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Paul Klebnikow: Der Pate des Kreml. Boris Beresowski und die Macht der Oligarchen

Nach dem Zerfall der Sowjetunion vor zehn Jahren ging es für die übergroße Mehrheit der Russen zumindest ökonomisch steil bergab. Die Bevölkerung verarmte in rasantem Tempo, während zugleich eine winzige Oberschicht unermessliche Reichtümer anhäufen konnte. Der allerreichste unter ihnen heißt Boris Beresowski - und seine kriminelle wie aberwitzige Erfolgsgeschichte erzählt ein neues Buch aus dem ECON-Verlag: "Der Pate des Kreml" heißt es, der Autor ist Paul Klebnikow, ein in New York lebender Journalist und Sohn einer russischen Emigrantenfamilie. In seinem zuerst in den USA und jetzt auch in Russland erschienenen Buch schildert er Russlands Niedergang und Beresowskis Aufstieg als zwei parallel verlaufende Prozesse - und illustriert, wie es Beresowski gelang, direkten Einfluss auf Boris Jelzin zu erlangen, um die Schalthebel der Macht zu manipulieren und sich dabei selbst schamlos zu bereichern.

Sabine Adler | 11.06.2001
    Der ehemalige Russlandskorrespondent des amerikanischen Politmagazins "Forbes" trägt auf fast 500 Seiten eine Fülle von Korruptionsskandalen zusammen, zu Wirtschaftsverbrechen kommen Gewalttaten, deren Spuren ein ums andere Mal an einem Punkt zusammenlaufen: bei Boris Beresowski, der zwar nicht allein, häufig genug aber im Zentrum agierte. Der Autor Paul Klebnikow:

    Ich habe nur das geschrieben, was mir bekannt war. Ich bin kein Polizist, kein Staatsanwalt und auch kein Richter. Ich konnte nur das veröffentlichen und in das Klarheit bringen, was ich herausgefunden habe. Und aus diesen Fakten kann man sehen, dass seine Karriere am Anfang mit der kriminellen Welt verbunden war, dass seine Mitarbeiter nicht nur einmal an Bandenkriegen teilgenommen haben und dass sich sein Reichtum vergrößerte, weil der den Weg der Korruption einschlug.

    In Paul Klebnikows Buch meint man mitunter zu lesen wie in Ermittlungsakten, wäre da nicht die bittere Erkenntnis, dass diese Untersuchungen in Russland derzeit niemand ernsthaft führt. Das Buch mutet darüber hinaus an wie ein "Who is who?" der russischen Politik und Unterwelt. Der interessierte, aber vielleicht mit der russischen Innenpolitik nicht allzu vertraute Leser sollte sich keinesfalls von der Fülle der Namen abschrecken lassen. Letztlich sind nicht die agierenden Personen entscheidend, sondern die Mechanismen: Warum beispielsweise fährt der größte russische Autoproduzent Awtowas ständig Verluste ein? Die Antwort ist so einfach wie aufschlußreich: weil die Wagen zu Preisen an die Autohändler verkauft werden, die weit unter den Produktionskosten liegen. Der Erfinder dieses für das Autowerk mörderischen Systems heißt Boris Beresowski. Um seiner kleinen Clique von Autohändlern ein befristetes lukratives Geschäft zu ermöglichen, muss das Management mitspielen. Dafür wurde entweder geschmiert oder gemordet. Der Autor Paul Klebnikow:

    Seine Zerstörungskraft war selbst für russische Verhältnisse unglaublich. 1997 hat das Innenministerium versucht, das Autowerk von den Banditen zu säubern, dabei stießen die Beamten auf 65 Auftragsmorde. Das waren Morde an Managern aus der Unternehmensleitung oder auch an Autoverkäufern. Die ganze Zeit floss Blut, wo immer er auftauchte.

    Boris Beresowski ist für Paul Klebnikow die Inkarnation des Bösen,und das belegt er stichhaltig. Warum der hochbegabte Mathematiker und Wissenschaftler jedoch ein solches Zerstörungspotential entwickelt, warum seine Habgier anscheinend unstillbar ist, beantwortet das Buch nicht. Beresowski lebt derzeit im Ausland, wo sich auch der Löwenanteil seines angehäuften Kapitals befindet. Er gibt sich als Dissident aus, als Schützer der Menschenrechte und Kämpfer für Pressefreiheit, nachdem er mit Putin gebrochen und sich zum Opponenten des neuen Kremlherren ernannt hat. Putin hält ihn auf Distanz, ohne jedoch gegen ihn so gezielt vorzugehen wie gegen den Medienmogul Gussinksi. Klebnikow bezeichnete den Oppositionellen Beresowskij in Moskau als einen Dissidenten ohne Bart, als einen Heuchler. Wer sich an dessen schmutzige Machenschaften während des Duma-Wahlkampfes 1999 erinnert, stimmt dem amerikanischen Journalisten vermutlich zu.

    Klebnikow hat ein faktenreiches Werk vorgelegt. Das bienenfleißig zusammengetragene Material war größtenteils frei zugänglich, doch Klebnikow gebührt das Verdienst, es genutzt zu haben, um am Beispiel Beresowskis Licht in die dunklen Machenschaften der raffgierigen russischen Elite zu bringen.

    Wer sich bislang die Frage gestellt hat, warum das rohstoffreiche Land so arm ist, findet in diesem Buch Antworten, denn Klebnikow zeigt einige Mechanismen auf, wie das Land systematisch ausgenommmen werden konnte und wird. Er unterscheidet jedoch zwischen den verdächtig schnell Reichgewordenen. Der direkte Vergleich, der sich anbietet, ist Beresowskis Herausforderer in der Medienindustrie Wladimir Gussinski. Die beiden Männer gleichen sich nur auf den ersten Blick. Während sich Beresowski wie eine Feuerwalze durch die russische Wirtschaft frisst, ist Gussinski, bei allen Vorbehalten, ein Schöpfer, moderner ausgedrückt: ein Macher. Er hat seinen Fernsehkanal, seine Zeitungen nicht einfach nur übernommen, sondern neu gegründet. Beresowski dagegen stürzte sich wie ein Vampir auf sein Opfer, um es auszusaugen und als leere Hülle zurückzulassen.

    Im Mittelpunkt steht die Periode der Jelzin-Präsidentschaft. Aufschlussreich und notwendig dafür sind die Rückblicke in Gorbatschows Reformerzeit, seine Fehler, sein Zögern, seine Verdienste und Visionen. Gorbatschow öffnete die Lagertore nicht nur für politisch Inhaftierte, wahllos freigelassen wurden auch Berufsverbrecher. Die ergriffen die Gelegenheit beim Schopf, als Gorbatschow über Nacht den Wodka verknappte und verteuerte. Die Anti-Alkohol-Kampagne markierte den Beginn der Schattenwirtschaft, meint der amerikanische Journalist.

    Für die sowjetische Wirtschaft war die Prohibition Gift. Mit einem Anteil von annähernd 25 Prozent am Staatshaushalt bildete das staatliche Alkoholmonopol seit langem eine Säule der sowjetischen Staatsfinanzen. Infolge dieser Fast-Prohibition flossen die Erlöse beim Verkauf von Wodka nicht länger an den Staat, sondern an Schwarzhändler, und bildeten so den Grundstock zu Russlands erstem kriminellen Kapital.

    Gorbatschows Unbeliebtheit, seine Fehler, seine Zaghaftigkeit und Zögerlichkeit ermöglichten es Boris Jelzin, 1991 das Zepter in die Hand zu nehmen, doch der anfängliche Gegner der privilegierten Nomenklatura entpuppte sich sehr bald als neuer Monarch, der von seiner Aufgabe, das Riesenreich zu führen, hoffnungslos überfordert und deshalb, so schlussfolgert der Autor, um so leichter zu manipulieren war.

    Beresowski ist es gelungen, Jelzin zu kontrollieren, das war möglich, weil Jelzin, um es gelinde auszudrücken, über eine geringe Leistungsfähigkeit verfügte. Das hat ihn zu einem sehr naiven Menschen gemacht, der meiner Meinung nach nicht gewillt war, sich tiefgründig mit den Problemen des Landes auseinander zu setzen, und den Beresowski deshalb um so leichter an der Nase herumführen konnte.

    Auch wenn der Autor keine Beresowski-Biografie vorlegen wollte, zeichnet er doch das Porträts eines Mannes, der offenbar ein Rückgrat wie ein Gummiband besitzt. Den die Nähe zur Macht so magisch anzieht. Der, wirft man ihn zur Tür hinaus, durch das Fenster wieder einsteigt. Der schmeichelt und teure Geschenke macht, den auch mehrfache erfolglose Anläufe nicht entmutigen. Den es magisch dorthin zieht, wo das meiste Geld zu verdienen und der Verbrechersumpf zugleich am tiefsten ist.

    Klebnikows Buch liefert zudem zusätzliche Mosaiksteine für ein neues Jelzinbild. Es muss dringend neu zusammengesetzt werden. Und es wird einen Herrscher zeigen, der vom Ausverkauf seines Landes wusste und profitierte, der den gigantischen Diebstahl nicht verhinderte, die Räuber auch nicht festhielt, geschweige denn bestrafte.

    Der Autor macht deutlich, dass sich der Westen dringend von der Wunschvorstellung verabschieden sollte, mit Jelzin einen Demokraten gestützt und gefördert zu haben. Paul Klebnikows Buch liefert einige Erklärungen dafür, warum Russland mehr und mehr den Charakter eines Dritt-Welt-Landes annimmt, warum seine Supermachtansprüche immer lächerlicher anmuten angesichts der Lebenswirklichkeit im zerfallenden Riesenreich. Warum der Begriff Demokratie ein Schimpfwort geworden ist und man Demokraten in Russland Dermokratyi nennt, was soviel wie Scheißer heißt.

    Das Buch ist kenntnisreich mit einer Fülle von Querverweisen, hat aber einen entscheidenden Nachteil: Es endet mit dem Abgang Jelzins, wobei der Autor die wichtige Rolle Beresowskis beim Machtwechsel von Jelzin zu Putin beklagenswert dürftig beleuchtet hat. Das Buch wirkt, gerade auf dem Markt aufgetaucht, in dieser Beziehung leider schon veraltet. Wenn sich der interessierte Leser so intensiv mit den Akteuren der russischen Innenpolitik auseinandersetzt, hat er ein Recht zumindest auf einen Ausblick. Wird Putin den Kampf mit den Oligarchen aufnehmen oder ist der Medienunternehmer Gussinski der erste, aber auch letzte gewesen, dem der Präsident das Leben schwer gemacht hat? Die Antwort darauf hat der Autor nicht nur nicht geschrieben, ihn verlässt auch die Phantasie, bei einem Versuch, sie zu finden.

    Ich denke, der größte Teil der Arbeit steht noch bevor. Aber mich freut der neue gesunde, nüchterne Ton des Präsidenten. Aber das wichtigste muss noch getan werden, die Leute müssen für das Vergangene zur Verantwortung gezogen werden, man muss sich damit auseinandersetzen.

    Der dürftige Ausblick hätte auf Grund des von Klebnikow selbst vorgelegten Materials fundierter ausfallen können. Die von Klebnikow veranschaulichten Verbindungen von Geheimdienst und Verbrecherwelt, Geheimdienst und Nomenklatura, Geheimdienst und Kreml legen den Schluss nahe, dass der neue Präsident möglicherweise zu tief in die alten Strukturen verstrickt ist, denen er entstammt. Dies wiederum könnte Beresowski, den Klebnikow für den Leibhaftigen hält, nutzen, um Einfluss auch auf den neuen Präsidenten zu bekommen. Russland allerdings ist zu wünschen, dass sich Putin von seinen Fesseln, sollten sie ihn binden, löst und die Ärmel aufkrempelt zu einem gerechten Kehraus.

    Sabine Adler über Paul Klebnikow: Der Pate des Kreml. Boris Beresowski und die Macht der Oligarchen. Econ Verlag, München, 492 Seiten für DM 49,90.