Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Paul Weller
"Den Karottenkuchen hört man auch in der Musik"

Ob mit The Jam, Style Council oder als Solist: Paul Weller hat in den letzten 40 Jahren seitenweise Musikgeschichte geschrieben. Der Mann kann es sich also leisten, ohne neues Album zu touren. Das erscheint erst Mitte Mai und trägt den Titel "Saturn's Pattern". Es ist Ausdruck eines rundum geläuterten Künstlers, der bei Tee und Karottenkuchen Rede und Antwort steht.

Paul Weller im Gespräch mit Marcel Anders | 11.04.2015
    Paul Weller tritt am 9. März 2015 im Colosseum in Watford auf.
    Paul Weller bei einem Aufritt am 9. März 2015 im Colosseum in Watford. (Imago / ZUMA Press)
    Marcel Anders: Herr Weller, ab Montag sind Sie auf Deutschland-Tournee. Stellen Sie dabei auch schon ein paar neue Stücke vor?
    Paul Weller: Definitiv. Mein nächstes Album erscheint zwar erst im Mai, aber ich werde trotzdem ein paar Songs daraus bringen. Genau wie viele alte Sachen. Denn die Band ist sehr gut eingespielt und über die letzten zwei Jahre immer besser geworden. Ich hoffe, dass wir das diesmal noch ein bisschen weiterführen, also noch einen Schritt weitergehen. Mit mehr Selbstvertrauen und noch mehr Input von allen Beteiligten. In dem Sinne, dass wir wissen, was wir da tun – und voll bei der Sache sind.
    Anders: Sie sind mittlerweile fast jährlich in Deutschland unterwegs – mit einer beeindruckenden Ausdauer. Warum?
    Weller: Weil ich es liebe, dort zu spielen. Ich mag das deutsche und ganz allgemein das europäische Publikum. Einfach, weil es sehr dankbar ist. Selbst wenn es ein Stück mal nicht kennt, so hört es doch zu. Was toll ist. Eben, dass es bereit ist, sich darauf einzulassen und entsprechend zu reagieren. Was kann man sich als Künstler noch wünschen? Es ist der Beweis dafür, dass man nur gut genug sein muss, dann gewinnt man die Leute auch für sich.
    Anders: Also obwohl Sie in Großbritannien als Nationalheld gelten und dort die größten Hallen füllen, macht es Ihnen nichts aus, auch mal durch kleine Clubs zu tingeln?
    Weller: Ich mag es einfach, in anderen Ländern aufzutreten. Und egal, wo – es ist immer gleich, aber auch immer anders. Was bedeutet, dass man nie dieselbe Reaktion bekommt. Und das finde ich toll. Als ich jünger war, war ich arrogant und dumm. Ich konnte nicht verstehen, warum ich im Ausland nicht so populär war wie in England. Aber mittlerweile bin ich nicht mehr jung, und schon gar nicht mehr dumm. Von daher bin ich dankbar für jeden Zuschauer, der zu den Gigs kommt. Und da herrscht eine echte Intimität. Was vielleicht an den kleineren Hallen liegt, aber es ist auch noch etwas anderes. Nämlich dieses Gefühl: "Hey, ich kann euch sehen." Ich schaue den Leuten direkt in die Augen, während ich spiele. Und ich denke, das ist etwas ganz Besonderes.
    Anders: Wobei Sie mit 56 viel lockerer und glücklicher wirken als in der Vergangenheit. Sehen Sie das ähnlich?
    Das Leben ist ein Test
    Weller: Ja, ich bin ganz allgemein ein viel glücklicherer Mensch. Was daran liegt, dass sich etliche Dinge in meinem Leben verändert haben, und ich mich in meiner Haut viel wohler fühle. Ich verstehe jetzt meinen Platz und meine Rolle in der Welt. Und ich bin nicht mehr so unzufrieden mit mir.
    Über Jahrzehnte hinweg dachte ich: „Es fehlt etwas – und ich weiß nicht was.“ Das ist nicht mehr der Fall, sondern ich bin so ausgeglichen, wie nie in meinem Leben. Ob das mit dem Alter, der Liebe und der Erfahrung zu tun hat? Wahrscheinlich mit all diesen Dingen.
    Anders: Dann haben Sie gelernt, das Leben zu meistern, das ja ein permanenter Test ist?
    Weller: Das Leben ist ein Test. Stimmt. Und die Leute sagen immer, dass Kinder jung halten. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber mich halten sie auf jeden Fall optimistisch. Was allein deshalb wichtig ist, weil auf der Welt momentan so viel falsch läuft. Wir steuern wirklich auf einen dritten Weltkrieg zu - und erleben gerade den Anfang davon. Nur: Wenn man kleine Kinder hat, darf man nicht pessimistisch sein, sondern muss sich optimistisch und positiv geben. Man kann ihnen nicht ins Gesicht sagen: "Hört mal, die Welt ist völlig abgefuckt und uns wird es eh nicht mehr lange geben." Das ist nicht gut für sie. Und da umzudenken, sorgt wiederum dafür, dass man alles ganz anders sieht. Ob durch erzwungenen oder echten Optimismus – das ist egal. Es ist der Optimismus, der zählt. Oder wie Curtis Mayfield gesagt hat: "Ich habe mir vorgenommen, einer der Glaubenden zu bleiben." Da bin ich bei ihm. Ich denke nicht, dass ich durchs Alter oder durch den Willen anderer zynisch oder pessimistisch werde. Und das ist wichtig.
    Anders: Eine Erkenntnis, die in Ihrem Fall auf Familienglück basiert - mit einer neuen Partnerin und neuen Kindern.
    Weller: Es ist toll, die Person zu treffen, nach der man sich immer gesehnt hat. Und die gibt es für jeden – irgendwo auf dieser Welt. Es geht nur darum, sie zu finden. Und um ehrlich zu sein: Ich weiß nicht, ob ich je diese Art von Verbindung zu jemandem gespürt habe.
    Ich meine, ich war oft verliebt, und auf unterschiedliche Art und Weise. Aber meine jetzige Frau ist wie eine Seelenverwandte. Wir sind dazu bestimmt, zusammen zu sein. Und es ist nett, so etwas im Leben zu finden – oder sich selbst im Leben zu finden.
    Anders: Und das ist das ultimative Ziel?
    Weller: Ich denke schon. Glück ist das ultimative Ziel. Das würde ich so unterschreiben.
    Anders: Wie wirkt sich das auf Ihre Musik aus – also auf die, die wir noch nicht gehört haben? Sind das Melancholische und Wehleidige da etwas zurückgetreten?
    Alkohol gegen Tee eingetauscht
    Weller: Wie gesagt: In meinem Leben haben sich viele Dinge verändert. Und nicht mehr zu trinken, macht wahrscheinlich den größten Unterschied aus.
    Es sorgt dafür, dass ich präsenter bin, endlich weiß, wer ich bin und was um mich herum passiert.
    Außerdem bin ich es leid, mich müde und krank zu fühlen. Und das hat für eine neue Perspektive auf das Leben gesorgt. Es hat mir eine Klarheit und einen Durchblick gegeben, die ich vorher nicht hatte. Und ich schätze das Leben jetzt viel mehr. Also zu leben, zu arbeiten, zu lieben und all die Dinge, die damit einhergehen.
    Anders: Noel Gallagher meint, Sie seien früher schlichtweg verrückt gewesen.
    Weller: (lacht) Im Ernst?
    Anders: Jemand, mit dem man unmöglich mithalten konnte.
    Weller: Das kann durchaus sein. Aber Noel sagt viel, wenn der Tag lang ist. Einiges davon ist wahr, einiges nicht. Nur: Es war bestimmt nicht leicht, mit mir mitzuhalten. Was halt passiert, wenn man sich zu sehr auf Alkohol und Drogen einlässt. Und ich habe da lange ordentlich zugelangt und es auch sehr genossen.
    Aber diese Person will ich nicht mehr sein. Ich will nicht mehr so über die Stränge schlagen. Und ich gefalle mir heute auch viel besser. Ich bin vielleicht ein bisschen langweiliger, aber damit kann ich leben - solange ich meinen Verstand habe.
    Anders: Angeblich haben Sie Alkohol und Drogen gegen Karottenkuchen und Tee eingetauscht.
    Weller: Das ist richtig. Ich habe kein Kokain-Problem mehr, sondern ein Kuchen-Problem. Was einfach so passiert ist. Und man hört den Karottenkuchen auch in der Musik. Er ist ein Teil davon.
    Anders: Wie war es, erstmals nüchtern an einem Album zu arbeiten? Waren sie konzentrierter, war das eine ganz neue Erfahrung?
    Weller: Ich würde sagen, es ist nicht ganz so verrückt. Bei einigen der letzten Platten war es schon ziemlich übel. Da haben wir wirklich jeden Abend gefeiert und uns regelrecht abgeschossen. Was zwar Spaß gemacht hat – nur: Es konnte nicht so weitergehen.
    Anders: Klingt als würden sie es irgendwie doch vermissen.
    "Ich bin wieder in der Lage, klar zu denken"
    Weller: Das tue ich! Und was ich am Trinken vermisse, ist dieses Kameradschafts-Ding - und gelegentlich auch die Verrücktheit und das Chaos. Denn das ist ja auch mal ganz nett. Aber es sind halt Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was man stattdessen gewinnt. Nämlich gesund und geistig fit zu sein. Und wir hatten auch so großen Spaß dabei, dieses Album aufzunehmen. Von daher macht es keinen Unterschied.
    Die andere Sache ist die: Als ich aufgehört habe zu trinken, war es wirklich merkwürdig, plötzlich völlig nüchtern auf der Bühne zu stehen. Zumal zum allerersten Mal in meinem Leben. Denn wenn du auf Tour bist, trinkst du jede Nacht, schlägst jeden Abend über die Stränge - und wenn du am nächsten Tag aufwachst, geht es wieder von vorne los. Was bedeutet: Wenn das Konzert beginnt, bist du OK. Und wenn du dein Set beendest auch, aber dann geht es so richtig zur Sache. Und das immer und immer wieder.
    Ich habe fast zwei Jahre gebraucht, um mich daran zu gewöhnen, nüchtern vor einem Publikum zu stehen. Und ich war ziemlich unsicher. Aber das ist mittlerweile verflogen, und jetzt liebe ich es, live zu spielen. Ich spüre eine ganz andere Verbundenheit zu meiner Band, meinem Publikum und meiner Musik – einfach zu allem. Und in bin in der Lage, klar zu denken, alles in mich aufzusaugen, neue Sachen zu probieren und abzusehen, wohin ich mich dabei bewege - statt mich einfach auf den Zufall oder mein Glück zu verlassen. Das genieße ich sehr - es ist viel besser.
    Anders: Wie ein natürliches High?
    Weller: Definitiv.
    Anders: Und wenn es ganz exzessiv wird, greifen Sie zu Bananenkuchen?
    Weller: Genau. Weg mit dem blöden Karottenzeug. In Deutschland holen wir den Apfelstrudel raus!
    Anders: Auf der Apfelstrudeltour 2015?
    Weller: Absolut. "Strudel auf Achse".
    Anders: Vielen Dank für das Gespräch!