Welche fünf Aspekte dieses paradoxen Kontinents meint Angel Wagenstein? "Bildlich ausgedrückt, könnte man sagen", erklärt im Roman der Schneider Isaak Jacob Blumenfeld, Held und Ich-Erzähler, "bildlich ausgedrückt, könnte man sagen, daß mein Vater Jakob Blumenfeld die Nadel auf der einen Seite des Kaftans als Österreich-Ungar hineingesteckt und den Faden auf der anderen Seite als Pole herausgezogen hat." Und so nähen Vater und Sohn in ihrer bescheidenen Stube im galizischen Schtetl namens Kolodez ihre Identitäten, und mit jedem Stich, bildlich gesprochen, wechseln sie - ohne ihr Dorf zu verlassen - Nationalität und Heimat. 1900, als der Sohn geboren wird, sind sie Untertanen in der österreichisch-ungarischen Monarchie, nach dem Ersten Weltkrieg sind sie Polen, 1939 Genossen im großen Sowjetreich, 1941 Freiwild im Machtbereich der Nazis, und nach Arbeits- und Konzentrationslagern zuerst in Deutschland und später in Sibirien wird Isaak Jacob Blumenfeld schließlich Österreicher. So schneidert das unberechenbare Schicksal diesem und Millionen anderer Juden und Nichtjuden eine Biographie aus Fetzen und Lumpen voller Risse und Löcher.
Der in die Jahre gekommene Isaak Jacob Blumenfeld läßt die Stationen seines Lebens Revue passieren, und mit seiner Erzählung wird die untergegangene Welt vor allem des osteuropäischen Judentums lebendig, so als gewönnen vergilbte Schwarzweißfotos wieder an Schärfe, als würden sie von geheimer Hand koloriert, als gerieten die Menschen auf den Straßen, in den Häusern und Synagogen in Bewegung, Töne, Geräusche, Düfte, Stimmen und Lachen sind zu hören, Jiddisch, Polnisch, Russisch, Deutsch und Ungarisch erfüllt die Lüfte. "Dieser Roman ist voll mit jüdischen Witzen, er ist manchmal lustig erzählt, auch Dinge, die gar nicht lustig sind", erzählt Angel Wagenstein. "Aber im Grunde empfinde ich diesen Roman als einen traurigen Roman, weil das 20. Jahrhundert nicht so lustig für Europa und für die Leute in Europa war. Es ist so eine Mischung zwischen Lachen und Weinen. Das gehört auch zu meinem Charakter, so bin ich auch selbst."
Schier unerschöpflich ist das Repertoire an Witzen und Anekdoten, die der Erzähler bei jeder Gelegenheit seinem Bericht einfügt, um das jeweilige Ereignis und das jeweils diskutierte Thema humoristisch auf den Punkt zu bringen. Als der Held kurz vor dem Verhungern in einem KZ ein Stück Schweineschinken erwischt, beruhigt er sich über den Verzehr der verbotenen Speise mit der Geschichte eines Rabbiners hinweg. Dieser Rabbiner betrat nämlich einen christlichen Wurstladen, zeigte auf einen rosafarbenen, saftigen Prager Schinken und fragte: "Was kostet ein Kilo von diesem Fisch?" - "Das ist Schinken, mein Herr", sagte der Metzger. - "Ich frage Sie nicht, wie der Fisch heißt, sondern was er kostet!" So findet Isaak noch in den schlimmsten Momenten seines Lebens zu einem Lächeln, das ihn, wenn auch nur ein paar Zentimeter und für nur wenige Augenblicke, über die Schinderei erhebt. Angel Wagenstein, der 1922 in einer jüdischen Familie im bulgarischen Plowdiw geboren wurde, hat einen Roman geschrieben, der aus der Tradition jüdischer Vorstellungswelten und Darstellungsweisen heraus erzählt und zutiefst mit dem Urtext des Judentums, den fünf Büchern Moses, dem Pentateuch verwurzelt ist. Der Titel des Romans "Pentateuch oder Die fünf Bücherr Isaaks" nimmt die Verwurzelung programmatisch vorweg. Am Pentateuch orientiert sich Wagensteins Erzähler, an ihm mißt und vergleicht er seine eigenen Erfahrung in unglücklicher, aber auch in glücklicher Zeit. "Meine Liebe", murmelt der verliebte Isaak beim Gedanken an die Tochter des Rabbiners, seine zukünftigen Frau, vor sich hin, "mein einzigartiges Vögelchen! Du blühende Pfingstrose, meine stille Samstagsfreude! Deine beiden Brüste... Warte, das mit den Brüsten ist von König Salomo und nicht für Sarah bestimmt."
Wagenstein läßt uns teilhaben am Reichtum jüdischer Traditionen, spart aber auch nicht mit liebenswert-bissigen Kommentaren zu mancher Eigenart der Kinder Abrahams einschließlich ihrer Neigung zur abschweifigen Plauderei. Auch wenn der Erzähler seine Schwäche selbst erkennt, mit ihr kokettiert und ihr gar religiöse Dimensionen zuspricht - "Wie schön ist die große weite Welt Gottes" -, so wünschte sich der Leser auf den geraden Weg der Geschichte manchmal schneller zurück. Auch hätte er statt des oftmals weitschweifigen Räsonierens lieber die eine oder andere konkrete Geschichte mehr aus dem Alltag des Isaak Jacob Blumenfeld gehört. Eines macht Blumenfelds Schicksal vor allem sinnfällig, wie kostbar jedes Leben ist, "daß Gott den Sand unseres Lebens bis auf das letzte Sandkörnchen bemessen hat und eine leichtfertig vergebene Sekunde Liebe unwiederbringlich in der Ewigkeit versinkt", um es mit Isaaks Worten zu formulieren. Aber das Hineinlesen der eigenen Geschichte in den sinnvollen Kosmos des offenbarten Urtextes bereitet dem Schneider bei aller Frömmigkeit arges Kopfzerbrechen. Die Gemetzel dieses Jahrhunderts vermag er einfach nicht zu verstehen, und "wenn Gott Fenster hätte", meint er, "hätte man ihm schon längst die Scheiben eingeschlagen!" "Der arme kleine Schneider hat nie solche Ideale gehabt", so Wagenstein. "Er hat sich nie für Politik interessiert, aber die Politik hat sich für ihn interessiert. So sind die fünf Bücher über fünf Heimaten gebaut, fünf Ideale, und alle spielen mit dem kleinen Menschen, der absolut unschuldig ist, für das, was passiert. Er begreift auch nicht sehr gut den Sinn und Unsinn. Er sagt, ich verstehe nicht die Sinnlosigkeit unseres Lebens."
Der in die Jahre gekommene Isaak Jacob Blumenfeld läßt die Stationen seines Lebens Revue passieren, und mit seiner Erzählung wird die untergegangene Welt vor allem des osteuropäischen Judentums lebendig, so als gewönnen vergilbte Schwarzweißfotos wieder an Schärfe, als würden sie von geheimer Hand koloriert, als gerieten die Menschen auf den Straßen, in den Häusern und Synagogen in Bewegung, Töne, Geräusche, Düfte, Stimmen und Lachen sind zu hören, Jiddisch, Polnisch, Russisch, Deutsch und Ungarisch erfüllt die Lüfte. "Dieser Roman ist voll mit jüdischen Witzen, er ist manchmal lustig erzählt, auch Dinge, die gar nicht lustig sind", erzählt Angel Wagenstein. "Aber im Grunde empfinde ich diesen Roman als einen traurigen Roman, weil das 20. Jahrhundert nicht so lustig für Europa und für die Leute in Europa war. Es ist so eine Mischung zwischen Lachen und Weinen. Das gehört auch zu meinem Charakter, so bin ich auch selbst."
Schier unerschöpflich ist das Repertoire an Witzen und Anekdoten, die der Erzähler bei jeder Gelegenheit seinem Bericht einfügt, um das jeweilige Ereignis und das jeweils diskutierte Thema humoristisch auf den Punkt zu bringen. Als der Held kurz vor dem Verhungern in einem KZ ein Stück Schweineschinken erwischt, beruhigt er sich über den Verzehr der verbotenen Speise mit der Geschichte eines Rabbiners hinweg. Dieser Rabbiner betrat nämlich einen christlichen Wurstladen, zeigte auf einen rosafarbenen, saftigen Prager Schinken und fragte: "Was kostet ein Kilo von diesem Fisch?" - "Das ist Schinken, mein Herr", sagte der Metzger. - "Ich frage Sie nicht, wie der Fisch heißt, sondern was er kostet!" So findet Isaak noch in den schlimmsten Momenten seines Lebens zu einem Lächeln, das ihn, wenn auch nur ein paar Zentimeter und für nur wenige Augenblicke, über die Schinderei erhebt. Angel Wagenstein, der 1922 in einer jüdischen Familie im bulgarischen Plowdiw geboren wurde, hat einen Roman geschrieben, der aus der Tradition jüdischer Vorstellungswelten und Darstellungsweisen heraus erzählt und zutiefst mit dem Urtext des Judentums, den fünf Büchern Moses, dem Pentateuch verwurzelt ist. Der Titel des Romans "Pentateuch oder Die fünf Bücherr Isaaks" nimmt die Verwurzelung programmatisch vorweg. Am Pentateuch orientiert sich Wagensteins Erzähler, an ihm mißt und vergleicht er seine eigenen Erfahrung in unglücklicher, aber auch in glücklicher Zeit. "Meine Liebe", murmelt der verliebte Isaak beim Gedanken an die Tochter des Rabbiners, seine zukünftigen Frau, vor sich hin, "mein einzigartiges Vögelchen! Du blühende Pfingstrose, meine stille Samstagsfreude! Deine beiden Brüste... Warte, das mit den Brüsten ist von König Salomo und nicht für Sarah bestimmt."
Wagenstein läßt uns teilhaben am Reichtum jüdischer Traditionen, spart aber auch nicht mit liebenswert-bissigen Kommentaren zu mancher Eigenart der Kinder Abrahams einschließlich ihrer Neigung zur abschweifigen Plauderei. Auch wenn der Erzähler seine Schwäche selbst erkennt, mit ihr kokettiert und ihr gar religiöse Dimensionen zuspricht - "Wie schön ist die große weite Welt Gottes" -, so wünschte sich der Leser auf den geraden Weg der Geschichte manchmal schneller zurück. Auch hätte er statt des oftmals weitschweifigen Räsonierens lieber die eine oder andere konkrete Geschichte mehr aus dem Alltag des Isaak Jacob Blumenfeld gehört. Eines macht Blumenfelds Schicksal vor allem sinnfällig, wie kostbar jedes Leben ist, "daß Gott den Sand unseres Lebens bis auf das letzte Sandkörnchen bemessen hat und eine leichtfertig vergebene Sekunde Liebe unwiederbringlich in der Ewigkeit versinkt", um es mit Isaaks Worten zu formulieren. Aber das Hineinlesen der eigenen Geschichte in den sinnvollen Kosmos des offenbarten Urtextes bereitet dem Schneider bei aller Frömmigkeit arges Kopfzerbrechen. Die Gemetzel dieses Jahrhunderts vermag er einfach nicht zu verstehen, und "wenn Gott Fenster hätte", meint er, "hätte man ihm schon längst die Scheiben eingeschlagen!" "Der arme kleine Schneider hat nie solche Ideale gehabt", so Wagenstein. "Er hat sich nie für Politik interessiert, aber die Politik hat sich für ihn interessiert. So sind die fünf Bücher über fünf Heimaten gebaut, fünf Ideale, und alle spielen mit dem kleinen Menschen, der absolut unschuldig ist, für das, was passiert. Er begreift auch nicht sehr gut den Sinn und Unsinn. Er sagt, ich verstehe nicht die Sinnlosigkeit unseres Lebens."