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Per Schleuder in den Weltraum

Technik. - In Peterchens Mondfahrt oder Jules Vernes phantastischer Mondfahrt begaben sich die Raumreisenden per Kanonenkugel zum Erdtrabanten. Zwar wurden zu militärischen Zwecken bereits gewaltige Kanonen erbaut, doch mit dem neuen Projekt der EADS kann es keine aufnehmen. Das deutsch-französische Forscherteam schießt dabei auch nicht mit Pulver, sondern mit elektrischem Strom: und zwar in seiner Schienenkanone.

14.02.2005
    Schon Jules Verne ersann einen - wenn auch für die Astronauten eher brachialen - Weg zum Mond: quasi als Kanonenkugel wollte der phantasievolle Autor seine Protagonisten in den Orbit befördern. Völlig abstrus finden auch Ingenieure des durchaus seriösen Raumfahrtkonzerns EADS in Bremen die Idee a la Peterchens Mondfahrt nicht. Doch nicht bei der Lektüre des Bassewitz-Märchens oder Vernes "Von der Erde zum Mond" kam Jörg Behrens von EADS Space Transportation auf eine zündende Idee, sondern vielmehr im schnöden Fernsehen: "Nach eigenen Recherchen sowie einer Wissenschaftssendung von 3Sat, in der neue Ansätze im Militärbereich vorgestellt wurden, war ich eigentlich sehr sicher: das können wir auch nutzen." Besonders angetan hat es Behrens ein Modell eines elektronischen Schienenbeschleunigers, mit dem auch Projektile in Hyperschallgeschwindigkeit in den Himmel geschossen werden könnten.

    Seit 2002 verfolgt der EADS-Projektleiter zusammen mit deutschen und französischen Partnern sowie der europäischen Raumfahrtagentur Esa das Konzept einer elektromagnetischen Kanone im Dienste der Raumfahrt. "Der besondere Charme dabei ist, dass wir das komplette Antriebssystem ja am Boden haben, während herkömmliche Raketen ihre Treibwerke nebst Treibstoff mit sich tragen müssen." Nicht so bei der Bremer Weltraumschleuder: sowohl der Energieträger - eine überdimensionierte Kondensator-Batterie - als auch der eigentliche Schienenbeschleuniger bleiben nach dem Start am Boden. Zweiter bestechender Vorteil der Methode: mit gerade zehn Kilowatt Stromverbrauch pro Abschuss wäre die Railgun zudem praktisch das 3-Liter-Auto in der Höhenforschung. In ersten Probeläufen bewies die Superkanone, dass die skurrile Idee durchaus praktikabel ist. "Pegasus" - so der Name der Pilotanlage in Saint Louis - brachte zwischen ein und zwei Kilogramm schwere Projektile von Null auf beeindruckende 7500 Kilometer in der Stunde.

    "Das Gerät ähnelt einem normalen Kanonenrohr, in dem aber zwei große, elektrisch leitende Kupferschienen montiert sind. Das eingeführte Projektil erzeugt einen Kurzschluss zwischen den Leitern. Die dabei entstehenden elektromagnetischen Kräfte nennt man Lorentzkräfte. Sie beschleunigen das Geschoss aus dem Rohr heraus", schildert Jörg Behrens. Allerdings schießen die Ingenieure derzeit noch nicht in die Luft, sondern vielmehr einfach geradeaus in Bodennähe. Doch auch dieser nächste Schritt in Richtung Umlaufbahn soll bald stattfinden, möglicherweise noch in diesem Jahr. Mit einer zehn Meter langen Schienenkanone will Behrens in der Lüneburger Heide erstmals Projektile in zehn Kilometer Höhe befördern und damit zeigen, dass die Methode für die so genannte suborbitale Höhenforschung tauglich ist. Während Otto-Normal-Kanoniere da schon blass vor Neid werden, will der Bremer Forscher noch weiter hinauf: "Wir haben zurzeit eine 22-Meter Kanone projektiert, mit der wir ein Projektil von vier Kilogramm Masse sowie einem Kilogramm Nutzlast auf etwa 120 Kilometer Höhe schießen können." Damit wäre eine Höhe erreicht, an der Atmosphärenforscher besonders interessiert sind, um etwa Ozongehalt und -verteilung zu bestimmen. Selbst Mini-Satelliten, so Behrens, könnten auf bis zu 400 Kilometer getragen werden. Dazu wäre aber eine Monsterkanone von rund 180 Metern Länge erforderlich - und sehr stabile Geschosse.

    [Quelle: Christoph Kersting]