner Schäfke, Kölns romanische Kirchen
    DuMont Kunstf. Wilfried Hansmann, Das Tal der Loire
    LVR: Philipp von Heinsberg, Erzbischof v. Köln
    Helmut Domke, Aquitanien
    Andreas Drouve, Der heilige Martin
    Manfred Becker-Huberti, Der heilige Martin, Leben, Legenden, Bräuche