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Pech für schwarze Schafe

Biologie. - Die Zahl der schwarzen Schafe nimmt stetig ab, meldet jetzt das US-Fachblatt Science und meint damit keineswegs Übeltäter, sondern eine besondere Rasse auf schottischen Inseln. Die Tiere werden gut beäugt, denn Biologen versprechen sich aus dem Phänomen neue Erkenntnisse über die Evolution.

Von Volker Mrasek |
    Die Schafe, mit denen Jon Slate arbeitet, entsprechen nicht dem gängigen Klischee. Das schickt der Biologe und Genetiker von der Universität Sheffield in England gleich mal voraus:

    "Ich möchte betonen, dass unsere Schafe weder schwarz noch weiß sind. Sondern dunkelbraun und hellbraun."

    Und selbst wenn es so wäre: In dieser Herde könnte man sowieso nicht von gelegentlichen schwarzen Schafen sprechen. Jake Gratten, auch er Biologe an der Universität Sheffield:

    "In unseren Schaf-Beständen ist die dunkle Fell-Färbung häufiger als die helle. Zwei Drittel bis drei Viertel der Tiere sind dunkelbraun."

    Auch sonst unterscheiden sich die von Slate und Gratten untersuchten Bestände von den gewohnten Weideherden:

    "Diese Schafe stammen von einer Inselgruppe vor der schottischen Westküste. Eine der Inseln heißt Soay. Das bedeutet Insel der Schafe. Die Tiere waren einst domestiziert. Aber seit etwa 4.000 Jahren leben sie jetzt schon frei in der Wildnis. Auf Hirta, einer weiteren Insel, gibt es heute um die tausend Schafe. Die Tiere sind sehr primitiv geblieben. Sie ähneln dem Vorläufer aller europäischen Schaf-Arten, dem Mufflon."

    Wie Mufflon-Böcke tragen auch die männlichen Soay-Schafe auffällige, kreisförmig gebogene Hörner.

    "Diese Population ist deshalb ein lohnendes Studienobjekt, weil sie seit 20 Jahren unter wissenschaftlicher Beobachtung steht. Zu jedem Schaf, das seither in unserem Untersuchungsgebiet geboren wurde, liegen Daten vor."

    Diese Langzeit-Daten haben die Forscher überrascht. Denn sie zeigen: Der Anteil der vermeintlichen schwarzen Schafe in dem Bestand nimmt ab. Er ist heute acht Prozent niedriger als noch vor 20 Jahren. Und das, obwohl Tiere mit tiefbraunem Fell größer sind als ihre hell gefärbten Artgenossen. Aus evolutionsbiologischer Sicht sollte man daher erwarten, dass sich die dunklen Schafe immer stärker durchsetzen. Denn großen Tieren wird allgemein eine bessere Fitness zugeschrieben als kleinen. Die dunkelbraunen Soay-Schafe müssten deshalb eigentlich einen Selektionsvorteil haben; ihr Anteil an der Population sollte steigen. Doch er geht zurück. Nach aufwändigen genetischen Untersuchungen wissen Slate und die anderen Forscher jetzt, woran das liegt:

    "Es hat sich herausgestellt: Das Gen für die dunkle Fellfarbe liegt sehr dicht neben anderen Erbanlagen im Genom der Tiere, die nicht nur über die Körpergröße entscheiden, sondern auch über Fortpflanzungserfolg und Lebenserwartung. Diese Gene werden als zusammenhängender Komplex vererbt. Es stimmt tatsächlich: Dunkle Fellfarbe und großer Körperwuchs sind gekoppelt. Aber die anderen Gene in dem Komplex beeinflussen den Fortpflanzungserfolg und die Lebenserwartung negativ. Es ist also anders als gedacht: Die dunklen Schafe sind kräftiger, aber dennoch nicht so fit wie ihre hellen und leichteren Artgenossen."

    Survival of the fittest – nach den Vorstellungen der Evolutionsbiologie überleben in einer Population immer die fittesten Tiere. Die britischen Forscher rütteln nicht etwa an diesem Dogma. Doch ihre Untersuchungen an den Wildschafen legen nahe, dass man die Sache differenzierter sehen muss. Die fittesten Vertreter einer Art sind nicht zwangsläufig die größten. Nicht immer, könnte man auch sagen, setzt sich der körperlich Stärkere durch. Was im übrigen auch für andere Arten gelten dürfte, wie die Briten glauben. Ihre dunkelbraunen Soay-Schafe mögen noch immer deutlich in der Mehrzahl sein. Doch irgendwann wird die Evolution sie zu Außenseitern machen. Insofern sind es wohl doch Schwarze Schafe.