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Perfekte Illusion, perfekte Literaturverfilmung?

In der letzten Nacht war es soweit, der dritte Teil des Filmepos des neuseeländischen Regisseurs Peter Jackson: "Die Rückkehr der Könige" kam ins Kino. Der Abschluss der Fantasy-Trilogie der Superlative hat rund 310 Millionen Dollar gekostet. Hat sich der Aufwand gelohnt?

    Lückert: Hans Pesch, selbst Autor von Fantasy-Romanen, und Verfasser eines Elbisch-Lexikons, wie war der dritte Teil?

    Pesch: Zunächst einmal ist dieser dritte Teil einfach überwältigend. Dreieinviertel Stunden reine Laufzeit. Ich habe also danach in einem Kinosessel gesessen, mir den gesamten Nachspann einschließlich des Liedes angehört, weil ich erst mal wieder Atem holen musste. Es ist dann sehr schwierig, bei dieser Flut der Bilder über einen solchen Zeitraum eine kritische Distanz überhaupt zu wahren. Es ist gigantisch. Man ist zunächst einfach erschlagen.

    Lückert: Allerdings sprechen wir hier auch vom Phänomen der Literaturverfilmung, und dann möchten wir natürlich auch wissen, ist sie gelungen?

    Pesch: Ich denke, unter den ästhetischen Einschränkungen, die eine solche Multimillionendollarproduktion hat, denn anders konnte man das nicht realisieren, ist es das Beste, was man daraus machen konnte. Man hat zumindest versucht, den Intentionen des Autors gerecht zu werden und ihnen nicht eine andere Deutung überzustülpen, wie es manchmal geschieht. Die Vorlage hat über 1.000 Druckseiten, und es ist klar, dass man einen solchen Film nicht an der Vorlage entlang fotografieren kann. Es gibt sicherlich auch manche Änderungen, die aus dramaturgischen Gründen notwendig waren. Tolkien, der Autor, schrieb diese Geschichte hauptsächlich in den dreißiger Jahren, und er kommt aus einer ganz bestimmten Tradition, nämlich der spätviktorianischen Reise- und Abenteuerliteratur. Ein Zug davon ist zum Beispiel, dass die handelnden Personen hauptsächlich Männer sind. Das war damals in der Literatur so üblich. Es waren damals hauptsächlich die Männer, die eben Abenteuer erlebten, sowohl in der Realität als auch in den Romanen. Man hat jetzt versucht, die Frauen ein bisschen aufzuwerten. Das sind eben Dinge, die sich aus der Dramaturgie des Films ergeben. Man hat auch versucht, die Motivation der Figuren etwas stärker herauszuarbeiten. Zum Beispiel im zweiten Teil ist mir vor allem aufgefallen, dass im Grunde alle Figuren eine gute und eine schlechte Seite haben. Selbst Personen wie eben Faramir ,der jüngere Sohn des Statthalters von Gondor, der eigentlich im Buch ein einziger Gutmensch ist, ist hier jemand, der zweifelt und versucht, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich denke, in manchen Punkten kann auch der Film Dinge mehr auf den Punkt bringen als das Buch, aber ob er dem Buch gerecht wir, ist eine Frage, die man in der Tat nicht so einfach beantworten kann.

    Lückert: Wenn wir auf die Rezeptionsgeschichte des Herrn der Ringe blicken, dann stellen wir fest, dass eben in den sechziger Jahren der Boom begann und dass jetzt in der letzten Zeit es dann noch einmal eine Neuauflage gab. Es gab auch eine Taschenbuchausgabe, und auch jüngere Leute begeisterten sich wieder für den Herrn der Ringe. Jetzt fragt man sich eigentlich, ist dieser Film der letzte Teil der Rezeptionsgeschichte?

    Pesch: Das Buch ist in England Mitte der fünfziger Jahre erschienen, und zu einem Bestseller wurde es in Amerika Mitte der sechziger Jahre, als damals eine ganze Generation dieses Buch entdeckte; ein ganz merkwürdiges Phänomen. Tolkien und seine Freunde hatten in der Tat ein Programm, wie sie die Literaturgeschichte mit ihren Werken verändern wollten, und allein der schiere Erfolg des Herrn der Ringe zeigt, dass es Tolkien zumindest teilweise gelungen ist. Danach würde also phantastische Literatur, um es ganz allgemein zu sagen, nie mehr dasselbe sein wie vorher. Der Herr der Ringe und auch die Werke zum Beispiel von C.S. Lewis wirkten damals anachronistisch. Es war eine altmodische Form des Erzählens, es war ein Rückgriff auf Mythen und Legenden, die man eigentlich längst hinter sich gebracht zu haben glaubte, und das in einer quasi pseudomittelalterlichen romantischen Welt. Tolkien gehört zu einer Generation von Autoren, die einen Krieg mitgemacht haben, und er sagt wie diese anderen Zeitgenossen wie zum Beispiel William Golding oder George Orwell, die alle auch kurz nach dem zweiten Weltkrieg ihre Hauptwerke veröffentlich haben, zwar ist die alte christliche Ethik unter dem Eindruck der Kriege nur noch schwer zu vermitteln, aber der Autor kann trotzdem ein moralisches Buch schreiben. Da wich man dann eben sehr oft bei den Autoren dieser Generation in das Fantastische aus, in das nicht Realistische. Aber der Herr der Ringe ist letztlich doch eine Geschichte um Gut und Böse, und dass man das so in dieser Form schreiben konnte, dass es dann von Millionen von Lesern letztlich auch so akzeptiert wurde, das ist, glaube ich, das große Verdienst Tolkiens.

    Lückert: Aber ist nicht jede gute oder große Literatur eine Geschichte um Gut und Böse? Also ich will ein bisschen darauf hinaus, was ist denn im Grunde der tiefere Kern dieser Tolkien-Manie? Braucht eine Hightech-Gesellschaft Märchen, oder ist das eine unzulässige Analyse? Denn man könnte auch sagen, zu anderen Zeiten brauchte man nach dem Krieg auch Märchen.

    Pesch: Ja, das ist aber auch letztlich ein Ausdruck dessen, dass man das, was man wirklich ersehnt, nicht rational erklären kann. Das Interessante an dieser Geschichte ist ja eigentlich, sie hat kein Happy End, weil ein absolutes Happy End ist heute nicht mehr möglich, im 20. oder 21. Jahrhundert. Frodo versagt ja letztlich. Er wirft ja den Ring nicht wirklich in die Schicksalsklüfte und vernichtet ihn, sondern er wird gerettet von Golum, seinem dunklen Ich gewissermaßen, und es gibt bei allen Schattierungen des Grauens in dieser Welt ein Element, was immer rein positiv ist, und das ist Mitleid, und ich denke, das ist die Botschaft von Tolkien, auch für uns.