Dienstag, 16. April 2024

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Performanceduo Les Trucs
Elektronischer Fleischgarten

Von Kraftwerk bis zu Daft Punk: Der Mensch-Roboter hat eine lange Tradition in der Popmusik. Das Frankfurter Duo Les Trucs hat eine ganz eigene Welt zwischen Maschine, Mensch und Musik geschaffen. Sie weckt Assoziationen wie Selbstoptimierung, Schönheitswahn und den Schauder vor dem Zerfall.

Von Andi Hörmann | 03.05.2018
    Das Musik-Performance-Duo Charlotte Simon und Toben Piel alias Les Trucs steht am Klavier
    Les Trucs am Klavier: Das Musik-Performance-Duo von Charlotte Simon und Toben Piel (Johanna Bieber)
    Charlotte Simon: "Elektronische Musik klingt so… Tasten werden angeschlagen und die Anlage geht nicht."
    Die ironische Kapitulation des Menschen gegenüber der Musiktechnik. Plug'n'Play heißt eben auch: Stecker in die richtige Buchse. Try & Error im Kabelsalat der Synthesizer, Mischpulte und Effektgeräte - drapiert auf zwei kleinen Edelstahl-Wägelchen wie direkt aus der Großküche, um die Wurstplatten in den Speiseraum zu rollen.
    Charlotte Simon: "Oder… Denk' noch an etwas anderes: Krankenhaus, Labor. Das soll es sein."
    Toben Piel: "Eine Mischung aus Sezier- und Servierwägen, weil es geht um Fleisch und den Körper."
    Charlotte Simon: "Das Setting ist im Prinzip irgendwas zwischen Labor, Leichenschauhaus und Zaubershow - für das Stück Der Fleischgarten."
    Die Milz spricht im Parforceritt
    Auf der Probebühne des Frankfurter Off-Theaters Mousonturm arbeiten Charlotte Simon und Toben Piel als Musik-und-Performance-Duo Les Trucs an einer Art szenisch erweiterten Bühnenfassung ihres Albums "Jardin du Bœuf".
    Charlotte Simon: "In dem Stück stellen wir so eine Situation her, dass der Körper sich eben vereinzelt und wir, die sozusagen Moderatoren/Anatomen, kommentieren das und besingen das."
    Auf dem Album "Jardin du Bœuf" wie auch in dem Theaterstück "Der Fleischgarten" geht es um den menschlichen Körper: Les Trucs sezieren ihn musikalisch, ihre Operationen werden zu einer akustischen Inkarnation von acht Synthesizer-Kompositionen auf dem Konzeptalbum. Da ist der medizinische Eingriff des Arztes im bräsig hämmernden Track "Der Chirurg":
    "Ich bin ein Chirurg / Fachbereich außen / Ich schneide ab / Und klebe an."
    Im Stück "Das vergessene Organ" spricht die Milz im Parforceritt mit Beat und Saxophon im Sattel:
    "Hast Du eine Vergiftung / Ich werde meine Pflicht tun."
    Und ganz am Ende ist es das Wunder der Technik, die dem Menschen, oder besser dem unzulänglichen Körper aus der Patsche hilft: Im Track "Der Schrittmacher" gibt es ein Arpeggio-Duett von Orgel und Xylophon - weiche, repetitive Minimal-Klänge, die nach dem ganzen punkigen Bohei um den Körper das Herz wieder im Takt schlagen lassen.
    Selbstoptimierung und Schönheitswahn
    Les Trucs wecken mit diesem Musikkonzept Assoziationen an Selbstoptimierung und Schönheitswahn - und dem Schauder vor dem körperlichen Zerfall.
    Charlotte Simon: "Hier haben wir dann noch so einen Chor als Sample im Hintergrund, der über die Cryonic Liver singt."
    Toben Piel: "Kyonic ist einfach erst mal nur ein Mittel, um tote Organe oder Körperteile oder auch ganze Körper eben einzufrieren, so dass man dann glaubt, hoffentlich, wenn in der Zukunft die technischen oder medizinischen Möglichkeiten weiter ausgefeilt sind, dass man dann die Leute oder Organe oder Zellen wieder zum Leben erwecken kann."
    Der Mythos von Ewigkeit: Das Leben, die Schönheit, die Gesundheit. Aber auch der ganz profane Aspekt von Fleisch: Lust, Sex, Ekel. Es dreht sich um die Sehnsucht des Menschen nach dem richtigen im falschen Leben, das Streben nach dem scheinbar Unmöglichen, die Symbiose von Mensch und Maschine. Das Außerweltliche wird zur elektronischen Klangsynthese.
    Charlotte Simon: "Wir sind auf jeden Fall Science-Fiction-Fans und Fans von Utopien und Dystopie. Die Ästhetik gefällt uns auch sehr gut. Voll in so einem Korsett von Maschinen zu stecken und so ein bisschen auf der Bühne die Gitarre nicht so nach Außen hin wie so eine Waffe, sondern mehr so in dem Gerät drin zu stecken. Ja, wir mögen das, da drin zu sein."
    "Wir sind Midi-verkabelt"
    Mittlerweile ist das Equipment auf den Edelstahlwägen richtig verkabelt, die beiden Musiker sind miteinander vernetzt und kommunizieren über Ton und Technik.
    Charlotte Simon: "Hier steuert Toben die Geschwindigkeit meines LFOs. Das ist ja überhaupt nicht nervig! Low-Frequency-Oscillation: Da lässt man die Geschwindigkeit des Klanges durch ganz tiefe Frequenzen oszillieren und dadurch entsteht dieser Effekt: däck, däck, däck."
    Autor: "Kannst Du mir noch was zeigen, wo du Einfluss nimmst auf das was Charlotte macht?"
    Toben Piel: "Äh, ja. In meinem Gerät gibt es eine Sequenz, die ich programmiert habe, die ich an verschiedene Synthesizer schicken kann, unter anderem an Charlottes Synthesizer, die die dann wieder modulieren kann."
    Charlotte Simon: "Dieser Bass ist jetzt von Toben gesteuert und von mir moduliert."
    Autor: "Noch eine persönliche Frage: Ihr seid ein Paar, oder nicht?"
    Toben Piel: "Ne, wir sind… Geschwister."
    Charlotte Simon: "Wir sind halt Midi-verkabelt. So eine Art von Geschwister."
    Verwandt oder verliebt? Das bleibt ein Geheimnis im akustischen "Fleischgarten" von Les Trucs. Ihre musikalische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Mensch-Maschine hat dabei nichts von digitaler Sterilität, sondern lebt vom emotionalen Trash-Faktor. Der "Fleischgarten" wird dabei zum ungestümen Elektro-Punk von zwei Künstlern, die gerne auch mal Roboter wären.
    Das Album "Jardin du Bœuf" von Les Trucs erscheint am 4. Mai. Am Tag der Veröffentlichung startet auch das Performance-Theater zum Album im Mousonturm in Frankfurt. Les Trucs gehen nach dem Album-Release dann auch auf ausgedehnte Tour.