Der Kommandant des SS-Trupps wollte den Raum verlassen, ich rief ihn zurück: "Einen Augenblick, bitte. Sie haben mich überraschend anständig behandelt. Wie ist Ihr Name?" "Wozu brauchen Sie meinen Namen?" "Na ja, sehen Sie, heute bin ich der Gefangene, aber das kann sich einmal ändern, und dann wäre es ganz gut, wenn man sich erinnert, wer anständig zu einem war." Er blickte mich erstaunt an, schüttelte den Kopf und murmelte: "Sie fangen ja früh zu hoffen an!"
Wenige Tage später wurde Neurath mit dem ersten Transport von 150 Österreichern nach Dachau gebracht, an einen jener Orte, die nach dem Willen der SS für jeden politischen Gegner der NS-Diktatur das Ende aller Hoffnung bedeuten sollten, in ein Konzentrationslager. Neurath aber – körperlich in bester Verfassung, geistig geschult durch die Arbeiterbewegung im "Roten Wien" –, Neurath bewahrte sich nicht nur seine Hoffnung, sondern auch einen seltsam distanzierten, ebenso nüchternen wie einfühlsam-ironischen Blick, der den späteren Soziologen und Sozialstatistiker auszeichnen wird. Ende Mai 1939 kam Neurath auf Betreiben einer Freundin frei, die dem als "politischer Jude" Inhaftierten ein Ausreisevisum verschaffen konnte. In den USA, im Umkreis des Soziologen Paul Lazarsfeld, promovierte der Emigrant mit seiner Studie über "Die Gesellschaft des Terrors – Innenansichten der Konzentrationslager". Für die New Yorker Soziologen war das 1943 nicht nur ein ungewohnter Stoff, sondern auch ein völlig neuer Forschungsansatz: Vom Augenzeugenbericht kommt Neurath zur Analyse, umkreist sein Thema im detailliert und anekdotisch dicht geschilderten Abschnitt "Szenerie", um anschließend die "Häftlingsgesellschaft" in ihren feinsten – und nicht nur vor den SS-Bewachern ängstlich verborgenen – Verästelungen aufzuschlüsseln.
Dass diese wissenschaftlich bedeutende, aber gänzlich unakademisch, fast literarisch formulierte Arbeit in den USA nie veröffentlicht wurde und auch auf Deutsch mit über 50 Jahren Verspätung erscheint, mag viele Gründe haben. Den wichtigsten hat Neurath selbst 1946 in einem Brief an einen Kollegen genannt:
Verlage wollen nichts mehr drucken über Konzentrationslager ohne Gaskammern. Dass unsere Leute im Schneesturm an den Bäumen gehängt sind an ihren Handgelenken, wen lockt das noch im Zeitalter der Verbrennungsöfen und des Millionen-Mordes.
Neurath aber, der dem KZ noch rechtzeitig vor Ausbruch des Krieges und der darauf folgenden Vernichtung entkam, kann in seiner Studie anschaulich belegen, dass auch in dieser "frühen" Phase alles auf menschenverachtenden, todbringenden Terror hinauslief. Das Lager, so resümiert der ehemalige Insasse von Dachau und spätere Buchenwald-Häftling, das KZ gleicht einer furchtbaren Maschinerie, hat wenig zu tun mit einem wüsten Mörder, der Amok läuft. Die monotone und fabrikmäßige Todesfolter aber war es, die neben einem undurchschaubaren System von der angekündigten Prügelstrafe bis zur plötzlichen Hinrichtung jenes Grauen des Lagers ausmachte, das bis heute vielen als unbeschreibbar gilt. Mit gutem Grund, wie Neurath bemerkt:
Wie soll man das Immergleiche eines Fünfzehnstundentages schildern, der im Wesentlichen aus nichts besteht als 120 Ladungen Kies, die man hundert Meter weit transportiert, oder 1500 Schaufeln Lehm, die man aus einem Schacht nach oben wirft? Wie soll man das ununterbrochene Gebrüll beschrieben, wenn das einzig Bemerkenswerte daran der Wechsel von 'Fauler Sack, fauler’ zu 'Faule Sau, faule’, und vielleicht 'Dreckige Judensau, dreckige’ war? Der Druck der Verhältnisse bestand nicht so sehr aus den tatsächlichen Misshandlungen, sondern aus ihrer Allgegenwart. Augen und Ohren und jeder Gedanke und jeder Nerv sind angespannt und wachsam; jede Faser des Leibes ist auf ein einziges Ziel gerichtet: so ruhig und so unauffällig wie nur möglich vor sich hin zu arbeiten, um nur ja nicht die Aufmerksamkeit eines der vielen SS-Teufel um einen herum auf sich zu ziehen. Diese Situation ist Außenstehenden, die etwas erzählt bekommen wollen, schwer zu vermitteln. Noch schwerer wird dies dadurch, dass der frühere Häftling und der Außenstehende nicht dieselbe Sprache sprechen. Also versucht er sich an Geschichten zu erinnern, die einen Anfang und ein Ende und eine Pointe haben.
Diese "Geschichten" aber – seien sie noch so illustrativ, moralisch anklagend oder gar "filmreif" –, diese grausamen Anekdoten verdecken das Wesen des KZ als Stätte des systematisierten Terrors. Das Lager in Dachau zum Beispiel wurde von 6.000 SS-Leuten bewacht. In den USA wurde Neurath oft gefragt, wie es den Nazis nur möglich gewesen sei, Tausende von Sadisten an einem Ort zusammenzubringen. Darauf antwortete der ehemalige KZ-Häftling:
Sie bekommen sie nicht zusammen. Sie machen sie. Die Bedingungen, unter denen diese SS-Leute ausgebildet werden, machen das System unabhängig von dem verfügbaren Vorrat an individuellen Psychopathen.
Diese "Ausbildung" der SS beinhaltete auch jene entwürdigenden Schikanen, die Neurath als "Spiele" gelangweilter Wachposten beschreibt. Wer etwa austreten wollte, musste vor seinem Bewacher strammstehen und laut brüllend um Erlaubnis bitten – und zwar so oft, wie es diesem SS-Mann gefiel. Das ähnelt dem geistlosen Drill beim Militär, lässt mit gewalttätigeren Varianten auch jede Abgrenzung zur Folter ins Schwimmen geraten – hat aber im Kontext des Konzentrationslagers einen völlig anderen Zweck als die Erzwingung von Gehorsam oder auch nur die Aufrechterhaltung einer gewaltsam errichteten Ordnung. Im KZ soll der Mensch als Individuum gebrochen, nicht nur seiner Würde, sondern seiner gesamten Existenz als humanes Wesen beraubt werden. So hat es der französische Schriftsteller und Buchenwald-Häftling Robert Antelme in seinen bereits 1949 in der DDR auf Deutsch erschienenen Erinnerungen "Die Gattung Mensch" geschildert – und auch Neurath gelingt es, diese Erfahrung literarisch eindringlich und mit soziologischer Präzision wiederzugeben:
Als ein Freund von mir geschlagen wurde, zuckte es mir im Gesicht. Sofort wurde ich mit einer Ohrfeige belohnt: "Glotz nicht so mitfühlend." Jetzt stehen alle stramm, Augen geradeaus.
Schon beim Transport ins Lager wurde der Häftling mit unablässigen Flüchen, Tritten und der fortwährenden Drohung mit Erschießen in eine Geistesverfassung gebracht, die ihm kaum noch eine Chance zur Beobachtung seiner Umgebung, seines Nebenmannes oder gar der SS-Bewacher ließ. Um so erstaunlicher, mit welcher Dichte Neurath den Alltag im KZ schildert, im Leser das Gespür weckt für die Atmosphäre des permanenten Gehetztseins, der um sich greifenden Angst und vor allem der völligen Aussichtslosigkeit. All dies, weil er sich bereits im Lager zur Aufgabe machte, nicht sein eigenes Schicksal zu überliefern, sondern der Welt da draußen zu zeigen, was typisch ist für das Konzentrationslager.
Ich spreche ein ausgeprägtes Wienerisch und hatte dadurch die Möglichkeit, viel mit Leuten umzugehen, die Intellektuelle sonst kaum kennen lernen. Ich ermutigte die Leute, über ihren Erfahrungshintergrund zu sprechen. Ich tat es systematisch und bewusst. Hätte ich mir Notizen machen können, hätte man dies fast schon "Interview" nennen können. Ich machte mir ein Gedankenspiel daraus, die Leute kurze Zeit zu beobachten und ihnen dann zu sagen, was ihr Hintergrund gewesen war. Ich konnte es fast schon an der Art und Weise erkennen, wie sie ihre Arbeitsgeräte handhabten, wie sie gingen und wie sie über das Wetter redeten.
Neben dieser "Häftlingsgesellschaft" mit ihren festgefügten Gruppen der durch farbige Abzeichen unterschiedenen "Politischen", "Kriminellen" oder "Juden" analysiert Neurath auch die organisatorische Anlage von Dachau und Buchenwald. Hinter Ortsnamen, die heute bei vielen Zeitgenossen jene fast identischen Bilder eines angeblich "unbeschreibbaren" Grauens hervorrufen, versuchte Neurath schon gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gemeinsame Muster, systematische Übereinstimmungen zu entdecken.
Nach einem halben Jahr in Dachau, wo alles sauber funktioniert und kaum ein Atemzug unbemerkt bleibt, ist man höchst überrascht, in Buchenwald genau entgegengesetzte Bedingungen vorzufinden. Alles ist dort schmutzig und desorganisiert, die Lagerleitung weiß kaum, was vorgeht. Das heißt nicht, dass der Terror in Buchenwald schwächer wäre als in Dachau. Er ist nur weniger gut durchorganisiert. In Dachau wird der Häftling mit Überregulierung und Übersauberkeit gequält, in Buchenwald mit Desorganisation und Schmutz. Deshalb ist es für einen Häftling auch so schwierig, die Frage zu beantworten, welches der beiden Lager schlimmer war. Sie sind in so vielen Hinsichten so unterschiedlich. Sie waren beide 'schlimmer’.
Paul Martin Neuraths Die Gesellschaft des Terrors; Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, herausgegeben von Christian Fleck und Nico Stehr. Das Buch, im Suhrkamp Verlag erschienen, hat 460 Seiten und kostet 29.80 Euro.
Wenige Tage später wurde Neurath mit dem ersten Transport von 150 Österreichern nach Dachau gebracht, an einen jener Orte, die nach dem Willen der SS für jeden politischen Gegner der NS-Diktatur das Ende aller Hoffnung bedeuten sollten, in ein Konzentrationslager. Neurath aber – körperlich in bester Verfassung, geistig geschult durch die Arbeiterbewegung im "Roten Wien" –, Neurath bewahrte sich nicht nur seine Hoffnung, sondern auch einen seltsam distanzierten, ebenso nüchternen wie einfühlsam-ironischen Blick, der den späteren Soziologen und Sozialstatistiker auszeichnen wird. Ende Mai 1939 kam Neurath auf Betreiben einer Freundin frei, die dem als "politischer Jude" Inhaftierten ein Ausreisevisum verschaffen konnte. In den USA, im Umkreis des Soziologen Paul Lazarsfeld, promovierte der Emigrant mit seiner Studie über "Die Gesellschaft des Terrors – Innenansichten der Konzentrationslager". Für die New Yorker Soziologen war das 1943 nicht nur ein ungewohnter Stoff, sondern auch ein völlig neuer Forschungsansatz: Vom Augenzeugenbericht kommt Neurath zur Analyse, umkreist sein Thema im detailliert und anekdotisch dicht geschilderten Abschnitt "Szenerie", um anschließend die "Häftlingsgesellschaft" in ihren feinsten – und nicht nur vor den SS-Bewachern ängstlich verborgenen – Verästelungen aufzuschlüsseln.
Dass diese wissenschaftlich bedeutende, aber gänzlich unakademisch, fast literarisch formulierte Arbeit in den USA nie veröffentlicht wurde und auch auf Deutsch mit über 50 Jahren Verspätung erscheint, mag viele Gründe haben. Den wichtigsten hat Neurath selbst 1946 in einem Brief an einen Kollegen genannt:
Verlage wollen nichts mehr drucken über Konzentrationslager ohne Gaskammern. Dass unsere Leute im Schneesturm an den Bäumen gehängt sind an ihren Handgelenken, wen lockt das noch im Zeitalter der Verbrennungsöfen und des Millionen-Mordes.
Neurath aber, der dem KZ noch rechtzeitig vor Ausbruch des Krieges und der darauf folgenden Vernichtung entkam, kann in seiner Studie anschaulich belegen, dass auch in dieser "frühen" Phase alles auf menschenverachtenden, todbringenden Terror hinauslief. Das Lager, so resümiert der ehemalige Insasse von Dachau und spätere Buchenwald-Häftling, das KZ gleicht einer furchtbaren Maschinerie, hat wenig zu tun mit einem wüsten Mörder, der Amok läuft. Die monotone und fabrikmäßige Todesfolter aber war es, die neben einem undurchschaubaren System von der angekündigten Prügelstrafe bis zur plötzlichen Hinrichtung jenes Grauen des Lagers ausmachte, das bis heute vielen als unbeschreibbar gilt. Mit gutem Grund, wie Neurath bemerkt:
Wie soll man das Immergleiche eines Fünfzehnstundentages schildern, der im Wesentlichen aus nichts besteht als 120 Ladungen Kies, die man hundert Meter weit transportiert, oder 1500 Schaufeln Lehm, die man aus einem Schacht nach oben wirft? Wie soll man das ununterbrochene Gebrüll beschrieben, wenn das einzig Bemerkenswerte daran der Wechsel von 'Fauler Sack, fauler’ zu 'Faule Sau, faule’, und vielleicht 'Dreckige Judensau, dreckige’ war? Der Druck der Verhältnisse bestand nicht so sehr aus den tatsächlichen Misshandlungen, sondern aus ihrer Allgegenwart. Augen und Ohren und jeder Gedanke und jeder Nerv sind angespannt und wachsam; jede Faser des Leibes ist auf ein einziges Ziel gerichtet: so ruhig und so unauffällig wie nur möglich vor sich hin zu arbeiten, um nur ja nicht die Aufmerksamkeit eines der vielen SS-Teufel um einen herum auf sich zu ziehen. Diese Situation ist Außenstehenden, die etwas erzählt bekommen wollen, schwer zu vermitteln. Noch schwerer wird dies dadurch, dass der frühere Häftling und der Außenstehende nicht dieselbe Sprache sprechen. Also versucht er sich an Geschichten zu erinnern, die einen Anfang und ein Ende und eine Pointe haben.
Diese "Geschichten" aber – seien sie noch so illustrativ, moralisch anklagend oder gar "filmreif" –, diese grausamen Anekdoten verdecken das Wesen des KZ als Stätte des systematisierten Terrors. Das Lager in Dachau zum Beispiel wurde von 6.000 SS-Leuten bewacht. In den USA wurde Neurath oft gefragt, wie es den Nazis nur möglich gewesen sei, Tausende von Sadisten an einem Ort zusammenzubringen. Darauf antwortete der ehemalige KZ-Häftling:
Sie bekommen sie nicht zusammen. Sie machen sie. Die Bedingungen, unter denen diese SS-Leute ausgebildet werden, machen das System unabhängig von dem verfügbaren Vorrat an individuellen Psychopathen.
Diese "Ausbildung" der SS beinhaltete auch jene entwürdigenden Schikanen, die Neurath als "Spiele" gelangweilter Wachposten beschreibt. Wer etwa austreten wollte, musste vor seinem Bewacher strammstehen und laut brüllend um Erlaubnis bitten – und zwar so oft, wie es diesem SS-Mann gefiel. Das ähnelt dem geistlosen Drill beim Militär, lässt mit gewalttätigeren Varianten auch jede Abgrenzung zur Folter ins Schwimmen geraten – hat aber im Kontext des Konzentrationslagers einen völlig anderen Zweck als die Erzwingung von Gehorsam oder auch nur die Aufrechterhaltung einer gewaltsam errichteten Ordnung. Im KZ soll der Mensch als Individuum gebrochen, nicht nur seiner Würde, sondern seiner gesamten Existenz als humanes Wesen beraubt werden. So hat es der französische Schriftsteller und Buchenwald-Häftling Robert Antelme in seinen bereits 1949 in der DDR auf Deutsch erschienenen Erinnerungen "Die Gattung Mensch" geschildert – und auch Neurath gelingt es, diese Erfahrung literarisch eindringlich und mit soziologischer Präzision wiederzugeben:
Als ein Freund von mir geschlagen wurde, zuckte es mir im Gesicht. Sofort wurde ich mit einer Ohrfeige belohnt: "Glotz nicht so mitfühlend." Jetzt stehen alle stramm, Augen geradeaus.
Schon beim Transport ins Lager wurde der Häftling mit unablässigen Flüchen, Tritten und der fortwährenden Drohung mit Erschießen in eine Geistesverfassung gebracht, die ihm kaum noch eine Chance zur Beobachtung seiner Umgebung, seines Nebenmannes oder gar der SS-Bewacher ließ. Um so erstaunlicher, mit welcher Dichte Neurath den Alltag im KZ schildert, im Leser das Gespür weckt für die Atmosphäre des permanenten Gehetztseins, der um sich greifenden Angst und vor allem der völligen Aussichtslosigkeit. All dies, weil er sich bereits im Lager zur Aufgabe machte, nicht sein eigenes Schicksal zu überliefern, sondern der Welt da draußen zu zeigen, was typisch ist für das Konzentrationslager.
Ich spreche ein ausgeprägtes Wienerisch und hatte dadurch die Möglichkeit, viel mit Leuten umzugehen, die Intellektuelle sonst kaum kennen lernen. Ich ermutigte die Leute, über ihren Erfahrungshintergrund zu sprechen. Ich tat es systematisch und bewusst. Hätte ich mir Notizen machen können, hätte man dies fast schon "Interview" nennen können. Ich machte mir ein Gedankenspiel daraus, die Leute kurze Zeit zu beobachten und ihnen dann zu sagen, was ihr Hintergrund gewesen war. Ich konnte es fast schon an der Art und Weise erkennen, wie sie ihre Arbeitsgeräte handhabten, wie sie gingen und wie sie über das Wetter redeten.
Neben dieser "Häftlingsgesellschaft" mit ihren festgefügten Gruppen der durch farbige Abzeichen unterschiedenen "Politischen", "Kriminellen" oder "Juden" analysiert Neurath auch die organisatorische Anlage von Dachau und Buchenwald. Hinter Ortsnamen, die heute bei vielen Zeitgenossen jene fast identischen Bilder eines angeblich "unbeschreibbaren" Grauens hervorrufen, versuchte Neurath schon gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gemeinsame Muster, systematische Übereinstimmungen zu entdecken.
Nach einem halben Jahr in Dachau, wo alles sauber funktioniert und kaum ein Atemzug unbemerkt bleibt, ist man höchst überrascht, in Buchenwald genau entgegengesetzte Bedingungen vorzufinden. Alles ist dort schmutzig und desorganisiert, die Lagerleitung weiß kaum, was vorgeht. Das heißt nicht, dass der Terror in Buchenwald schwächer wäre als in Dachau. Er ist nur weniger gut durchorganisiert. In Dachau wird der Häftling mit Überregulierung und Übersauberkeit gequält, in Buchenwald mit Desorganisation und Schmutz. Deshalb ist es für einen Häftling auch so schwierig, die Frage zu beantworten, welches der beiden Lager schlimmer war. Sie sind in so vielen Hinsichten so unterschiedlich. Sie waren beide 'schlimmer’.
Paul Martin Neuraths Die Gesellschaft des Terrors; Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, herausgegeben von Christian Fleck und Nico Stehr. Das Buch, im Suhrkamp Verlag erschienen, hat 460 Seiten und kostet 29.80 Euro.