So trat er denn an, Bundespräsident Horst Köhler, um der Journalistin Sabine Christiansen zu deren Abschied seine Aufwartung zu machen. Nicht sie kam zu ihm, nein, er kam zu ihr. Sie rief, er kam, soviel Ehre durfte und musste sein zum Abschied von Deutschlands populärster Journalistin im Juni dieses Jahres.
Merkwürdig: Es ist noch nicht so lange her, da gab es nur eine Richtung, und zwar die umgekehrte: Die Journalisten eilten ins Zentrum der Macht, um dort empfangen zu werden und von dort zu berichten. Heute plaudern sie mit den Politikern auf gleicher Augenhöhe, und sie plaudern nicht nur, sondern sind sogar deren Gastgeber, vermutlich sogar deren wichtigste Gastgeber. Nicht mehr nur im Parlament, sondern Christiansen und Maybrit Illgner sitzt der zeitgenössische Politikern, um seine Thesen kundzutun. Dort, weiß er, wird er auf jeden Fall gehört - um den Preis allerdings, so der in Duisburg lehrende Politwissenschaftler Manfred Mai, sich in bisweilen recht zweifelhafter Gesellschaft zu wissen.
" Die medialen Talkshows sind ja bunt zusammengewürfelt. Da sitzen mal ein paar Politiker drin, auch die werden ausgewählt nicht nach Repräsentativität, sondern nach Telegenität. Einige können besser reden, einige schlechter. ... Und es wird dann bunt gemischt mit - in Anführungszeichen - Prominenten, wobei die Prominenz teilweise nur darin besteht, dass sie mal ein Wimbledon-Turnier gewonnen haben und dann auf einmal vollmundig politische Statements abgeben oder in einer Daily Soap irgendeinen Star darstellen, die kein Politiker kennt, aber gleichwohl gleichrangig in dieser Talkshow bunt gemischt sitzen mit dem Ziel, um über die bunte Mischung der Talkshow überhaupt Zuschauer für Politik zu interessieren. Dadurch findet eine Vermischung statt von politischen Inhalten mit Medialität, mit dem Zwang, unmittelbar Aufmerksamkeit zu erregen weniger über die politischen Inhalte, sondern mit medialen Mitteln der Aufmerksamkeit. "
People statt Politik, Gefühl statt Intellekt - so könnte man die Tendenz im deutschen Fernsehen beschreiben. In der Talkrunde wird der Politiker selbst zum Promi, und auch der gastgebende Journalist, die Journalistin ist einer. Das politische Argument ist müde geworden, kann nicht mehr so richtig begeistern, braucht, um attraktiv zu erscheinen, eine lockere, bunte, vielleicht sogar spektakuläre Form. In den Talkshows menschelt es, der Politiker präsentiert sich als "Typ", muss Sympathien, also Wahlstimmen auch über seine Ausstrahlung einwerben, seine Argumente um einen emotionalen Mehrwert ergänzen. Wenn Parlamentsberichterstattung je attraktiv war, hat sie mittlerweile an Attraktivität massiv verloren. deshalb wandert die Politik ins Fernsehen - mit drastischen Folgen für die demokratischen Institutionen, meint Manfred Mai.
"Man kann sagen, dass durch die Dauerpräsenz der Medien sich die Bedeutung des Parlaments geändert hat, es ist tendenziell geschwächt worden. ... Das, was also früher Parlamente gemacht haben, und das, was sie nach der normativen Vorstellungen der Staatsrechtlehre auch machen sollen, nämlich Marktplatz der wichtigsten und wesentlichen Entscheidungen und Erörterungen zu sein, das wandert tendenziell in die Medien ab. ... Die Politik muss sich auf diese Mediengesellschaft einstellen, sie kann sich nicht abschotten. Wenn sie sich abschotten würde, hätte das zur Bedeutung, dass die Öffentlichkeit Politik überhaupt nicht mehr wahrnehmen würde. Es würde praktisch dem Gesetz der Mediengesellschaft widersprechen - was nicht in den Medien ist, ist nicht in dieser Welt. "
Vielleicht hat kein Politiker hat die Bedeutung populärer Inszenierung früher und besser begriffen als Silvio Berlusconi. Seit den späten 70er Jahren baute er sein Medienunternehmen zügig aus. Als das italienische Parlament es Anfang der 90er Jahre es begrenzen wollte, wurde Berlusconi politisch aktiv - und entdeckte darüber, so Martin Hambückers, Autor einer Studie zum "System Berlusconi", welches politische Kapital sich aus den Regeln der Teledemokratie schlagen lässt.
"Als Vater des italienischen Privatfernsehens kennt der Medienunternehmer die Regeln des Fernsehens wie kein anderer italienischer Politiker - das Fernsehen, das die simplifizierende Verwendung einprägsamer Slogans favorisiert. ... Simple Slogans besitzen den Vorteil, dass sie nicht nur leicht behalten, sondern auch problemlos an weitere potentielle Wähler kommuniziert werden können. "
Slogans und vor allem - Humor. Berlusconi, so Hambückers, präsentierte sich im Fernsehen als hochbegabter Unterhalter.
" Beispielsweise war er in einer öffentlichen Sendung bei der RAI zu sehen, bei "Porta a porta", das ist die meistgesehene Sendung Italiens, die sozusagen "Sabine Christiansen" entspricht hier in Deutschland, und er erzählte den folgenden Witz: Was ist der Unterschied zwischen der italienischen Linken und der italienischen Rechten? Die italienische linke hat Karl Marx gelesen. Die italienische Rechte hat Karl nicht nur gelesen, sondern auch verstanden. "
Aber was heißt es, Marx verstanden zu haben? Vor allem wohl dieses: Aus der Unübersichtlichkeit der Moderne mediales Kapital zu schlagen. Denn keiner hat deren Wirrungen besser geschrieben als der Philosoph aus Trier.
"Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisieepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neu gebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen. (CD "Das Kommunistische Manifest", Argument Verlag, gelesen von Rolf Becker)"
Gut möglich, dass der Mensch die Welt mit nüchternen Augen sehen will. Aber sieht er sie tatsächlich so? Denkbar auch, dass die aus den Fugen geratenen Verhältnisse ihn überfordern. Alles kennt er ein bisschen, nichts kennt er richtig. Solides Wissen hat er meist nur in ganz wenigen Bereichen, meistens dem beruflichen. Alle andere Wissensfelder tanzen vor seinen Augen, lassen sich nicht einfangen, ordnen und angemessen bewerten. Und das ist nirgendwo so sehr der Fall wie in den Medien, die die irre Welt ja abbilden - und nicht nur abbilden, sondern durch niemals endendes Sendefeuer deren Chaos sogar noch potenzieren. Folgen, so der in Trier lehrende Soziologe Michael Jäckel, können die meisten Menschen der Welt und ihrer medialen Abbildung schon längst nicht mehr.
"Wir gewöhnen uns daran, uns auf sehr verschiedenen Themengebieten uns mal eben zu informieren, und kultivieren das, was schon vor vielen Jahren als eine Form des Als-ob-Wissens bezeichnet wurde; und ... dass dadurch das Verständnis für die großen Entwicklungslinien auch das Gefühl, dass man irgendwie die Gesamtzustände noch verstehen kann, dass das mehr und mehr verloren geht, und dadurch sich auch ein gewisser Fatalismus gegenüber der eigenen Umwelt breit macht. Weil man plötzlich feststellt, ja, wir haben zwar so viele Möglichkeiten, aber all dies wirklich zu verstehen, diese Kluft zwischen der objektiven und der subjektiven Kultur, ... die wird eigentlich immer deutlicher die Tatsache eines nun einmal lebenszeitlich eines begrenzten Lebens, von dem jeder nur eines hat, und die Unzahl der Möglichkeiten, die einem gegenüber stehen, führt zu dieser wachsenden Kluft zwischen der Lebenszeit und der Weltzeit, wie man es gelegentlich auch formuliert hat. "
"Cogito ergo sum", hieß es einst bei Descartes, "Ich denke, also bin ich". Heute könnte man den Satz um einen weiteren ergänzen: "Ich fühle, also bin ich." Wenn die Welt aus dem Ruder läuft, sucht der Zuschauer Trost bei sich selbst. Er will sich und seine Welt im Fernsehen wieder erkennen, will sich in ihm spiegeln, sich über das Medium vergewissern, dass er existiert. Gelegenheit dazu bieten ihm die neuen Mitmachshows vor allem der Privatsender, "Deutschland sucht den Superstar" etwa, und natürlich die Mutter all dieser Formate: "Big Brother", der Kampf ums Überleben im Containerdorf. Die Politik macht sich die Macht der telegenen Gefühle auf ihre Weise zunutze - die Produzenten von "Big Brother", so die Berliner Medienwissenschaftlerin Katrin Döveling, finden mit ihnen den unmittelbaren Weg zum Herz des Zuschauers.
""Big Brother" hat sozusagen zu einem Innovationspotential geführt, das diese Aspekte da des Call-Ins, der Möglichkeit der aktiven Partizipation zu einer Diversifizierung aus verschiedenen Ausprägungen von Reality TV geführt haben. Und mein Punkt ist, dass es vor allen Dingen durch diese emotionalen Ressourcen zustande kommt. ... Medienmacht ist Emotionsmacht. "
Allerdings gilt auch hier, dass das Mitspracherecht letztlich begrenzt ist. Viele fühlen sich berufen - aber nur wenige werden zum Mitmachen tatsächlich auserwählt. Gerade das steigert aber das Bedürfnis, dabei zu sein, sich zu zeigen, selbst ein Teil der Medien zu werden. Im Grunde, so Michael Jäckel, hat auch das Digitalfernsehen die Beteiligung der Zuschauer nicht sonderlich erweitert.
" Ich habe den Eindruck, dass dieses Knappheitsphänomen, ... dass natürlich viele ein Mitspracherecht haben wollen, ein Mitwirkungsrecht haben wollen, die Formate und Möglichkeiten der jeweiligen Mediengattung dies aber immer nur in einer begrenzten Form zulassen - dass dieses Knappheitsphänomen auch durch neue Medientechniken nicht wirklich außer Kraft gesetzt wird. Sondern diese Ungleichheiten zwischen Anbietern und Nachfragern in Zukunft im Grunde genommen bestehen bleiben, man aber an der Asymmetrie zwischen Sendern und Empfängern durch die Integration neuer Technologien, durch den Einbau des Publikums in Formate dadurch eben auch eine Mitwirkung suggeriert und das Gefühl vermittelt, wir sind Teil des Programms, eine neue Art von Zuschauerbindung entsteht. "
Das knappe Angebot steigert die Nachfrage - was dem Fernsehen nach Kräften entgegenkommt. Denn wenn alle mitmachen wollen, bleibt verborgen, dass die Fernsehmacher unter dem Druck der Quote auf die Gunst des Zuschauers enorm angewiesen sind. Aber indem sie ihm nun durch die neuen Mitmachshows die Gelegenheit bieten, aktiv in die Sendungen einzugreifen, mit seiner Stimme den Fortgang der Sendung zu beeinflussen binden sie ihn zugleich ans Programm. Der Zuschauer, der vermeintliche Herr über die Fortsetzung des Geschehens, ist zugleich ein Gefangener seiner digitalen Allmacht-Wünsche.
" Die Kontrolle des Zuschauers hat durch diese Formate enorm gewonnen. Er kann direkt eingreifen beziehungsweise er hat das Gefühl, durch das Eingreifen etwas mit bewirken zu können, und das verstärkt natürlich wiederum seine emotionale Anteilnahme, sein Mitfiebern, die Spannung, weil er will ja wissen, habe ich für den und den angerufen, wie geht es dem jetzt? Und das führt wiederum zu einer wiederholten Medienrezeption. "
Und als fürchteten sie, gar nicht mehr auf der Welt zu sein, fordern die Leser nun die öffentliche Wahrnehmung ihrer selbst. Online-Tagebücher, lokaler Bürgerjournalismus, Foren und Chatrunden im kleinen Kreis, kurz: "User Generated Content", "Vom Nutzer erzeugter Inhalt". Besonders deutlich wird das momentan bei manchen Zeitungen. Einige bieten mittlerweile einen besonderen Service an: Sie erlauben dem Leser, sich als Reporter am Blatt zu beteiligen. So binden sie die Leser - und erhalten zugleich ein Heer von kostenlosen Mitarbeitern. Als "AAL-Prinzip" bezeichnen Spötter dieses Phänomen mittlerweile: "Andere arbeiten lassen". Tatsächlich, so die in Hagen lehrende Soziologin Ute Volkmann, ist der Nutzen für die Zeitungen groß.
"Die sagen, man hat einen Recherche-Vorsprung, man hat diese exklusive Nachricht, das ist ein ganz hohes Maß an Authentizität ist einfach da, es ist eine bessere Interaktion mit den Lesern. Man verspricht sich natürlich eine bessere Kundenbindung, das ist auch ganz klar, und das war schon immer, ja für die Zeitungen schon immer und natürlich für die privaten Sender genauso ist diese Publikumsbindung natürlich ein ganz wesentlicher Faktor. Und ... die Redaktionen erfahren natürlich auch ... über die Themen, über die Ereignisse, über die ihre Leserreporter berichten, was überhaupt das Publikum interessiert. Also sie können sich sogar noch stärker am Publikum orientieren. Und je stärker die Zeitungen auch unter kommerziellen Druck geraten, umso wichtiger wird das natürlich, um sich dauerhaft am Markt zu behaupten. "
Allerdings gilt auch hier, dass Gefühle, die Freude des Lesers, sich und seine Welt im Blatt gespiegelt zu sehen, auf Kosten der Information geht. Das kann auch gar nicht anders sein.
"Die Redaktionen, da sie ja offensiv das Publikum auffordern, ... Berichte, Fotos, von Unfällen, Bränden, Vereinssitzungen und so weiter, an die Redaktion zu schicken, setzen sie sich natürlich einem Erwartungsdruck seitens des Publikums aus, das heißt, die Redaktionen kommen gar nicht umhin, auch Platz in ihrer Zeitung, in ihrer Radiosendung - wo auch immer - für diese Leserreportagen, Leserfotos einzuräumen. Und schlicht und einfach steht schon erstmal weniger Platz in der der Hinsicht für den professionellen Journalismus zur Verfügung."
Gefühl ist in den Medien ein erheblicher Machtfaktor. Der Politiker bekommt es zu spüren, die Zuschauer und die Leser, die nun von Konsumenten zu Produzenten, wenigsten Co-Produzenten werden - und sich darüber noch fester an ihr Medium binden. Immer stärker erkennen sie sich in Zeitung und Fernsehen wieder - und damit ist endlich auch Marx mit seiner These der zerfallenden Ordnung widerlegt. Denn nun, dank Mitwirkung des Publikums, kehrt sie zurück, die vertraute, übersichtliche Alltagswelt. Und mit ihr die Gemütlichkeit des Dorflebens, und sei es des digitalen.
Merkwürdig: Es ist noch nicht so lange her, da gab es nur eine Richtung, und zwar die umgekehrte: Die Journalisten eilten ins Zentrum der Macht, um dort empfangen zu werden und von dort zu berichten. Heute plaudern sie mit den Politikern auf gleicher Augenhöhe, und sie plaudern nicht nur, sondern sind sogar deren Gastgeber, vermutlich sogar deren wichtigste Gastgeber. Nicht mehr nur im Parlament, sondern Christiansen und Maybrit Illgner sitzt der zeitgenössische Politikern, um seine Thesen kundzutun. Dort, weiß er, wird er auf jeden Fall gehört - um den Preis allerdings, so der in Duisburg lehrende Politwissenschaftler Manfred Mai, sich in bisweilen recht zweifelhafter Gesellschaft zu wissen.
" Die medialen Talkshows sind ja bunt zusammengewürfelt. Da sitzen mal ein paar Politiker drin, auch die werden ausgewählt nicht nach Repräsentativität, sondern nach Telegenität. Einige können besser reden, einige schlechter. ... Und es wird dann bunt gemischt mit - in Anführungszeichen - Prominenten, wobei die Prominenz teilweise nur darin besteht, dass sie mal ein Wimbledon-Turnier gewonnen haben und dann auf einmal vollmundig politische Statements abgeben oder in einer Daily Soap irgendeinen Star darstellen, die kein Politiker kennt, aber gleichwohl gleichrangig in dieser Talkshow bunt gemischt sitzen mit dem Ziel, um über die bunte Mischung der Talkshow überhaupt Zuschauer für Politik zu interessieren. Dadurch findet eine Vermischung statt von politischen Inhalten mit Medialität, mit dem Zwang, unmittelbar Aufmerksamkeit zu erregen weniger über die politischen Inhalte, sondern mit medialen Mitteln der Aufmerksamkeit. "
People statt Politik, Gefühl statt Intellekt - so könnte man die Tendenz im deutschen Fernsehen beschreiben. In der Talkrunde wird der Politiker selbst zum Promi, und auch der gastgebende Journalist, die Journalistin ist einer. Das politische Argument ist müde geworden, kann nicht mehr so richtig begeistern, braucht, um attraktiv zu erscheinen, eine lockere, bunte, vielleicht sogar spektakuläre Form. In den Talkshows menschelt es, der Politiker präsentiert sich als "Typ", muss Sympathien, also Wahlstimmen auch über seine Ausstrahlung einwerben, seine Argumente um einen emotionalen Mehrwert ergänzen. Wenn Parlamentsberichterstattung je attraktiv war, hat sie mittlerweile an Attraktivität massiv verloren. deshalb wandert die Politik ins Fernsehen - mit drastischen Folgen für die demokratischen Institutionen, meint Manfred Mai.
"Man kann sagen, dass durch die Dauerpräsenz der Medien sich die Bedeutung des Parlaments geändert hat, es ist tendenziell geschwächt worden. ... Das, was also früher Parlamente gemacht haben, und das, was sie nach der normativen Vorstellungen der Staatsrechtlehre auch machen sollen, nämlich Marktplatz der wichtigsten und wesentlichen Entscheidungen und Erörterungen zu sein, das wandert tendenziell in die Medien ab. ... Die Politik muss sich auf diese Mediengesellschaft einstellen, sie kann sich nicht abschotten. Wenn sie sich abschotten würde, hätte das zur Bedeutung, dass die Öffentlichkeit Politik überhaupt nicht mehr wahrnehmen würde. Es würde praktisch dem Gesetz der Mediengesellschaft widersprechen - was nicht in den Medien ist, ist nicht in dieser Welt. "
Vielleicht hat kein Politiker hat die Bedeutung populärer Inszenierung früher und besser begriffen als Silvio Berlusconi. Seit den späten 70er Jahren baute er sein Medienunternehmen zügig aus. Als das italienische Parlament es Anfang der 90er Jahre es begrenzen wollte, wurde Berlusconi politisch aktiv - und entdeckte darüber, so Martin Hambückers, Autor einer Studie zum "System Berlusconi", welches politische Kapital sich aus den Regeln der Teledemokratie schlagen lässt.
"Als Vater des italienischen Privatfernsehens kennt der Medienunternehmer die Regeln des Fernsehens wie kein anderer italienischer Politiker - das Fernsehen, das die simplifizierende Verwendung einprägsamer Slogans favorisiert. ... Simple Slogans besitzen den Vorteil, dass sie nicht nur leicht behalten, sondern auch problemlos an weitere potentielle Wähler kommuniziert werden können. "
Slogans und vor allem - Humor. Berlusconi, so Hambückers, präsentierte sich im Fernsehen als hochbegabter Unterhalter.
" Beispielsweise war er in einer öffentlichen Sendung bei der RAI zu sehen, bei "Porta a porta", das ist die meistgesehene Sendung Italiens, die sozusagen "Sabine Christiansen" entspricht hier in Deutschland, und er erzählte den folgenden Witz: Was ist der Unterschied zwischen der italienischen Linken und der italienischen Rechten? Die italienische linke hat Karl Marx gelesen. Die italienische Rechte hat Karl nicht nur gelesen, sondern auch verstanden. "
Aber was heißt es, Marx verstanden zu haben? Vor allem wohl dieses: Aus der Unübersichtlichkeit der Moderne mediales Kapital zu schlagen. Denn keiner hat deren Wirrungen besser geschrieben als der Philosoph aus Trier.
"Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisieepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neu gebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen. (CD "Das Kommunistische Manifest", Argument Verlag, gelesen von Rolf Becker)"
Gut möglich, dass der Mensch die Welt mit nüchternen Augen sehen will. Aber sieht er sie tatsächlich so? Denkbar auch, dass die aus den Fugen geratenen Verhältnisse ihn überfordern. Alles kennt er ein bisschen, nichts kennt er richtig. Solides Wissen hat er meist nur in ganz wenigen Bereichen, meistens dem beruflichen. Alle andere Wissensfelder tanzen vor seinen Augen, lassen sich nicht einfangen, ordnen und angemessen bewerten. Und das ist nirgendwo so sehr der Fall wie in den Medien, die die irre Welt ja abbilden - und nicht nur abbilden, sondern durch niemals endendes Sendefeuer deren Chaos sogar noch potenzieren. Folgen, so der in Trier lehrende Soziologe Michael Jäckel, können die meisten Menschen der Welt und ihrer medialen Abbildung schon längst nicht mehr.
"Wir gewöhnen uns daran, uns auf sehr verschiedenen Themengebieten uns mal eben zu informieren, und kultivieren das, was schon vor vielen Jahren als eine Form des Als-ob-Wissens bezeichnet wurde; und ... dass dadurch das Verständnis für die großen Entwicklungslinien auch das Gefühl, dass man irgendwie die Gesamtzustände noch verstehen kann, dass das mehr und mehr verloren geht, und dadurch sich auch ein gewisser Fatalismus gegenüber der eigenen Umwelt breit macht. Weil man plötzlich feststellt, ja, wir haben zwar so viele Möglichkeiten, aber all dies wirklich zu verstehen, diese Kluft zwischen der objektiven und der subjektiven Kultur, ... die wird eigentlich immer deutlicher die Tatsache eines nun einmal lebenszeitlich eines begrenzten Lebens, von dem jeder nur eines hat, und die Unzahl der Möglichkeiten, die einem gegenüber stehen, führt zu dieser wachsenden Kluft zwischen der Lebenszeit und der Weltzeit, wie man es gelegentlich auch formuliert hat. "
"Cogito ergo sum", hieß es einst bei Descartes, "Ich denke, also bin ich". Heute könnte man den Satz um einen weiteren ergänzen: "Ich fühle, also bin ich." Wenn die Welt aus dem Ruder läuft, sucht der Zuschauer Trost bei sich selbst. Er will sich und seine Welt im Fernsehen wieder erkennen, will sich in ihm spiegeln, sich über das Medium vergewissern, dass er existiert. Gelegenheit dazu bieten ihm die neuen Mitmachshows vor allem der Privatsender, "Deutschland sucht den Superstar" etwa, und natürlich die Mutter all dieser Formate: "Big Brother", der Kampf ums Überleben im Containerdorf. Die Politik macht sich die Macht der telegenen Gefühle auf ihre Weise zunutze - die Produzenten von "Big Brother", so die Berliner Medienwissenschaftlerin Katrin Döveling, finden mit ihnen den unmittelbaren Weg zum Herz des Zuschauers.
""Big Brother" hat sozusagen zu einem Innovationspotential geführt, das diese Aspekte da des Call-Ins, der Möglichkeit der aktiven Partizipation zu einer Diversifizierung aus verschiedenen Ausprägungen von Reality TV geführt haben. Und mein Punkt ist, dass es vor allen Dingen durch diese emotionalen Ressourcen zustande kommt. ... Medienmacht ist Emotionsmacht. "
Allerdings gilt auch hier, dass das Mitspracherecht letztlich begrenzt ist. Viele fühlen sich berufen - aber nur wenige werden zum Mitmachen tatsächlich auserwählt. Gerade das steigert aber das Bedürfnis, dabei zu sein, sich zu zeigen, selbst ein Teil der Medien zu werden. Im Grunde, so Michael Jäckel, hat auch das Digitalfernsehen die Beteiligung der Zuschauer nicht sonderlich erweitert.
" Ich habe den Eindruck, dass dieses Knappheitsphänomen, ... dass natürlich viele ein Mitspracherecht haben wollen, ein Mitwirkungsrecht haben wollen, die Formate und Möglichkeiten der jeweiligen Mediengattung dies aber immer nur in einer begrenzten Form zulassen - dass dieses Knappheitsphänomen auch durch neue Medientechniken nicht wirklich außer Kraft gesetzt wird. Sondern diese Ungleichheiten zwischen Anbietern und Nachfragern in Zukunft im Grunde genommen bestehen bleiben, man aber an der Asymmetrie zwischen Sendern und Empfängern durch die Integration neuer Technologien, durch den Einbau des Publikums in Formate dadurch eben auch eine Mitwirkung suggeriert und das Gefühl vermittelt, wir sind Teil des Programms, eine neue Art von Zuschauerbindung entsteht. "
Das knappe Angebot steigert die Nachfrage - was dem Fernsehen nach Kräften entgegenkommt. Denn wenn alle mitmachen wollen, bleibt verborgen, dass die Fernsehmacher unter dem Druck der Quote auf die Gunst des Zuschauers enorm angewiesen sind. Aber indem sie ihm nun durch die neuen Mitmachshows die Gelegenheit bieten, aktiv in die Sendungen einzugreifen, mit seiner Stimme den Fortgang der Sendung zu beeinflussen binden sie ihn zugleich ans Programm. Der Zuschauer, der vermeintliche Herr über die Fortsetzung des Geschehens, ist zugleich ein Gefangener seiner digitalen Allmacht-Wünsche.
" Die Kontrolle des Zuschauers hat durch diese Formate enorm gewonnen. Er kann direkt eingreifen beziehungsweise er hat das Gefühl, durch das Eingreifen etwas mit bewirken zu können, und das verstärkt natürlich wiederum seine emotionale Anteilnahme, sein Mitfiebern, die Spannung, weil er will ja wissen, habe ich für den und den angerufen, wie geht es dem jetzt? Und das führt wiederum zu einer wiederholten Medienrezeption. "
Und als fürchteten sie, gar nicht mehr auf der Welt zu sein, fordern die Leser nun die öffentliche Wahrnehmung ihrer selbst. Online-Tagebücher, lokaler Bürgerjournalismus, Foren und Chatrunden im kleinen Kreis, kurz: "User Generated Content", "Vom Nutzer erzeugter Inhalt". Besonders deutlich wird das momentan bei manchen Zeitungen. Einige bieten mittlerweile einen besonderen Service an: Sie erlauben dem Leser, sich als Reporter am Blatt zu beteiligen. So binden sie die Leser - und erhalten zugleich ein Heer von kostenlosen Mitarbeitern. Als "AAL-Prinzip" bezeichnen Spötter dieses Phänomen mittlerweile: "Andere arbeiten lassen". Tatsächlich, so die in Hagen lehrende Soziologin Ute Volkmann, ist der Nutzen für die Zeitungen groß.
"Die sagen, man hat einen Recherche-Vorsprung, man hat diese exklusive Nachricht, das ist ein ganz hohes Maß an Authentizität ist einfach da, es ist eine bessere Interaktion mit den Lesern. Man verspricht sich natürlich eine bessere Kundenbindung, das ist auch ganz klar, und das war schon immer, ja für die Zeitungen schon immer und natürlich für die privaten Sender genauso ist diese Publikumsbindung natürlich ein ganz wesentlicher Faktor. Und ... die Redaktionen erfahren natürlich auch ... über die Themen, über die Ereignisse, über die ihre Leserreporter berichten, was überhaupt das Publikum interessiert. Also sie können sich sogar noch stärker am Publikum orientieren. Und je stärker die Zeitungen auch unter kommerziellen Druck geraten, umso wichtiger wird das natürlich, um sich dauerhaft am Markt zu behaupten. "
Allerdings gilt auch hier, dass Gefühle, die Freude des Lesers, sich und seine Welt im Blatt gespiegelt zu sehen, auf Kosten der Information geht. Das kann auch gar nicht anders sein.
"Die Redaktionen, da sie ja offensiv das Publikum auffordern, ... Berichte, Fotos, von Unfällen, Bränden, Vereinssitzungen und so weiter, an die Redaktion zu schicken, setzen sie sich natürlich einem Erwartungsdruck seitens des Publikums aus, das heißt, die Redaktionen kommen gar nicht umhin, auch Platz in ihrer Zeitung, in ihrer Radiosendung - wo auch immer - für diese Leserreportagen, Leserfotos einzuräumen. Und schlicht und einfach steht schon erstmal weniger Platz in der der Hinsicht für den professionellen Journalismus zur Verfügung."
Gefühl ist in den Medien ein erheblicher Machtfaktor. Der Politiker bekommt es zu spüren, die Zuschauer und die Leser, die nun von Konsumenten zu Produzenten, wenigsten Co-Produzenten werden - und sich darüber noch fester an ihr Medium binden. Immer stärker erkennen sie sich in Zeitung und Fernsehen wieder - und damit ist endlich auch Marx mit seiner These der zerfallenden Ordnung widerlegt. Denn nun, dank Mitwirkung des Publikums, kehrt sie zurück, die vertraute, übersichtliche Alltagswelt. Und mit ihr die Gemütlichkeit des Dorflebens, und sei es des digitalen.