Niedergang des Totalitarismus? Es war ein spektakulärer Irrtum, sich 1989 so etwas vorgestellt zu haben - ein merkwürdiger Irrtum, ein fast lachhaftes Beispiel der mit sich selbst beschäftigten Wahnvorstellungen der eurozentrischen Fantasie. Als würde die muslimische Welt gar nicht existieren!
In seinem Buch Terror und Liberalismus beschreibt Berman, der als Kultur- und Literaturkritiker für angesehene Zeitungen wie die New York Times oder die New Republic schreibt, den radikalen Islamismus als Variante des westlichen Totalitarismus. Dieser Hydra sei nach Faschismus und Kommunismus ein neuer Kopf gewachsen. Wieder einmal stoße der Westen auf seine unbewältigte Vergangenheit:
In der liberalen Vorstellungswelt hat es immer eine merkwürdige Schwäche gegeben, eine Art Unschuld, die Menschen mit den höchsten Idealen und den aufgeklärtesten Grundsätzen wiederholt dazu gebracht hat, sich über ihre schlimmsten Feinde schwer zu täuschen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts lässt sich als eine Geschichte der entschiedensten Feinde des Liberalismus darstellen - und als eine Geschichte der Weigerung des Liberalismus, seine entschiedensten Feinde zu verstehen.
Schuld tragen nach Berman vor allem Intellektuelle, die ignorieren, dass allem Totalitarismus ein dunkler, irrationalistischer Todestrieb innewohnt. Für sie...
... gab [es] keine pathologischen oder irrationalen Bewegungen, keine Bewegungen, die sich danach sehnten, Gemetzel zu veranstalten, keine Bewegungen, die den Tod ersehnten.
Was sich aber dem rationalen Diskurs entzieht, lässt sich allein durch Vernunft nicht bannen. Ein weiterer Grund für das Versagen des Liberalismus sei Europa,
...ein Ort, der Frankensteins erfindet, sie aber nicht unschädlich macht.
Berman empfindet den Liberalismus in Europa als Kompromiss, als Ausdruck eines fatalen Ruhebedürfnisses. Das hindere Europa daran, sich dem Totalitarismus mit aller Macht entgegenzustemmen. Soweit seine Diagnose. Welche Therapie schlägt er vor? Berman fragt:
Woher nimmt eine freiheitliche Gesellschaft die Kraft zu überleben?
...und beruft sich dann auf Abraham Lincoln:
Er [Lincoln] erklärte, dass eine freiheitliche Gesellschaft eine kriegerische Gesellschaft sein müsse, wenn sie herausgefordert werde; sonst werde sie nicht von Dauer sein. Der Krieg sei ‘die Prüfung’ der Grundsätze einer freien Gesellschaft.
Paul Berman befürwortet den Krieg. Für ihn liegt in der Antwort Lincolns die Rechtfertigung von Gewalt. Aus Bermans Sicht sollte der Westen jedem Angriff auf freiheitliche Grundwerte entschieden entgegentreten. Dies führt zum Plädoyer für einen umfassenden Aktionismus gegen totalitäre Ideologien. Berman verlangt einen
neuen Radikalismus im Namen der freien Linken,
eine Dritte Kraft zwischen Pragmatismus von Rechts und Isolationismus von Links. Eine Kraft, die sich...
...der Politik der Menschenrechte und besonders der Frauenrechte in der ganzen muslimischen Welt verpflichtet fühlt, eine Politik ethischer und religiöser Toleranz, einer Politik gegen Rassismus und Antisemitismus, einer Politik der säkularen Erziehung, von Pluralismus und Recht in der ganzen muslimischen Welt, einer Politik des Kampfes gegen Armut und Unterdrückung...
Und so fort. Mächtig durchbraust das Pathos der Erweckungsprediger diese Seiten. Der Stil verrät die religiösen Quellen, aus denen sich Bermans liberaler Fundamentalismus speist. Denn hinter seinem Dualismus von Liberalismus und Totalitarismus steckt nichts als der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Die moralische Dimension des Kampfes macht Handeln leicht und Zögern verwerflich. In seiner Kritik am zaudernden Europa verkennt er allerdings dessen wahre Motive. Denn in der Wertordnung Europas gehen, anders als in den USA, Moral und Politik nicht direkt ineinander über. In den meisten europäischen Staaten wird Moral erst über das Recht legitimiert. Ein Handeln gegen diesen Grundsatz würde hier die liberale Grundordnung aushöhlen. - Nicht nur in seiner Kritik an Europa offenbart Berman einen zu engen Blickwinkel. Seiner rein ideengeschichtlich orientierten Diagnose fehlt es auch an Realitätssinn gegenüber den islamisch geprägten Ländern. Das führt ihn dazu, die Möglichkeiten einer US-amerikanischen Einflussnahme in der Krisenregion des Mittleren Ostens zu überschätzen.
Es ist eine absurde Vorstellung, die USA könnten einen Angriffskrieg gegen den Irak führen, danach ein amerikanisch diktiertes Militärprotektorat installieren, um in der gesamten Region Demokratie, Rechtsstaat und Liberalismus einzuführen. Die Idee, ein Vier-Sterne-General der in der islamischen Welt weithin verhaßten westlichen Vormacht könne erfolgreich Demokratie dekretieren, entspringt einem Gemisch von isolationistischem Kulturverständnis, neoprotestantischem Missionseifer und imperialer Arroganz,
... merkte der Heidelberger Politologe Wolfgang Merkel lange vor Beginn des jüngsten Irakkrieges an. Denn Mission und militärische Aktion sind traditionelle Instrumente des Imperialismus. Sie eignen sich nicht für interkulturelle Auseinandersetzungen, ohne ungute Erinnerungen an die koloniale Vergangenheit des Westens zu wecken. Sie provozieren Widerstand und stärken so den Gegner, den sie bekämpfen wollen. Bermans Doktrin zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten politischen Denkens und Handelns in einer komplexen Welt, die man nicht auf dem ideologischen Reißbrett simulieren kann. Die sehr allgemeinen Koordinaten von Gut und Böse lassen nun mal keinen Raum für die Bestimmung ökonomischer, sozialer, historischer und kultureller Differenzen. Bermans legitime Empörung gegen die Existenz inhumaner Systeme und mörderischer Ideologien verleitet ihn zu ähnlich einfachen und radikalen Lösungen, wie jene, die er seinen totalitären Gegnern vorwirft. Die Werte des US-amerikanischen Liberalismus werden ihm zur absoluten Wahrheit, für die es zu kämpfen und zu sterben lohnt. Bermans Thesen führen damit wieder auf die Frage zurück, die zu beantworten er eigentlich angetreten war: Wie kann der Liberalismus je den Widerspruch von Toleranz und Anspruch auf universale Gültigkeit seiner Werte überzeugend auflösen, ohne neue Spielarten des Totalitären zu erschaffen?
In seinem Buch Terror und Liberalismus beschreibt Berman, der als Kultur- und Literaturkritiker für angesehene Zeitungen wie die New York Times oder die New Republic schreibt, den radikalen Islamismus als Variante des westlichen Totalitarismus. Dieser Hydra sei nach Faschismus und Kommunismus ein neuer Kopf gewachsen. Wieder einmal stoße der Westen auf seine unbewältigte Vergangenheit:
In der liberalen Vorstellungswelt hat es immer eine merkwürdige Schwäche gegeben, eine Art Unschuld, die Menschen mit den höchsten Idealen und den aufgeklärtesten Grundsätzen wiederholt dazu gebracht hat, sich über ihre schlimmsten Feinde schwer zu täuschen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts lässt sich als eine Geschichte der entschiedensten Feinde des Liberalismus darstellen - und als eine Geschichte der Weigerung des Liberalismus, seine entschiedensten Feinde zu verstehen.
Schuld tragen nach Berman vor allem Intellektuelle, die ignorieren, dass allem Totalitarismus ein dunkler, irrationalistischer Todestrieb innewohnt. Für sie...
... gab [es] keine pathologischen oder irrationalen Bewegungen, keine Bewegungen, die sich danach sehnten, Gemetzel zu veranstalten, keine Bewegungen, die den Tod ersehnten.
Was sich aber dem rationalen Diskurs entzieht, lässt sich allein durch Vernunft nicht bannen. Ein weiterer Grund für das Versagen des Liberalismus sei Europa,
...ein Ort, der Frankensteins erfindet, sie aber nicht unschädlich macht.
Berman empfindet den Liberalismus in Europa als Kompromiss, als Ausdruck eines fatalen Ruhebedürfnisses. Das hindere Europa daran, sich dem Totalitarismus mit aller Macht entgegenzustemmen. Soweit seine Diagnose. Welche Therapie schlägt er vor? Berman fragt:
Woher nimmt eine freiheitliche Gesellschaft die Kraft zu überleben?
...und beruft sich dann auf Abraham Lincoln:
Er [Lincoln] erklärte, dass eine freiheitliche Gesellschaft eine kriegerische Gesellschaft sein müsse, wenn sie herausgefordert werde; sonst werde sie nicht von Dauer sein. Der Krieg sei ‘die Prüfung’ der Grundsätze einer freien Gesellschaft.
Paul Berman befürwortet den Krieg. Für ihn liegt in der Antwort Lincolns die Rechtfertigung von Gewalt. Aus Bermans Sicht sollte der Westen jedem Angriff auf freiheitliche Grundwerte entschieden entgegentreten. Dies führt zum Plädoyer für einen umfassenden Aktionismus gegen totalitäre Ideologien. Berman verlangt einen
neuen Radikalismus im Namen der freien Linken,
eine Dritte Kraft zwischen Pragmatismus von Rechts und Isolationismus von Links. Eine Kraft, die sich...
...der Politik der Menschenrechte und besonders der Frauenrechte in der ganzen muslimischen Welt verpflichtet fühlt, eine Politik ethischer und religiöser Toleranz, einer Politik gegen Rassismus und Antisemitismus, einer Politik der säkularen Erziehung, von Pluralismus und Recht in der ganzen muslimischen Welt, einer Politik des Kampfes gegen Armut und Unterdrückung...
Und so fort. Mächtig durchbraust das Pathos der Erweckungsprediger diese Seiten. Der Stil verrät die religiösen Quellen, aus denen sich Bermans liberaler Fundamentalismus speist. Denn hinter seinem Dualismus von Liberalismus und Totalitarismus steckt nichts als der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Die moralische Dimension des Kampfes macht Handeln leicht und Zögern verwerflich. In seiner Kritik am zaudernden Europa verkennt er allerdings dessen wahre Motive. Denn in der Wertordnung Europas gehen, anders als in den USA, Moral und Politik nicht direkt ineinander über. In den meisten europäischen Staaten wird Moral erst über das Recht legitimiert. Ein Handeln gegen diesen Grundsatz würde hier die liberale Grundordnung aushöhlen. - Nicht nur in seiner Kritik an Europa offenbart Berman einen zu engen Blickwinkel. Seiner rein ideengeschichtlich orientierten Diagnose fehlt es auch an Realitätssinn gegenüber den islamisch geprägten Ländern. Das führt ihn dazu, die Möglichkeiten einer US-amerikanischen Einflussnahme in der Krisenregion des Mittleren Ostens zu überschätzen.
Es ist eine absurde Vorstellung, die USA könnten einen Angriffskrieg gegen den Irak führen, danach ein amerikanisch diktiertes Militärprotektorat installieren, um in der gesamten Region Demokratie, Rechtsstaat und Liberalismus einzuführen. Die Idee, ein Vier-Sterne-General der in der islamischen Welt weithin verhaßten westlichen Vormacht könne erfolgreich Demokratie dekretieren, entspringt einem Gemisch von isolationistischem Kulturverständnis, neoprotestantischem Missionseifer und imperialer Arroganz,
... merkte der Heidelberger Politologe Wolfgang Merkel lange vor Beginn des jüngsten Irakkrieges an. Denn Mission und militärische Aktion sind traditionelle Instrumente des Imperialismus. Sie eignen sich nicht für interkulturelle Auseinandersetzungen, ohne ungute Erinnerungen an die koloniale Vergangenheit des Westens zu wecken. Sie provozieren Widerstand und stärken so den Gegner, den sie bekämpfen wollen. Bermans Doktrin zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten politischen Denkens und Handelns in einer komplexen Welt, die man nicht auf dem ideologischen Reißbrett simulieren kann. Die sehr allgemeinen Koordinaten von Gut und Böse lassen nun mal keinen Raum für die Bestimmung ökonomischer, sozialer, historischer und kultureller Differenzen. Bermans legitime Empörung gegen die Existenz inhumaner Systeme und mörderischer Ideologien verleitet ihn zu ähnlich einfachen und radikalen Lösungen, wie jene, die er seinen totalitären Gegnern vorwirft. Die Werte des US-amerikanischen Liberalismus werden ihm zur absoluten Wahrheit, für die es zu kämpfen und zu sterben lohnt. Bermans Thesen führen damit wieder auf die Frage zurück, die zu beantworten er eigentlich angetreten war: Wie kann der Liberalismus je den Widerspruch von Toleranz und Anspruch auf universale Gültigkeit seiner Werte überzeugend auflösen, ohne neue Spielarten des Totalitären zu erschaffen?