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Perfekte Welle

Ozeanologie. - Seit der Tsunami-Katastrophe 2004 wurden neue Frühwarnsysteme im indischen Ozean und im Pazifik installiert. Doch sie allein retten noch keine Menschenleben. In Hannover erörtern Wissenschaftler derzeit, wie der Schutz der Küstenbewohner verbessert werden kann. Dazu dienen auch Tests im Tsunami-Simulator.

Von Michael Engel | 24.04.2007
    Es ist nur ein einziger Hub, den die sieben Meter hohe Wellenklappe macht. 1000 PS schieben das Wasser behutsam zusammen bis eine 60 Zentimeter hohe Welle entsteht. Der lang gestreckte Wasserbuckel zieht mit überraschend hoher Geschwindigkeit davon. Nur wenige Sekunden später – am Ende des 330 Meter langen Wellenkanals – steilt sie sich als Monster auf und schlägt mit Getöse auf den künstlichen Strand. Leider ist der künstlich erzeugte "Tsunami" im Wellenkanal nicht absolut identisch mit dem Original, bedauert Professor Hocine Qumeraci vom Forschungszentrum Küste. Das, was die Wellenklappe horizontal zusammenschiebt, ist zwar eine einsame "Solitärwelle", wie ein Tsunami auch, und sie wird mit der Zeit auch nicht kleiner als "Windwellen", gleichwohl fehlen dem künstlichen Tsunami einige physikalische Besonderheiten.

    "Der Unterschied ist der Wellenzug. Hier haben wir eine einzelne Welle. Bei Tsunami-Wellen, wie Sie das in der Wirklichkeit gesehen haben, sind das mehrere Wellen zusammen. Das ist der Unterschied."

    Um eine physikalisch echte Tsunami-Welle erzeugen zu können, benötigte man einen unendlich langen Wellenkanal. Selbst der größte Wellenkanal der Welt – der "Große Wellenkanal" in Hannover – ist im wahrsten Sinne des Wortes "meilenweit" von dieser Möglichkeit entfernt. Gleichwohl liefern die hier erzeugten Wellen wichtige Erkenntnisse. In Zusammenarbeit mit thailändischen Forschern erkundet Qumeraci jetzt die Schutzfunktion von Mangrovenwäldern:

    "Die Dämpfungsfähigkeit solcher Wälder wurde stark übertrieben, so dass es zu einem Mythos geworden ist – nach dem Motto: "Pflanz’ mal Wälder, und Sie sind geschützt." Wir sind nicht dieser Meinung, und das ist der Grund, warum wir jetzt in unserer Forschung herangehen wollen, sowohl experimentell als auch durch mathematische Modellierung, dass wir dahinter kommen, wie solche Wälder die Tsunami-Wellen dämpfen können."

    Einen Mangrovenwald kann der Küstenforscher im Wellenkanal schlecht anpflanzen. Professor Hocine Qumeraci behilft sich deshalb mit dicken und dünnen Metallstangen. Die dicken stehen für die Mangrovenstämme, die dünnen für das komplexe Wurzelsystem.

    "Die erste Phase wird darin bestehen, dass wir erst mal einen Magrovenbaum hydraulisch parametrisieren. Wir können hier nicht einfach einen Wald bauen, wir müssen das parametrisieren – idealisieren. Welche Parameter sind wichtig für die Dämpfung, und wenn wir das idealisiert haben, können wir das hier problemlos simulieren."

    Um die so genannte "letzte Meile" eines Tsunamis geht es auch in dem DFG-Projekt "Geotechnologie und Frühwarnsystem im Erdmanagement". Am Beispiel der besonders gefährdeten Stadt Padang auf Sumatra in Indonesien untersucht Professor Torsten Schlurmann vom Forschungszentrum Küste im Falle einer Tsunami-Warnung mögliche Schutzvorkehrungen vor Ort ...

    "... wo wir genau überlegen und ausrechnen werden, wie sich die Welle in den Straßenzügen der Stadt ausbreitet. Das heißt auch, wie Straßen gesperrt werden müssen, andere Straßen freigemacht werden müssen, um Leute zu evakuieren, den Verkehrsfluss zu beeinflussen und vielleicht sogar – da denken wir im Augenblick darüber nach – so genannte Vertical Evacuation Shelters zu generieren, das heißt, Orte zu definieren, vielleicht Gebäude, die besonders resistent sind gegen einwirkende Kräfte, wo Leute dann in den dritten, vierten Stock fliehen können. Oder auch Strukturen ganz einfacher Art, die wir dort aufbauen in Padang, wo Menschen dann hinflüchten können und sicher sind."

    Die Forschungen zum Schutz von Padang sind reine Computersimulationen unter Einbeziehung von Stadtplänen und Satellitenbildern. Sogar "soziale Daten" spielen eine Rolle: Wo leben die Armen, die Verwundbaren? Und wie können "kritische Infrastrukturen" wie Schulen und Krankenhäuser am besten geschützt werden. 1,5 Millionen Euro stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft für das jetzt angelaufene Projekt zur Verfügung.