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Per Abwasser durch die Umwelt

Umwelt. - Viele Pharmaka gelangen trotz Kläranlagen in den Wasserkreislauf der Umwelt und überdauern dort. Einige Stoffe schädigen Organismen sogar schon in kleinen Mengen. Grenzwerte für ihren Gebrauch und Minderungskonzepte existieren aber nicht. Wasserexperten drei großer Fachverbänden wollen das ändern und die Politik mit einem Positionspapier zum Handeln auffordern.

Von Volker Mrasek |
    Hinter dem Positionspapier, das in Kürze veröffentlicht werden soll, stehen gleich drei große Fachverbände. Gemeinsam sprechen sie für das komplette Wasserfach in Deutschland - für Gewässerchemiker, Trinkwasser-Technologen und Experten auf dem Gebiet der Abwasserreinigung. Nach jahrelanger Forschung fordern sie nun eine umfassende Handlungsstrategie, um zu vermeiden, dass Arzneimittel und andere kritische Schadstoffe weiter in Gewässer gelangen. Verschiedene Bausteine für ein solches Konzept liefern die Experten gleich mit. Der Chemiker Thomas Ternes von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz:

    "Das sind Empfehlungen. Das sind Ratschläge, die wir geben von wissenschaftlicher Seite her. Es gibt zum Beispiel Ideen jetzt, die auch in Schweden umgesetzt werden schon, dass man Arzneipackungen mit einem Umweltengel versieht für solche, die umweltunbedenklich sind, das heißt, die gut abbaubar sind, im Gegensatz zu anderen Substanzen, die es eben nicht sind. So dass dann der Arzt oder auch der Patient entscheiden können, was sie nehmen."

    Arzneiwirkstoffe werden häufig nicht vollständig im Körper umgesetzt. Oder es entstehen Abbauprodukte, die mit dem Urin ausgeschieden werden. Sie landen im Abwasser, später in der Kläranlage - und am Ende im Gewässer, wenn sie die Reinigungsstufen überstehen. Das gilt ganz besonders für Kontrastmittel, die vor Röntgen-Untersuchungen verabreicht werden. Patienten scheiden sie komplett wieder aus. Das soll auch so sein. Nur: Die jodhaltigen Stoffe haben sich als besonders persistent erwiesen, als sehr schwer abbaubar. Hier schlagen Thomas Ternes und seine Kollegen vor, sogenannte Separationstoiletten einzuführen. Bei ihnen wird der Urin gesammelt:

    "Sie haben dann hochkonzentrierte Lösungen, so dass Sie zum Teil sogar noch das Jod zurückgewinnen könnten von den jodierten Röntgenkontrastmitteln. Das wäre fürs Krankenhaus vorgesehen, das wäre für die Arztpraxen vorgesehen. Man könnte aber auch sagen für den Patienten, der zuhause ausscheidet. Dass er seinen Urin dann zurückbringt, um dann das Ganze noch effizienter zu gestalten."

    Schätzungsweise 90 Prozent der Arzneiwirkstoffe, die in Gewässern auftauchen, stammen aber aus privaten Haushalten. Und damit aus unzähligen diffusen Quellen, die man nicht abdichten kann. Wären kommunale Kläranlagen imstande, die Arzneistoffe aus dem häuslichen Abwasser zu entfernen, gäbe es keine Probleme mit ihnen. Doch in Dutzenden Fällen schaffen sie das nicht. In ihrem Politikpapier bringen die Wasserexperten jetzt eine zusätzliche Reinigungsstufe ins Spiel. Martin Jekel, Professor für Wasserreinhaltung an der TU Berlin und Vorsitzender der Wasserchemischen Gesellschaft:

    "Es gibt genügend Untersuchungen, die zeigen, dass man also einen ganz wesentlichen Teil der Pharmaka durch eine gezielte Abwasserreinigung entfernen kann. Einmal durch Ozonung, wodurch die Stoffe zerschlagen werden in neue Moleküle, deren Wirkung danach weg ist. Und andererseits durch Aktivkohle-Einsatz, Standard-Technologien aus der Trinkwasser-Aufbereitung. Sie sind bezahlbar. Etwa zu Kosten im Bereich von fünf bis zehn Euro pro Einwohner und Jahr."

    Der technische und finanzielle Aufwand wäre sicher sehr groß. Aber eine solche Lösung vielleicht immer noch besser, als bestimmte Arzneimittel zu verbieten. So etwas kann sich Jekel sogar für Diclofenac vorstellen, den Wirkstoff in vielen Schmerzmitteln:

    "Diclofenac ist aufgefallen [durch] die Schädigung von Fischen, also Nierenschädigungen, die übrigens ja auch im Humanbereich bekannt sind. Bei langer Aufnahme von Diclofenac ist das eine Nebenwirkung."

    Eine Konzentration von 0,1 Mikrogramm pro Liter gilt als unbedenklich für die aquatische Tierwelt. Doch Diclofenac überschreitet diesen Wert in manchen Gewässerabschnitten:

    "Es wird diskutiert in der Fachwelt, dass das ein Zielwert wird auch im Rahmen der Wasser-Rahmenrichtlinie der EU. Vielleicht haben wir in fünf bis zehn Jahren diese Vorgaben. Und dann bleibt nichts anderes übrig, als entweder den Stoff aufzugeben."

    Oder eben die Kläranlagen aufzurüsten, damit sie umweltschädliche Arzneistoffe wie Diclofenac sicher eliminieren. Jekel und seine Fachkollegen halten Vorsorgemaßnahmen in jedem Fall für unerlässlich, zumal mit weiteren Stofffunden in Gewässern zu rechnen ist:

    "Wir haben ja gelernt seit 30 Jahren, dass man lieber vorsorgt, als dauernd jedem Stoff hinterherläuft, der gerade auftritt. Und wir leben ja immer noch davon, dass wir alle paar Wochen einen neuen Stoff haben."