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Per Gentest zum Wunschkind

Medizin. - Vor fast 25 Jahren kam das erste deutsche Retortenbaby auf die Welt. Bis heute folgten ihm Hunderttausende. Doch weil Krankenkassen die Kosten nur noch zum Teil tragen, wenden sich Paare verstärkt an Mediziner im Ausland - und damit hin zu fragwürdigen Praktiken.

Von Michael Lange | 27.11.2006
    Wenn das Erbgut einer Samenzelle mit dem einer Eizelle verschmilzt, dann entsteht ein Embryo. Das heißt aber noch lange nicht, dass eine Schwangerschaft beginnt und neun Monate später ein Kind geboren wird. Längst nicht alle Embryonen werden zu Kindern. Das gilt für die natürliche und die künstliche Befruchtung gleichermaßen. Die Ursache dafür liegt im Erbgut der Embryonen, meint der der Mediziner Yuri Verlinsky. Er betreibt in Chicago ein privates Institut für Reproduktive Genetik.

    "Wir haben herausgefunden, dass menschliche Embryonen oft Erbgutschäden aufweisen. Dem Embryo fehlen Chromosomen, oder er besitzt überzählige Chromosomen. Das gilt für über 50 Prozent aller menschlichen Embryonen. Sie sind chromosomal nicht normal."

    Yuri Verlinsky setzt in seinem Institut Testverfahren ein, mit denen er herausfinden kann, welche Embryonen die falsche Chromosomen-Zusammensetzung besitzen. Sie haben kaum Chancen, sich in der Gebärmutter einzunisten. Wenn doch, kommt es zu Fehlgeburten oder erheblichen Behinderungen. Zum einen untersucht Yuri Verlinsky die Chromosomen der Eizellen vor der Befruchtung. Das ist auch in Deutschland erlaubt. Außerdem entnimmt er Zellen des frühen Embryos. Das ist in Deutschland verboten. Denn dabei wird selektiert. Nur einer von meist fünf im Reagenzglas gezeugten Embryonen wird ausgewählt und übertragen.

    "Ein nicht normaler Embryo führt nicht zu einer normalen Schwangerschaft. Indem wir den schlechten Embryo erkennen und nicht übertragen, verhindern wir Behinderungen und Fehlgeburten. Außerdem erhöhen wir so die Erfolgsrate bei der künstlichen Befruchtung. Das haben wir bei über 1000 Frauen zeigen können. Während sich sonst nur sieben Prozent der Embryonen in die Gebärmutter einnisten, waren es bei uns vierzig Prozent. "

    Eine vergleichende Studie, die in Belgien durchgeführt wird, kommt in einem Zwischenbericht zu einem anderen Ergebnis. Bei 200 bislang untersuchten Patientinnen brachte der Chromosomentest keine nachweisliche Erhöhung der Schwangerschaftsraten. Der deutsche Reproduktionsmediziner Klaus Diedrich von der Universitätsklinik in Lübeck bewertet den Chromosomentest für Eizellen und Embryonen deshalb skeptisch:

    "Es wird von einigen Arbeitsgruppen angeboten für viel Geld, ohne dass bewiesen ist, dass es etwas bringt. Insofern muss man die Chromosomenuntersuchung, sei es am Embryo oder an der Eizelle, nach wie vor als experimentell ansehen."

    Dennoch würde auch Klaus Diedrich gerne die Embryonen auswählen, die er verpflanzt. Aber nach rein äußerlichen Kriterien unter dem Mikroskop. Das heißt: morphologisch. Dieses Verfahren habe sich in vielen Ländern bewährt.

    "Wir müssen dafür nicht manipulieren am Embryo. Es genügt die morphologische Betrachtung des Embryos. Wir können heute nach diesen morphologischen Kriterien den Embryo erkennen, der eine hohe Chance hat, sich einzupflanzen, von über 30 Prozent."

    Das bedeutet: Es müssten nicht mehr wie bisher mehrere Embryonen eingepflanzt werden. Die immer noch häufigen Zwillings- und Drillingsschwangerschaften nach künstlicher Befruchtung würden vermieden. Aber das wäre Selektion. Der beste Embryo würde ausgewählt, die anderen aussortiert. Und das verbietet das deutsche Embryonenschutzgesetz. Deshalb fordern Deutschlands Fortpflanzungsspezialisten seit Jahren ein Gesetz für Reproduktionsmedizin. Politische Beratungen darüber werden seit Jahren immer wieder verschoben.