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Per Turbo zum Barrique-Aroma

Ernährung. – Auch vor Jahrhunderte alten Traditionen machen Chemiker nicht halt – so etwa bei Tricks in der Weinerzeugung. Besonders in den USA und in Australien suchen Winzer nach Methoden, um das beliebte Barrique-Aroma schneller und vor allem ohne die normalerweise üblichen Holzfässer zu erreichen. Auch hierzulande finden die rüden Methoden inzwischen Anklang. Die Tricks der Winzer seien zwar nicht gesundheitlich bedenklich, doch so gesund wie die alten Methoden seien sie auch nicht, fanden Ernährungsexperten jetzt heraus

18.03.2003
    Ende vergangener Woche trafen sich in Potsdam deutsche Ernährungsexperten zum 40. Wissenschaftlichen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Dass es dabei nicht nur asketisch zuging, belegt ein Thema, dass manche Gemüter dort erregte. Im Fokus stand dabei der Wein und vor allem seine Vorzüge für die Gesundheit. So wird darin enthaltenen Farb- und Gerbstoffen wie etwa Polyphenolen, Resveratrolen oder Antozyanen nachgesagt, das Risiko für Arteriosklerose und somit für Schlaganfälle und Herzinfarkte zu senken. Doch dieses treffliche Werbeargument torpedieren jetzt deutsche Ernährungswissenschaftlerinnen: Gerade durch moderne önologische Verfahren würden dem Wein viele dieser Stoffe wieder geraubt. "Wir empfehlen, den Wein lieber auf natürliche Weise entstehen zu lassen – mit einem reichlicheren Gehalt an Polyphenolen", meint Irmgard Bitsch, selbst jahrelang Professorin für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaft an der Universität Gießen. Dort hatte ihre Arbeitsgruppe junge deutsche Rotweine aus dem Jahrgang 2000 untersucht. Diese besonderen Testtropfen aus verbreiteten Reben wie Lemberger, Spätburgunder oder Cabernet Franc stammten direkt aus dem Keller der Weinforschungsanstalt Geisenheim.

    Das Besondere an den Schultropfen: Ihre Reifung in Stahltanks wurde mit einer exakt gesteuerten Sauerstoffzufuhr vorangetrieben. Diese Methode der so genannten Mikrooxidation bildet einen wesentlichen Grundstein der modernen Önologie, die dereinst das traditionelle Barriquefass ablösen soll. Denn während die Nachfrage nach diesen knorrigen Weinen wächst, sind die dafür verantwortlichen französischen Eichenfässer teuer und das dazu verwendete Holz wird überdies immer knapper. Weil die organischen Behälter nicht ganz dicht sind, gelangt hier ebenfalls permanent etwas Sauerstoff in den Wein. Allerdings ist der aggressive Sauerstoff ein potentes Oxidans, das andere Substanzen angreift. "Der zugeführte Sauerstoff oxidiert die vorhandenen Polyphenole, die dann polymerisieren und ausfallen. Diesen Bodensatz filtert der Winzer schließlich ab", so berichtet Bitsch. Der so behandelte Wein besitze wesentlich weniger Polyphenole als herkömmlich gereifte Tropfen. "Wir stellten bei Antozyanen einen Verlust von rund 20 Prozent fest, während er bei den Resveratrolen bei etwa 15 Prozent lag", konstatiert Gabriele Strass, Doktorandin an der Universität Jena, die die Weinproben im Labor genau analysierte. Die ebenfalls als gesundheitlich förderlich geltenden Flavanole sanken nach der Turboalterung gar um die Hälfte ab.

    "Weil man aus ernährungsphysiologischer Sicht einen möglichst hohen Gehalt an Polyphenolen im Wein wünscht, kann man den künstlich oxidierten Wein schon als weniger wertvoll betrachten", schätzt Strass. Da aber, wenn auch über längere Zeit, letztlich derselbe oxidative Vorgang im porösen Barriquefass abläuft, stellt sich auch die Frage nach den chemischen Wirkungen dabei auf den Wein. "Darin läge eine interessante Fortsetzung dieses Forschungsvorhabens, doch derzeit lässt sich darüber noch nichts sagen", meint Roland Bitsch, Professor für Humanernährung an der Universität Jena und ebenfalls an dem Polyphenolprojekt beteiligt.

    [Quelle: Volker Mrasek]