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Pechstein zu Unrecht unter Doping-Verdacht?

Medizin.- Im vergangen Jahr geriet Eisschnellläuferin Claudia Pechstein unter Dopingverdacht. Nun deuten Untersuchungen darauf hin, dass Anomalien im Blut der Sportlerin nicht etwa von Doping verursacht wurden, sondern von einer vererbten Erkrankung. Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen berichtet im Interview mit Monika Seynsche.

15.03.2010
    Monika Seynsche: Claudia Pechstein ist die bislang erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin mit fünf Goldmedaillen, zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen. 2009 allerdings geriet sie unter Dopingverdacht, nachdem bei der Weltmeisterschaft im norwegischen Hamar in ihren Blutproben ungewöhnliche Veränderungen nachgewiesen wurden. Aufgrund von Indizien wurde sie des Blutdopings überführt und von der internationalen Eislaufunion für zwei Jahre gesperrt. Frau Pechstein selbst betont bis heute, dass diese Anomalien genetisch bedingt seien und sie nie gedopt habe. Heute nun hat die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie zu einer Pressekonferenz eingeladen und dort verkündet, dass Claudia Pechstein an Kugelzell-Anomalie leidet. Marieke Degen beobachtet die Pressekonferenz für uns, Frau Degen, was ist denn das für eine Krankheit?

    Marieke Degen: Also bei der Kugelzell-Anomalie handelt es sich um eine erbliche Erkrankung, bei der die Form der roten Blutkörperchen verändert ist. Rote Blutkörperchen sind normalerweise, kann man sich vorstellen, kugelförmig, aber plattgedrückt, durch bestimmte Eiweiße in der Zellmembran und das ist auch gut so, denn diese Eiweiße machen die Blutkörperchen elastisch. Das heißt, die können den Sauerstoff wirklich ziemlich schnell durch die kleinsten Äderchen transportieren. Bei der Kugelzell-Anomalie fehlen diese Eiweiße, die die Membran elastisch machen. Das heißt, die Blutkörperchen sehen eher wie kleine Kugeln aus, sie sind auch etwas kleiner als normale rote Blutkörperchen und sie sind instabiler, das heißt, sie werden in der Milz schneller abgebaut. Und deswegen müssen im Knochenmark auch permanent immer wieder neue Blutkörperchen gebildet werden.

    Seynsche: Was hat das denn dann mit Doping zu tun?

    Degen: Die Internationale Eislaufunion hat Claudia Pechstein ja gesperrt im Februar 2009, weil sie im Blut unnormal viele Retikulozyten gefunden hat. Retikulozyten sind ganz, ganz junge, also neugebildete rote Blutkörperchen und normalerweise ist es so, dass auf 100 rote Blutkörperchen ein junges Retikulozyten-Blutkörperchen kommt sozusagen. Bei Claudia Pechstein war der Wert aber erhöht. Bei Ihr waren es über drei auf 100. Und bei Menschen mit einer Kugelzell-Anomalie ist das auch völlig normal, weil die eben, wie schon erwähnt, mehr Blutzellen in der Milz abbauen und deswegen auch mehr neue bilden müssen. Aber diese Retikulozyten könnten auch ein Hinweis darauf sein, dass jemand gedopt hat und zwar mit Epo. Epo regt ja die Bildung von roten Blutkörperchen an, damit im Blut mehr Sauerstoff transportiert werden kann und der Sportler dann mehr Ausdauer erfährt. Und so hat die Internationale Eislaufunion auch argumentiert, dass ist ein indirekter Nachweis dafür, dass Frau Pechstein möglicherweise Epo genommen hat oder gedopt hat.

    Seynsche: Und warum sind sich diese drei Hämatologen jetzt so sicher, dass sie nicht gedopt hat, sondern diese Anomalie hat?

    Degen: Also das liegt ein bisschen in der Natur des Dopings. Wer mit Epo dopt, der muss eigentlich zwei Wochen vor dem Wettkampf damit anfangen, damit auch zum Wettkampf genügend rote Blutkörperchen da sind. Das heißt, vor dem Wettkampf, zwei Wochen vorher, sind die Retikulozyten extrem erhöht. Weil ich möchte ja zum Wettkampf mehr Blutkörperchen haben und am Wettkampftag selber habe ich mehr rote Blutkörperchen und damit auch mehr Hämoglobin, was man nachweisen kann, also dieser rote Blutfarbstoff, der den Sauerstoff bindet und transportiert. Wenn die Leute aufhören, mit Epo zu dopen, dann sinkt die Zahl der Retikulozyten, also dieser Vorläuferzellen, ganz, ganz rapide ab auf Werte unter eins. Die Ärzte haben sich jetzt mal die Langzeitwerte von Frau Pechstein angeschaut, die in den letzten zehn Jahren gesammelt worden sind und da haben sie eben gesehen, dass die Retikulozyten immer in einem recht hohen Bereich lagen. Die haben zwar sehr geschwankt, aber sie waren eigentlich immer über zwei oder über drei. Aber das Hämoglobin, also auf das es eigentlich ankommt beim Wettkampf, das war gerade an den Wettkampftagen im Normbereich oder sogar noch unter dem Normbereich. Das heißt, wenn sie gedopt hätte, dann hätte sie das ziemlich schlecht angestellt, weil sie nämlich nichts davon gehabt hätte. Und das weist eher darauf hin, dass Claudia Pechstein tatsächlich an einer Krankheit leidet – zumal man niemals Epo bei ihr im Blut oder im Urin hat nachweisen können.

    Seynsche: Sie hatten ganz am Anfang gesagt, dass diese Krankheit erblich bedingt ist, also genetisch ist. Wie kann man diese Krankheit denn zweifelsfrei nachweisen?

    Degen: Also einen Gentest, den gibt es nicht. Es gibt wohl mehr als 200 Veränderungen im Erbgut, die für diese Krankheit verantwortlich sind, die kennt man auch alle noch nicht so genau. Man kann die Kugelzell-Anomalie anhand von einer Blutanalyse nachweisen, da gibt es sehr ausgefeilte Methoden auch recht neue Methoden, die jetzt erst im letzten Jahr vorgestellt worden sind. Und das hat man auch bei Claudia Pechstein angewandt und zweifelsfrei zeigen können, dass sie an einer Kugelzell-Anomalie leidet. Genauso ihr Vater, von dem sie diese Erkrankung wahrscheinlich geerbt hat, ihre Geschwister sind aber von der Kugelzell-Anomalie verschont geblieben.

    Seynsche: Wirkt sich diese Anomalie denn auf die körperliche Fitness aus? Also hat sie dadurch weniger Fitness, als sie eigentlich haben müsste?

    Degen: Nein, bei Claudia Pechstein nicht. Sie leidet nämlich an einer sehr milden Form dieser Anomalie. Die ist zwar im Labor auffällig – man sieht das an den Blutwerten – aber sie schlägt sich nicht auf ihre körperliche Fitness nieder. Es gibt Menschen, die deutlich schwerer an dieser Erkrankung leiden und die dann auch richtig anämisch wirken, das heißt, sie sind müde und abgeschlagen, haben Kopfschmerzen, manchmal sogar auch Atemnot. Und es kann sogar zu sogenannten hämolytischen Krisen kommen, das heißt, das zu viele rote Blutkörperchen zu schnell abgebaut werden und dann bekommen die Menschen wirklich Gelbsucht, Fieber, Schüttelfrost. Aber davon ist Frau Pechstein Gott sei Dank noch nicht betroffen.

    Seynsche: Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie hatte ja zu dieser Pressekonferenz eingeladen und die Pressekonferenz betitelt: "Der Fall Pechstein aus medizinischer Sicht geklärt". Das klingt ziemlich plakativ. Warum hängt sich diese Gesellschaft da so rein?

    Degen: Das habe ich Gerhard Ehninger auch gefragt. Er ist der Vorsitzende der Gesellschaft und er hat gesagt, wir sind hier die Experten und uns geht es nur um sportliche Fairness und Ungerechtigkeit im Fall Pechstein. Die Ergebnisse sind ja zum Großteil auch nicht neu. Die haben deutsche Experten schon länger vorliegen, haben sie auch dem Internationalen Sportgerichtshof angetragen, aber die wurden da nicht genug berücksichtigt und das hat die Gesellschaft offenbar gewurmt, so dass sie jetzt noch mal ein Exempel statuieren wollten.

    Seynsche: Der Fall Pechstein war ja immer wieder der Beweis dafür, dass es das erste Mal geglückt ist, eine indirekte Nachweismethode für Doping durchzusetzen. Ist das jetzt der Todesstoß für jeden indirekten Nachweis?

    Degen: Nein, ganz klar nicht. Also da waren sich auch die Experten ganz klar einig. Der Fall Pechstein zeigt ja nicht, dass dieses indirekte Nachweisverfahren nicht funktioniert, denn die Werte waren ja tatsächlich erhöht. Nur die Ursache war halt eine andere. Die Ursache ist bei ihr eine Erkrankung. Aber die Experten sagen auch ganz klar bei diesen indirekten Nachweismethoden, man muss die Werte einfach differenziert betrachten. Und die Welt-Antidopingagentur Wada hat ja ab dem 1. Januar dieses Jahres so eine Art Blutpass eingeführt, wo von den Athleten über einen längeren Zeitraum immer wieder mit standardisierten Messmethoden Blutwerte genommen werden, ganz bestimmte Blutwerte, die Retikulozyten sind darunter, Hämoglobin – noch viele andere. Und dass man da dann vielleicht auch Blutveränderungen besser beurteilen kann.

    Seynsche: Vielen Dank an Marieke Degen über die Blutuntersuchung im Fall Claudia Pechstein.