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Pechstein bestreitet Doping

Der Internationale Sportgerichtshof CAS wird frühestens im Herbst ein Urteil in der Dopingaffäre Claudia Pechstein fällen. Die Eisschnellläuferin war Ende letzter Woche wegen auffälliger Blutwerte für zwei Jahre gesperrt worden. Die fünfmalige Olympiasiegerin bestreitet Doping, die Deutsche Eisschnelllaufgemeinschaft wiederholte ihre Beschuldigung, der Weltverband ISU habe Verfahrensfehler begangen.

Von Thomas Kistner |
    Claudia Pechsteins Retikulozytenwerte gelten in der Fachwelt als unerreicht. Bei Gesunden liegt der Normalwert dieser Blutbildungszellen bei 0,5 bis 1,5 Prozent. Bei ihr waren im Februar wiederholt 3,5 gemessen worden. Fachleute aus Unis und Laboren bieten scharenweise ihre Hilfe an. Sie fasziniert der vermeintlich spektakuläre Fall.

    Alle staunen, wie es sein kann, dass die immerzu hochschießenden Blutbildungswerte der Athletin keinen Effekt auf die Blutparameter auslösten, die davon ja heftig stimuliert werden müssten: Auf Hämoglobin und Hämatokrit, die roten Blutkörperchen. Wie kommt es, dass eine sensationell erhöhte Blutproduktion nur zu ganz normalen Hämatokritwerten führt?

    Hier klafft eine wichtige Verständnislücke zwischen Medizin und Profisport. Tatsächlich ergibt sich dieses Wertephänomen nur, wenn sicher ist, dass die Blutwerte ohne vorherige Manipulation erhoben wurden: also ganz überraschend. Denn die roten Blutköperchen können, anders als der nicht künstlich absenkbare Retikulozytenwert, jederzeit sehr stark manipuliert werden: Durch starkes Trinken oder über Plasmainfusionen, etwa mit Albumin, das in allen Dopingaffären jüngerer Zeit eine Rolle spielt: beim Blutpanscher Fuentes in Madrid, in der Wien-Affäre und beim olympischen Winterspiel-Skandal in Turin. Damals mussten die von der Polizeirazzia überrumpelten Athleten fast gewaltsam von ihren Wasserflaschen getrennt werde. Natürlich wurde der Blutverdünner Albumin auch hier gefunden.

    Das Wissen um diese Tricks hat der Weltverband ISU im Fall Pechstein berücksichtigt, bestätigt nun Chefarzt Harm Kuipers. Auch bei den Eislauftests gab es bisher keine intelligenten Kontrollen. Um die nach dem Wettkampf weiß jeder Athlet, auch bei Trainingstest wissen Athleten stets Stunden oder Tage vorher Bescheid; und die Bluttests der ISU werden sogar offiziell angekündigt. Schon im Juli 2008 teilte die ISU mit:

    ""Information über den Zeitpunkt der Bluttests erhalten alle Teamchefs, Coaches und Skater im Hotel. Diese Notiz erhält jeder Teamchef auch am Abend vorher in seine Mailbox.”"

    Pechsteins Teamchef Helge Jasch bestätigt nun, dass die ISU auch am Tag vor den Bluttests in Hamar diese Ankündigung gegeben hatte. In allen Parametern stichhaltige Blutwerte sind so nicht zu erzielen.

    Während Pechstein und der Deutsche Eisverband DESG die Beweislast auf Seiten der ISU sehen, bringen Rechtsexperten auch diese Front ins Wanken. Einen Dopingverstoß muss zwar die ISU der Athletin nachweisen. Doch die behauptete Blutkrankheit muss die Athletin selbst nachweisen, die ja in dem Fall zur Patientin wird. Ansonsten wäre ein Indizienprozess im Dopingkampf, wie er hier erstmals geführt wird, unmöglich: Dann müssten beschuldigte Sportler einfach nur eine - wie hier gegeben - unbekannte Erkrankung behaupten, sich aber weigern, den Nachweis dafür anzutreten. Diese Weigerung hat Pechstein ihre Sperre eingetragen.