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Performance "Angry Hour"
Weichgespülte Wut

Wie äußert sich weibliche Wut? Das Festival „The Future Is F*e*m*a*l*e*“ in den Berliner Sophiensälen will eine Enzyklopädie weiblicher Wutausbrüche auf der Theaterbühne präsentieren. Doch das ist leichter gesagt als getan, wie die Performance "Angry Hour" des Duos Sööt/Zeyringer zeigt.

Von Oliver Kranz | 03.12.2019
Szenenbild aus der Performance "Angry Hour"
"You stole a point from us. You owe us an apology!"
Tennisfans könnten diese Sätze kennen. Serena Williams griff bei den US Open im vorigen Jahr verbal den Schiedsrichter an. Er hätte ihr Punkte gestohlen und solle sich entschuldigen. In der Performance von Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer werden die Worte wiederholt, aber in ruhiger Diktion.
"Wir haben oft bemerkt, dass wir, wenn wir wütend sind als Frauen, oft nicht ernst genommen werden, sondern ganz häufig wird das als emotional abgewertet und dem überhaupt kein Raum gegeben. Hingegen bei Männern wird es oft so betrachtet, dass sie eine ganz klare Meinung haben und dieser Meinung wird auch Raum gegeben. Das war der Anfangspunkt zu diesem Stück." So Dorothea Zeyringer, die mit einem Rechercheteam Äußerungen wütender Frauen zusammengetragen hat. Die Namen und kurze Informationen zur Bedeutung dieser Frauen werden an die Wand projiziert, die Texte möglichst emotionslos gesprochen. So verwandeln sich selbst die wildesten Flüche in langweilige Aussagesätze.
"I wish you step on your glasses. I wish no one laughs at your jokes. I wish you step in dog shit before an important meeting."
"Ich wünsche dir, dass du aus Versehen auf deine Brille trittst. Niemand soll über deine Witze lachen. Vor einem wichtigen Treffen sollst du in Hundekot treten." So werden in Estland Menschen verflucht, die Straßensängerinnen kein Geld geben. Eigentlich witzig. Doch nicht in dieser Aufführung.
Eine weichgespülte Enzyklopädie weiblicher Wutausbrüche
"Wir wollten eine Art Enzyklopädie schaffen für uns, eine Sammlung, auf die wir immer wieder zurückgreifen können, wenn wir vielleicht im Alltag mal wütend sind. Es ist gut zu wissen, es gibt all diese Frauen, die im öffentlichen oder im privaten Raum in verschiedenen Situationen wütend waren."
Eine Performance als Hilfe für Frauen, die nicht wissen, wie sie ihre Wut äußern können? Das klingt fast ein wenig gut-väterlich. Immerhin: Das Stück liefert viel Material. Emilia Lichtenwagner gehörte zum Rechercheteam: "Uns war wichtig, dass ganz unterschiedliche Frauen aus unterschiedlichen Hintergründen und Lebensweisen und Ländern, also geographisch, auch vorkommen, dass das nicht einheitlich ist, sondern unterschiedlich. Da hat man eine ganze Liste von Namen. Da sind doch einige dabei, die jetzt vielleicht nicht so bekannt sind. Serena Williams ist ein sehr bekanntes Beispiel, aber da gibt es auch einige, die man noch entdecken kann in dieser Liste."
Ausrasten als Empowerment-Strategie
Zum Beispiel Jane Anger, die schon 1589 in England ein Pamphlet mit dem Titel "Schutz für Frauen" veröffentlichte. Carrie Nation zerstörte im späten 19. Jahrhundert in den Verinigten Staaten zahlreiche Bars mit einer Axt, um gegen Alkoholmissbrauch und die daraus resultierende häusliche Gewalt zu protestieren. Jenny Holzer klebte 1980 in New York Plakate mit ihren Botschaften an Häuserwände.
"Shake your hair. Expose the bone. Clarify the mind."
Die beiden Performerinnen haben sich mit dem Gesicht zur Wand aufgestellt und rufen Textzitate. Doch das wirft eher Fragen auf, als dass es welche beantwortet. Dorothea Zeyringer erklärt: "Tiina und mich interessiert sehr stark in unserer künstlerischen Arbeit immer eine sehr starke Übersetzung in eine neue Sprache. Wir wollen mit diesen Momenten, die wir auf der Bühne entstehen lassen, etwas Neues erzählen und nicht etwas nacherzählen, was es schon gab. Sonst könnte man sich auch genauso den Filmausschnitt mit Serena Williams, den es auch auf YouTube gibt, anschauen. Das kann man auch machen. Aber ich finde es sehr spannend, wenn hier auf der Bühne eine Abstraktion stattfindet."
Dorothea Zeyringer und Tiina Sööt schrauben in ihrer Performance zwei Hocker auseinander und spielen mit den Einzelteilen. Über die 28 wütenden Frauen, von denen sie berichten, erzählt das wenig. Dabei haben diese Frauen etwas gewagt. Die Performance hingegen wagt nichts – keinen Protest, keine Provokation, keine starken Bilder. Sie verlässt sich auf die Kraft der genannten Namen. Das hat nur Charme einer aufgesagten Literaturliste.