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"Pelléas et Melisande"

Die krisengeschüttelte Deutsche Oper in Berlin hat seit Beginn der neuen Spielzeit eine neue Intendantin: Kirsten Harms, zuvor Operndirektorin in Kiel. Wirklich verantwortlich kann sie für diese und die nächste Spielzeit allerdings nur formell zeichnen, denn was in diesem und im kommenden Jahr aufgeführt werden wird, haben noch ihre Vorgänger festgelegt. Die Deutsche Oper allerdings sucht einen neuen Generalmusikdirektor, und über den könnten natürlich auch schon die aktuellen Produktionen Aufschluss geben. Das Werk, das gestern auf dem Spielplan stand, gilt als nicht einfach: Claude Débussys "Pelléas et Melisande" nach dem symbolistischen Schauspiel von Maurice Maeterlinck.

Von Georg Friedrich Kühn |
    In einem unterirdischen Betonbunker lässt Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli das Ganze spielen. Die Familiengeschichte des Hauses Allemonde ist eine Untergangsgeschichte. Feucht und kalt ist es in dieser Betonhöhle. Der Wasserstand steigt.

    In Nischen kauern oder lagern einzelne Familien-Mitglieder. Das Familien-Oberhaupt sitzt im Rollstuhl, künstlich ernährt am Tropf. Nur der junge Herr des Hauses, Golaud, scheint äußerlich jedenfalls kaum angekränkelt. Immer wieder stapft er mit seinen Schieß-Kumpanen hinaus zur Jagd.

    Dort hat er auch Mélisande aufgegabelt. Ein weiches schmales geistartiges Wesen mit Rapunzel-Haaren. In ihrem langen weißen Kleid scheint sie immun gegen die Unbill der Wetter. Eine Undine mit Boots-Untersatz.

    Das Boot ist auch das Haupt-Requisit dieser Neuinszenierung von Debussys einst bahnbrechendem Werk an der Berliner Deutschen Oper. Das Boot ist Sonnendach und Schutzschild. Auf seinem Rücken streckt sich Mélisande beim flirtenden Liebesspiel mit Schwager Pelléas, der berühmten Turmszene.

    Als Leiter benutzt der eifersüchtige Ehemann Golaud dies Wassergefährt, wenn er den Knaben Yniold auf den Sprossen hochklettern lässt, um das vermutete ehebrecherische Treiben der beiden reportiert zu bekommen.

    Dies weiße Boot ist dann auch der Todeskahn, auf dem die im Kindbett sterbende Mélisande hinüber gleitet in die andere Existenzform des Seins. Aufrecht stehend wie der Engel in Böcklins berühmtem Todesinsel-Gemälde gleitet sie hinweg.

    Geleitet wird sie dabei von jungen Frauen in bunten Sommerkleidern. Sie entschwindet hinter einer wie ein Brennofen sich öffnenden Schleuse.

    Eher preziös und nicht ganz frei von Kitschverdacht – zumal mit diesem Schluss – ist das geraten. Das vermeintlich Poetische bemüht allzu geläufige Bilder. Der angedachte gesellschaftskritische Affekt bleibt aufgesetzt.

    Typisch für eine Produktion eines inszenierenden Bühnenbildners, der Marelli von Haus aus ja ist: es fehlt die Reibung zwischen Bühne und Szene. Alles wird untergeordnet einer Bildidee. Unstimmigkeiten zwischen szenischen Vorgängen und Bild werden negiert.

    Besonders befremdlich wirkt, dass trotz Einheits-Bühnenbild immer wieder längere Umbaupausen eingelegt werden müssen. Für Debussys wie vegetativ sich entfaltende Musik eher störend.

    Immerhin hat man an der Deutschen Oper ein exzellentes Sänger-Ensemble aufzubieten. Eine wunderbar weich artikulierende Mélisande ist Véronique Gens. Den quicken Pelléas gibt Richard Croft, den Brutalo Golaud, der seine Mélisande noch auf dem Sterbebett attackiert und demütigt, Laurent Naouri.

    Am Pult steht Marc Albrecht. An der Deutschen Oper hat er schon einige Produktionen mit geschultert, und manche wünschen sich ihn als Nachfolger für Christian Thielemann, der im Streit den GMD-Posten im Frühjahr schmiss.

    Albrecht benötigt an diesem Abend aber doch einige Zeit, um das Orchester auf jenen Debussy-typischen Klang einzuschwören, der ihm in den besten Momenten wie der Turmszene dann auch gelingt. Insgesamt spielt das Orchester aber doch sehr diszipliniert, wenn auch nur ausnahmsweise mit dem flirrenden Timbre, das Debussys Musik braucht.

    Das Publikum jedenfalls war es voll zufrieden und bejubelte die Aufführung ohne Unterschied. Selten genug in dem Haus an der Bismarckstraße.

    Voreilige Schlüsse sollte die neu installierte Intendantin, Kirsten Harms, die diese Premiere freilich nur formal verantwortet, nicht ziehen. Wirkliche spannende Opernabende sind mit solchen Produktionen nicht zu erzielen. An ihnen haftet der ungute Geschmack des déjà-vu.