...der 68er-Generation. Geneviève, seine Schwiegertochter, die Mutter von Golaud sowie dessen Halbbruder Pelléas, wird in Jossi Wielers Inszenierung von Danielle Grima als Alt-Alternative dargestellt – mit reichem Sortiment an geblümter und gesternten Röcken, gestählt vom Töpfern in der Toskana und den Selbstbefreiungs-Trommelkursen in Sambia: eine unendlich nachsichtige und allzu nachgiebige Mutti und Oma, die ganz offensichtlich mit der Verantwortung für ihren Enkel Yniold überfordert ist. Der Kleine hantiert heftig mit Plastik-Panzer und Jagdbombern; er tritt heftig gegen die Wände und bearbeitet diese auch aus vollen Händen mit Farbe, vor der schließlich selbst der helle Anzug des Vaters Golaud nicht verschont bleibt.
Als auf der Jagd verirrter Witwer Golaud drückt sich Oliver Zwarg, exemplarisch ein mittlerer Angestellter und von robustester Natur, im Wartebereich herum; dort gabelt er mit der womöglich frisch aus Osteuropa importierten Alla Kravchuk, der zumindest leicht verwirrt und ziemlich verhuscht wirkenden Mélisande, fast beiläufig seine neue Frau auf. Die aber fühlt sich sichtbar rasch zum nichtsnutzigen Pelléas hingezogen, der ein breites Sortiment Sportkleidung zu Schau stellt; doch erst einmal diszipliniert sich Golaud um des Familienfriedens willen. Freilich brechen dann die Dämme des angestauten Frusts und der Eifersucht. Mit drei Schüssen streckt er Pelléas nieder und verletzt seine schwangere Frau so schwer, dass sie sich nicht mehr erholt.
Vordergründig haben Wieler und Morabito die alte, archaisierende Geschichte neu und modern erzählt. Doch das Konzept der Familientherapie in Hannover geht nicht auf. Denn es ist so gar nicht einsichtig, warum Golaud zwischen elastischer Binde über der Schulter und computernervösen Fingern ein Schwert zu braucht, warum die Familienmitglieder singend Sie zueinander sagen und was es mit der Krone auf sich haben sollte, die Mélisande anfänglich beim Weinen ins (nicht vorhandene) Wasser stürzt. Zu wesentlichen Dimensionen des Werks verhält sich die Inszenierung einfach gar nicht. Ihr dramaturgischer Grundfehler ist: dass sie die historische Königsebene in das Milieu eines finanziell aufgeblasenen Kleinbürgertums am Rande der Gegenwart transponiert, für das die Delial- Sonnencreme bedeutend wichtiger ist als die Delikatesse des Maeterlinck-Texts. Mit ihrem brutal banalisierenden Zugriff tragen alternde Jungtheatermacher wie Jossi Wieler frischfröhlich zu jenem "Kulturabbau" bei, als dessen Betreiberin sie die politische Klasse der Republik denunzieren.
Link: mehr ...
1061.html