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Performance in München
Systemkritik mit Popkultur

Monumentalisierte Köpfe von führenden Akteuren aus Politik und Wirtschaft treffen im öffentlichen Raum auf Passanten. Inszeniert wird das derzeit in München von dem Berliner Künstlerduo bankleer. Sie üben mit ihren Performances Systemkritik und widmen sich Kernthemen der Politik und sozialen Missständen.

Von Andi Hörmann | 02.06.2016
    Ein grauer Pappkopf, der die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel darstellen soll, liegt am 31.05.2016 in München (Bayern) auf dem Gehweg vor der bayerischen Staatsoper. Die Skulptur gehört zur Perfomance "Die Irrenden.
    Ein grauer Pappkopf, der die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel darstellen soll, liegt am 31.05.2016 in München (Bayern) auf dem Gehweg vor der bayerischen Staatsoper. (dpa)
    "Wir sind laut. Ja, richtig laut."
    Laut auf dem Max-Joseph-Platz, im Herzen von München: Umgeben vom Residenztheater, der Bayerischen Staatsoper und der Luxusmeile Maximilianstraße. Umgeben von Konsum und Kultur. Umgeben von Passanten - interessiert aber auch irritiert:
    "Eine Inszenierung im öffentlichen Raum, aber ich weiß nicht, was da passiert. Ich habe Kapitalismus-Kritik raus gehört. Politik-Kritik habe ich rausgehört. Aber ich bin auch gerade erst gekommen."
    Das Künstlerduo bankleer aus Berlin durchdringt erst mal akustisch den öffentlichen Raum mit dem "Tohubassbuuh", einem Lasten-Fahrrad mit überdimensioniertem Megafon.
    "Wir versuchen an der Schnittmenge zu arbeiten, wo sich der ganze Wahnsinn von Ökonomie-Kritik, Flüchtlingskrise, Europakrise trifft."
    Pappfiguren treffen auf Passanten
    Karin Kasböck und Christoph Leitner bringen bis zum 12. Juni als Künstlerduo bankleer das Performance-Theater "Die Irrenden. Europäische Defigurationen" in den Münchner Stadtraum, täglich von 16:00 bis 20:00 Uhr: Entstellte und verunstaltete, überlebensgroße Styropor-Büsten kaschiert mit mattgrauer Pappe. Köpfe aus Politik, Wirtschaft und Weltgeschichte treffen dabei auf beiläufige Passanten.
    "Köpfe, leblose Körper, die dann belebt werden durch die Schauspieler. Das ist der Sprung von etwas Skulpturalem in etwas Performatives."
    Eine Passantin sagt: "Das ist auf jeden Fall der Kopf von unserer Angela Merkel. Mehr weiß ich nicht. Aber wir bleiben da."
    - "Ich bin Ines Hollinger, ich bin Schauspielerin und ich bin die Figur der Angela Merkel. Ich bin halt in ihrem Kopf drin und ich bin so wie ihr Alptraum und ihre Stimme, die quasi zu ihr spricht."
    - "Ach, du liegst nur da. Du läufst gar nicht rum mit diesem Kopf?"
    - "Nee, der bewegt sich nicht. Das ist ja der Witz an der Sache. Der macht nichts und schläft meistens."
    - "Wie fühlt es sich an, im Kopf von Angela Merkel?"
    - "Verloren, ja, man fühlt sich so verloren."
    Das Performance-Projekt "bankleer", bestehend aus Karin Kasböck und Christoph Leitner auf dem Max-Joseph-Platz in München
    Das Performance-Projekt bankleer, bestehend aus Karin Kasböck und Christoph Leitner auf dem Max-Joseph-Platz in München. (Deutschlandfunk / Andi Hörmann)
    Merkels Konterfei
    Verloren in Irrungen und Wirrungen drängender Finanz- und Flüchtlingspolitik. In der Größe eines Kleinwagens liegt das traurig drein blickende Konterfei von Angela Merkel auf dem Gehweg zwischen Bayerischer Staatsoper und Flagshipstores namhafter Modekonzerne. Man trifft auf die Figur des Dutty Boukman: Anführer des ersten Sklavenaufstandes 1791 in Haiti. Und ein paar Meter weiter steigt der Schauspieler Olaf Becker in einen kubistischen Felsblock mit dem Gesicht von EZB-Chef Mario Dragi, den er sprechen lässt.
    "Der Dragi hat so lange Sätze, der sagt so Sachen wie: Unser Ziel sollte es daher sein, das grundlegende kapitalistische Gefüge mit seinen profitorientierten Reproduktionsstrukturen aufrechtzuerhalten, es aber zu steuern und zu regulieren, damit es den höheren Zielen der globalen Wohlfahrt und Gerechtigkeit dient."
    Skulpturen-Performance als Pop-Up-Kultur
    Verkopfte Phrasen-Sätze aus der Finanzpolitik treffen in dem Performance-Schauspiel "Die Irrenden. Europäische Defigurationen" auf hörspielartige Kompositionen des Musikproduzenten und Theatermusikers Patric Catani.
    Systemkritik mit Popkultur, Skulpturen-Performance als Pop-Up-Kultur. Das Künstlerduo bankleer schlägt mit ihrem Aktivismus voll in die Bresche und rüttelt den öffentlichen Raum ordentlich durch, in dieser vielleicht manchmal etwas braven Stadt. Stören und Staunen. Das tut München gut! Die ersten Passanten zeigen sich begeistert:
    "Belebung des öffentlichen Raums, Aneignung des öffentlichen Raums. Wenn der aktiviert wird durch so etwas, dann ist es einfach breiter gefächert als wie wenn der nur aktiviert wird durch Konsum oder Kommerz."