Guckeisen: Das ist wohl auch der Punkt, können Sie das gerade erklären? Sie sprechen von Kapazität und auf der Grundlage kann man das ja auch nur anfechten. Was heißt das?
Löwer: Man muss wissen, dass das Bundesverfassungsgericht damals in seiner Numerus Clausus-Entscheidung mit dem der NC als solcher gebilligt worden ist, zugleich Bedingungen aufgestellt hat. Und diese Bedingung heißt Kapazitätserschöpfung. Die Gerichte sind ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht aufgerufen, zu kontrollieren, ob die Kapazität denn auch wirklich ausgeschöpft ist nach Maßgabe eines noch zumutbaren Studiums, das einen qualitätsvollen Abschluss ermöglicht.
Guckeisen: Wenn man also feststellt oder den Verdacht hat, dass noch ein Platz frei ist, den die Uni warum auch immer nicht ausnutzt, dann kann man, obwohl man abgelehnt wurde, vor Gericht gehen.
Löwer: Ja und im Prinzip bekommt auch derjenige den Platz, der die freie Kapazität entdeckt hat.
Guckeisen: Das ist also das Entscheidende. Nur derjenige, der klagt, hat dann auch die Möglichkeit, diesen Platz zu besetzen.
Löwer: Nur aus dem Kreis der Kläger. Das ist ja nicht nur einer oder so, es sind spezialisierte Anwaltskanzleien in Deutschland, die das für eine Mehrzahl von Klägern tun.
Guckeisen: Wenn die Erfolgsaussichten nicht null sind, wie hoch sind sie denn?
Löwer: Das kann ich nicht quantifizieren, es kommt immer darauf an, wie hoch die Kapazitätslücke ist, die das Gericht entdeckt. Wenn Sie die Kapazität in der Größenordnung eines Hochschullehrers entdecken, der zu Unrecht dem Studium nicht zugerechnet wird, dann haben sie vielleicht 30 freie Plätze entdeckt. Wenn Sie 100 Kläger haben, müssen von denen 30 zum Zuge kommen und wie das dann geschieht, ist auch unklar. Meistens wird dann unter den gleichzeitig eingegangenen Klagen ausgelost.
Guckeisen: Die Chance ist also nicht allzu groß für den Einzelnen und Sie sagten gerade, es gäbe Anwaltskanzleien, die sich darauf spezialisiert haben, wenn die Chance nicht so groß ist. Ist das überhaupt seriös, was da veranstaltet wird?
Löwer: Sicher, denn Sie können nie ganz genau absehen, angesichts der Komplexität der Parameter, die für die Kapazitätsberechnung ei gesetzt werden, ob sie nicht ein Plätzchen finden. Die Gerichte sind da unerhört findig, nicht nur die Kläger, die kontrollieren das sehr engmaschig.
Guckeisen: Würden Sie raten, so einen Weg einzuschlagen?
Löwer: Nein. Da werden 500 Klagen ausgebracht und davon kommen zehn zu ihren Studienplatz. Der Lotterieeffekt ist immer noch sehr hoch und ob man für die Lotterie Geld ausgibt, ist eine sehr persönliche Entscheidung.
Guckeisen: Ist das denn teuer?
Löwer: Die von den Gerichten festgesetzten Streitwerte sind natürlich völlig überschaubar, das wäre nicht das Problem. Ich glaube aber nicht, dass die Kanzleien zum regelstreitwert tätig werden, die werden vermutlich häufig eine Honorarvereinbarung treffen, insbesondere, wenn sie erfolgreich sind wird die Rechnung der Kanzleien nicht ganz niedrig sein.
Guckeisen: Kann man sich denn vorab irgendwo beraten lassen, ob es sich im speziellen Fall lohnt, vor Gericht zu ziehen?
Löwer: Nur von diesen Spezialisten und ohne die Erfahrungen eines auf diesem Gebiet ausgewiesenen Büros, wächst der Lotterieeffekt noch. Man muss schon zu den Leuten hingehen, die da beinahe schon lebenslange Erfahrung drin gewonnen haben, denn es ist ja kein neuen Phänomen, das haben wir seit das Bundesverfassungsgericht das in der 70erjahren entschieden hat.
Guckeisen: Nun gibt es steigende Zahlen in Thüringen, speziell in Jena, aber auch an anderen Hochschulen in verschiedenen Bundesländern. Erwarten Sie da einen Trend? Denn es gibt ja den Trend, immer mehr Fächer mit dem NC zu belegen. Die Frage ist, wie lange noch, aber im Moment ist es so.
Löwer: Wir bewegen uns in einem argumentativen Umfeld, bei dem die Politik erklärt, es müssten noch mehr Leute an die Unis und zugleich die Kapazitäten schrumpfen. Das heißt, der Verteilungskampf zwischen mehr Leuten und weniger Kapazität wächst. Deshalb wächst sicherlich auch die Bereitschaft, sich den langen Wartezeiten möglichst zu entziehen, indem man schon vorher sein Glück versucht.
Guckeisen: Also möglicherweise rollt da noch etwas auf die Hochschulen zu. In Campus & Karriere Wolfgang Löwer, Hochschulrechtsexperte an der Uni Bonn.