Dienstag, 19. März 2024

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Performance in Wien
Tanz den Hurn!

Ist der Cloud Rap eines Yung Hurn ein Fall für die Hochkultur? Ja, findet ein Tanz-Duo aus Kanada und den USA. Beim Wiener ImPulsTanz-Festival, wo junge Choreographen aus aller Welt ihre ersten Stücke präsentieren, inszeniert es ein Stück über menschliche Verbindungen - unterlegt mit Yung-Hurn-Reimen.

Von Paul Lohberger | 01.08.2019
Weiße Sportkleider vor Wolkenvideos: Ellen Furey (r.) und Malik Nashad Sharpe und ihr Stück "SOFTLAMP.autonomies"
Ellen Furey (r.) und Malik Nashad Sharpe und ihr Stück "SOFTLAMP.autonomies" (Michalska Kinga)
Die ersten zehn Minuten herrscht weitgehend Stille. Zwei Personen auf der Bühne liegen anfangs nebeneinander, sie tragen weite, weiße Trainingshosen und Pullover mit Kapuzen. Aber sie bewegen sich quälend langsam. Schließlich richten sie sich auf und entfernen sich voneinander. Trotz des wenigen Lichts auf der Bühne sind sie am hinteren Rand gut erkennbar mit den weißen Kleidern. Sie stehen in den Ecken, maximale Distanz liegt zwischen ihnen.
Malik Nashad Sharpe: "Es ist ein Duett, es dauert etwa eine Stunde lang und enthält eine Menge Tanz, Hüpfen und tiefe Kniebeugen, hehe. Und wir machen dieselben Sachen, miteinander."
Ellen Furey: "Es ist eine gemeinsame Arbeit, die über den Ozean hinweg entstanden ist, unterwegs zwischen Kanada, England und den USA."
Romantische Assoziationen vermeiden
Malik Nashad Sharpe und Ellen Furey entwickelten ihr Tanz-Duett "Softlamp.Autonomies" gewissermaßen in einer Distanz-Arbeitsbeziehung. Die beiden bewegen sich als weiß gekleidete Figuren auf der Bühne, sie beugen sich ganz langsam – oft nacheinander, dicht beisammen. Aber sie berühren sich nie. Das sollte romantische Assoziationen vermeiden und neue Ausdrucksformen erschließen, erklärt Malik Nashad Sharpe:
"Ich frage mich immer, wie wir verbunden sein können, ohne uns zu berühren – denn es sieht für mich nach einer sehr oberflächlichen Art aus, eine Verbindung herzustellen. Wie können wir über Grenzen, verschiedene Geschichten und Körper hinweg miteinander verbunden sein, ohne zu sagen: Lass uns nach dem anderen greifen?!"
Wenn menschliche Barrieren überwunden werden ohne den einfachen Brückenschlag einer Berührung, entsteht womöglich eine tiefere Verbindung, so der Gedanke. Nach einiger Zeit setzt Musik ein, und irgendwann beginnen die beiden synchron zu tanzen. Es wirkt sehr sportlich, nicht nur wegen der Outfits, es liegt auch an den Bewegungen, die schwungvoll fließen. Die Musik kontrastiert das mit forcierter Lässigkeit.
Yung Hurn in Endlosschleife
"Pillen" von Yung Hurn: "Baby, willst du chillen und so. Baby, ich hab' Pillen und so."
Bis zum Ende der Performance wird der Track "Pillen" von Yung Hurn in einer Endlosschleife laufen. Der Rapper aus Wien zelebriert in minimalen Texten das lässige Ausklinken aus den Erwartungen der Gesellschaft. Den Ansprüchen der Welt begegnet er mit Totalverweigerung und Hedonismus. Aber immer mit Stil. Statt fetter Gangster-Karren fährt ein schöner alter Mercedes durch ein Musikvideo. Abhängen, Exzess, Blödelei und Träumerei liegen bei Yung Hurn eng beisammen. Die Musik gepaart mit den Bewegungen der sportlichen Tänzer lässt an Selbstoptimierung und Entfremdung unter dem Druck des urbanen Lebens denken.
Doch so viele Zusammenhänge gebe es da nicht, sagt CloudRap-Fan Malik Nashad Sharpe. Yung Hurn entdeckte er über dessen Label und fand ihn gut, ohne auf die Texte zu achten. Die zusätzliche Bedeutungsebene gefällt Ellen Furey:
"Es gibt tatsächlich eine Verwirrung durch die Lyrcis, sie passen nicht zu dem, was wir tun, aber es ist doch interessant. Die Texte haben etwas Heteronormatives oder Heterosexuelles, oder Einfaches. Wenn sich die Textzeilen 45 Minuten lang dauernd wiederholen, dann bekommt man das Gefühl, es muss etwas anderes passieren – aber was, das entscheidet sich dann spontan, je nachdem, wie man interpretiert."
Überwindung von Grenzen und Nationalitäten
So bleibt es dem Publikum überlassen, ob es Yung Hurns romantische Dekadenz als Widerspruch zu den gender-neutralen Figuren auf der Bühne sieht oder nicht. Durch das blaue Bühnen-Licht wirken sie noch kühler. Gegen Ende des Auftritts schreien sie und streunen auf der Bühne umher. Das Schreien steht für die Anstrengung, die es braucht, um eine Verbindung zu halten. Mit "Softlamp.Autonomies" wollen die beiden Künstler politische Entwicklungen kommentieren.
Malik Nashad Sharpe: "Es geht um den Nationalismus, den wir überall in der Welt sahen, als wir zu arbeiten begannen – ich bin da allergisch, ich find ihn gefährlich. Aber wie kann ich als Tänzer darauf reagieren? Es lohnt es sich, sich den schwierigen Dingen zu widmen und an ihnen zu arbeiten. Lass uns diese schwierige Aufgabe zusammen meistern, lass es uns tun und nicht aufgeben."
Gemeint ist die Überwindung von Grenzen und Nationalitäten, Zwängen und Autoritäten. Dafür kämpfen, dafür tanzen Malik Nashad Sharpe und Ellen Furey. Über allem chillt Yung Hurn mit Pillen und so – was immer das heißt, es wirkt als spannende Inszenierung.