
"Philippinisches Flugzeug, dies ist die letzte Warnung! Entfernen Sie sich, oder Sie tragen Verantwortung für die Konsequenzen."
Solche Drohungen sind Alltag im Seegebiet zwischen dem Golf von Thailand im Südwesten und dem Golf von Tonking im Nordwesten. Nirgendwo auf der Welt konzentriert sich so viel militärische Feuerkraft:
Chinesische Kriegsschiffe, amerikanische Flugzeugträger, philippinische Zerstörer, vietnamesische Fregatten, ungezählte Kampfjets – dazu hunderte Fischerboote, die sich ihr Recht auf einen guten Fang ertrotzen wollen.
Man zeige Präsenz, um zu demonstrieren, dass die USA keine Angst vor China hätten – erklärt Leutnant Lauren Callen von der US-Navy während einer Aufklärungsmission. Von ihrem Flugzeug aus sind auf vielen Inseln Landebahnen und Bohrplattformen erkennbar, die China hat bauen lassen.

Spratly und Paracel – die Namen zweier Inselgruppen stehen für den Konflikt um reiche Fischgründe, sowie große Öl- und Gasreserven. Vor allem aber um die Kontrolle einer der bedeutendsten Schifffahrtsrouten der Welt, um Billionen von Dollar. Ein Drittel des Welthandels wird über das südchinesische Meer abgewickelt - der Streit berührt also auch Europa ganz erheblich.
"Amerikanisches Flugzeug. Dies ist chinesisches Hoheitsgebiet. Entfernen Sie sich sofort und halten Sie Distanz, um Missverständnisse zu vermeiden."
China begründet seinen Anspruch auf das Südchinesische Meer historisch mit der sogenannten "Neun-Striche-Linie" – mit Feder-Strichen auf einer Seekarte markierte die chinesische Regierung recht willkürlich ihr Herrschaftsgebiet. Logisch ist das nicht, wenn man sich die Region in der Draufsicht anschaut - die Anrainerstaaten Philippinen, Malaysia, Vietnam, Brunei und Taiwan haben viel längere Küstenlinien rund um jenes Randmeer des pazifischen Ozeans.
Er werde per Jet Ski zum Scarbourough-Riff zu fahren, um dort die philippinische Flagge zu hissen, drohte damals der philippinische Präsident Rodrigo Duterte.
Die alten Spannungen zwischen Manila und Peking brechen gerade wieder heftigst hervor. Die chinesische Marine bedrohte das größte philippinische Kriegsschiff, Manila verfasste neue diplomatische Beschwerden. Und dann kam auch noch dieses Lied:
"I-isang-dagat" heißt es, gewidmet den Helden im Kampf gegen die Corona-Pandemie – der chinesische Botschafter in Manila hat es komponiert. Doch auf Philippinisch bedeutet der Text sinngemäß "ein Meer". ‚China reibt uns seinen Anspruch auf das Seegebiet unter die Nase‘ – so kam das an, und die Philippiner haben geschäumt vor Wut.
Auch die militärischen Spannungen zwischen den USA und China nehmen wieder zu. Ende April erreichte ein amerikanisches Kriegsschiff die Region um die Paracel-Inseln. Peking entsandte Flugzeuge und Schiffe, die das US-Schiff beobachteten und warnten, die Region sofort wieder zu verlassen. Die USA seien ohne Genehmigung in chinesische Hoheitsgewässer eingedrungen, so ein Sprecher in Peking. Das Südchinesische Meer bleibt ein Pulverfass – mit dem Potential zu einem Krieg.
Unter einer der Palmen sitzt ein älterer Mann, der frische Kokosnüsse verkauft, für umgerechnet 1,50 Euro pro Stück. Mit einem Hackmesser öffnet er die Kokosnüsse und deutet dann auf das idyllische Meer.
"Von der Regierung erfahren wir nicht, was dort unten im Südchinesischen Meer los ist. Militärische Dinge sind Geheimsache."
Seinen Namen will der 70-jährige Kokosnussverkäufer nicht nennen, aber er erzählt gerne über das, was er aus den staatlichen chinesischen Medien weiß - über das riesige Meeresgebiet, das südlich seiner Heimatstadt liegt.
"Im Südchinesischen Meer bereitet sich unser Militär auf einen Krieg vor. Die USA senden immer wieder Flugzeugträger, um China zu schikanieren. Das ist jedenfalls das, was ich gehört habe ... Unser Militär hat Soldaten und Raketen stationiert in der Gegend und ist bereit für einen Krieg."
Über die allesamt staatlich kontrollierten Medien in China wird diese Sichtweise seit Jahren verbreitet: Für die wachsenden Spannungen im Südchinesischen Meer seien nicht China oder die angrenzenden Länder verantwortlich, sondern vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika. Das sagt so auch Zhou Shixin, Asien-Pazifik-Experte beim staatlichen Shanghaier Institut für Internationale Studien.
"Die USA ergreifen Partei und schlagen sich auf die Seite bestimmter Anrainerstaaten. Aber nicht nur das: Die US-Regierung schickt auch Kriegsschiffe in die Region. Das fordert Chinas nationale Souveränität heraus und berührt unsere Sicherheitsinteressen. Die USA verhalten sich sehr aggressiv."
Die US-Regierung argumentiert anders. Beim Südchinesischen Meer handele es sich um internationales Hoheitsgebiet. Wenn die US-Marine dort also mit Kriegsschiffen unterwegs sei, dann gehe es schlicht darum, die "Freiheit der Seefahrt" zu sichern. Zhou Shixin vom regierungstreuen Shanghaier Institut für Internationale Studien widerspricht.
"Seit 2009 gibt es von Seiten der USA eine neue Strategie fürs Südchinesischen Meer. Die US-Regierung ist nicht mehr neutral, sondern sie mischt sich aktiv ein. Die USA versuchen, Einfluss zu nehmen auf das Geschehen im Südchinesischen Meer."
"Es handelt sich hier um das typische chinesische Narrativ: Die USA sind immer der Unruhe-Stifter. Aus Sicht der Führung in Peking ist das nachvollziehbar: Denn wenn sich die USA raushielten, würde es wohl tatsächlich wahrscheinlicher, dass sich die angrenzenden Staaten mit China einigen."
Insgesamt erheben neben der Volksrepublik fünf weitere Anrainer offiziell Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer: die Philippinen, Malaysia, Taiwan, Brunei und Vietnam. Je nach geografischer Lage benennen die verschiedenen Staaten das rund dreieinhalb Millionen Quadratkilometer große Meeresgebiet unterschiedlich: Während in China von "Nan Hai" (南海) die Rede ist – übersetzt: Süd-Meer -, spricht man in Vietnam zum Beispiel vom "Bien Dong" (Biển Đông), auf Deutsch: Östliches Meer.
Alle sechs Anrainer wissen: Wer in dem Gebiet das Sagen hat, kontrolliert nicht nur reiche Fischgründe und Öl- und Gas-Vorkommen in der Gegend, sondern auch eine der wichtigsten Schiffshandelsrouten der Welt. Nach einer Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik fahren jedes Jahr mehr als 60.000 Handelsschiffe durch das Südchinesische Meer. Die Volksrepublik China ist unter den Anrainerstaaten zweifelsohne das mächtigste Land: wirtschaftlich, politisch und erst recht militärisch.
"China hat seine exakten Grenzen im Südchinesischen Meer nie genau festgelegt. Der einzige Bezugspunkt, den wir haben, ist die Neun-Striche-Linie. Diese gestrichelte Linie ist auf einer Seekarte verzeichnet, die China den Vereinten Nationen übergeben hat. Chinas Ansicht ist, dass alles, was innerhalb dieser gestrichelten Linie liegt, chinesisches Gebiet ist."
"Vereinfacht gesagt hat Chinas Führung keine rechtliche Grundlage für ihre Gebiets-Ansprüche. Sie hat sich stattdessen entschieden für einen ziemlich dubiosen juristischen Ansatz, um diese Ansprüche zu rechtfertigen."
Chinas Staats- und Parteiführung zeigt sich trotz aller internationaler Kritik an ihrer Rechtsauffassung unbeeindruckt. Sie steckt weiterhin jedes Jahr Milliarden in die Infrastruktur der Inseln, sowohl in militärische Anlagen, als auch in den zivilen Bereich. So erforschen inzwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie auf dem häufig nur spärlich vorhandenen unfruchtbaren Boden der kleinen Inseln Nutzpflanzen angebaut werden können.
Ein symbolisch wichtiger Schritt war außerdem Mitte April die Schaffung von zwei neuen Verwaltungsbezirken im Südchinesischen Meer. Damit wollten die chinesischen Behörden verdeutlichen: Es handelt sich bei den Inseln im Südchinesischen Meer nicht einfach nur um besetzte Inseln, wie die Anrainerstaaten sagen, sondern um chinesisches Kern-Territorium.
"Das birgt die Gefahr weiterer Eskalation, bis hin zu Zusammenstößen. Vor allem China tritt im Südchinesischen Meer auf verschiedenste Weise sehr selbstbewusst auf und schafft so Fakten."
Nach einem chinesischen Regierungsbericht ist die US-Marine in den vergangenen Jahren deutlich häufiger mit ihren Schiffen durchs Südchinesische Meer gefahren als früher. Die Möglichkeit eines militärischen Zwischenfalls oder eines versehentlichen Gefechtes zwischen China und den USA steige, warnte ein chinesischer Regierungsberater Ende Juni.
Den Kokosnussverkäufer am idyllischen Strand von Sanya an der Südspitze Chinas lässt diese Aussicht kalt.
"Unsere Regierung sagt: Die USA sind schlecht. Aber uns, die Bevölkerung, interessiert das nicht. So lange wir Geschäfte machen können mit denen, ist der Rest egal. Gute und schlechte Menschen gibt es in jedem Land. Dass Chinas Führung jetzt sagt: Die USA sind schlecht, das geht uns hier nichts an. Das ist die Sache der Politiker, nicht der normalen Leute."
"Ich habe jetzt kaum noch Kunden. Früher haben viele Touristen aus dem Westen bei mir eingekauft, aber seit die Chinesen da sind, bleiben die weg. Sie hören ja, wie unerträglich es geworden ist, eine einzige Baustelle. Und die Chinesen – die kaufen nichts bei mir, die haben ihre eigenen Läden eröffnet."
Über 12 Milliarden Dollar haben chinesische Unternehmer in das einstmals verschlafene Küstendorf am Golf von Thailand investiert.
Karaoke Bars, Tabledance, Nachtclubs, Supermärkte, Massagesalons, Apotheken - alles chinesisch. Fast 100 Spielcasinos sind in Sihanoukville entstanden, mehr als im chinesischen Spielerparadies Macao. Kambodschanern ist der Zutritt verboten. Theoretisch könnten sie in den Casinos arbeiten – doch die chinesischen Besitzer erwarten, dass ihre Angestellten fließend Mandarin sprechen.
So entstehen trotz Milliardeninvestitionen so gut wie keine neuen Jobs für Einheimische. Explodierende Mieten und Ladenpreise haben viele Kambodschaner aus ihrer Stadt vertrieben – in die Slums am Rande Sihanoukvilles. "Es ist beängstigend", sagt die Geschäftsfrau Sokny Say:
"Auf der Webseite der Stadt wird das chinesische Investment gefeiert. Die Regierung ist so glücklich mit dem Engagement der Chinesen. Aber das Volk ist es nicht. Denn der Punkt ist: Die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer."
Kambodscha ist eines der korruptesten Länder der Erde. Ministerpräsident Hun Sen, der das Land diktatorisch regiert, bezieht offiziell ein Monatsgehalt von rund 1.500 Dollar - und ist Milliardär. Die größte Oppositionspartei hat er auflösen lassen, Regimekritiker werden brutal verfolgt. Und im Gegensatz zur Europäischen Union investiert China in die Infrastruktur des unterentwickelten Staates und leistet Militärhilfe, ohne dafür die Einhaltung von Menschenrechten anzumahnen, sagt Dr. Ian Storey vom Institut für südostasiatische Studien.
"In Kambodscha profitieren von dieser Beziehung sicherlich am meisten die Eliten. Der lokalen Wirtschaft hilft es oft wenig, wenn China in ein Land investiert. Denn die Chinesen bringen ihre eigenen Arbeiter mit, ihr Essen, ihr Konstruktionsmaterial und so weiter und so fort. Also - da bleibt wenig hängen in der lokalen Wirtschaft."
Vietnam verdient viel Geld mit der Produktion für den einstigen Kriegsgegner USA – ein attraktiver Standort für westliche Unternehmen. Auf den Straßenmärkten hängen Hotschi-Minh-T-Shirts neben Levis Jeans. Gerade vor dem Hintergrund des bis heute identitätsstiftenden Vietnamkrieges hält Dr. Ian Storey Vietnams Beziehung zu China für geradezu schizophren.
"Ohne China hätte Vietnam diesen Krieg nie gewinnen können. Gleichzeitig empfinden viele Vietnamesen die Chinesen als arrogant und brutal in ihrem Machtstreben und fürchten um ihre politische Unabhängigkeit."
"Das ist es, was die Staaten Südostasiens wirklich beunruhigt. Die Frage, ob Südostasien der Ort sein wird, an die USA und China ihre wachsende Rivalität austragen. Die Angst gegeneinander ausgespielt zu werden. Die Angst, eine Entscheidung für eine Seite treffen zu müssen – ob es nun um Handel geht, Sicherheit, Technologie, Rüstungsgüter und so weiter. "
Singapur, Malaysia, die Philippinen, Indonesien, Vietnam oder Thailand entwickeln sich gut im Gleichgewicht zwischen den beiden Machtblöcken. Kambodscha gilt als Warnung, sich möglichst nicht für eine Seite zu entscheiden - und damit auszuliefern.