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Performancegruppe Forced Entertainment
Die Bühne ist die ganze Welt

Seit 33 Jahren verordnet die britische Performancegruppe Forced Entertainment der europäischen Theaterszene ihre verschärfte Unterhaltung - unzynisch, kritisch, intelligent. Für ihre sprachsensiblen Performances bekamen sie den Ibsen-Preis und eine Einladung zum Berliner Theatertreffen. Jetzt bringen sie auf PACT Zollverein Essen ihre Arbeit "Dirty Work" heraus.

Von Nicole Strecker | 29.04.2017
    Die Kompanie "Forced Entertainment" spielt am 02.09.2013 in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck (Nordrhein-Westfalen) während der Fotoprobe das Stück von Tim Etchells und Tarek Atoui "The Last Adventures".
    Eine Aufführung von "Forced Entertainment" bei der Ruhrtriennale 2013 (dpa / Caroline Seidel)
    So gern das Theater doch allmächtig wäre wie der Film und alles in Bilder verwandeln möchte - es gibt Grenzen. Absolut Nichtdarstellbares – wie Nuklearexplosionen, Actionszenen, herabsausende Fahrstühle. Aber genau die behaupten jetzt Forced Entertainment als Eröffnungsszene ihres fünfaktigen Theaterabends.
    Es gilt also nicht das Shakespeares-Prinzip "die ganze Welt ist eine Bühne", sondern: "die Bühne ist die ganze Welt". Denn an diesem Abend werden im Theater der britischen Performancegruppe Forced Entertainment Sex-Shows präsentiert und Laborversuche mit Mäusen in dreieckiger Form. Es gibt eine Männerparade, angeführt von Michael Jackson, Edward Snowden bis Donald Trump. Es geschehen Küchenunfälle, Wunder, Katastrophen. Allerdings: Nichts davon ist zu sehen. Alles vollzieht sich in der Sprache. Die Forced-Entertainment-Performer Robin Arthur und Cathy Naden sind die beiden Erzähler, die im exquisiten Englisch und nur mit sparsamen Gesten die Ereignisse in der Fantasie der Zuschauer entstehen lassen – eine gruselige, verrückte Welt, vermittelt wie im Botenbericht des konventionellen Theaters.
    Buhlen um Aufmerksamkeit
    Die beiden Conferenciers übertrumpfen sich gegenseitig, buhlen um die Aufmerksamkeit und sitzen dabei ganz sittsam in Satin-schillernder Abendrobe in einer Guckkastenbühne: Verwaschene altrosa-gefältelte Samtvorhänge, Holzdielenboden, in einer Ecke die Performerin Terry O'Connor im schwarzen Pianistinnen-Samtkleid, die ein alten Plattenspielerkoffer bedient. Knisterndes, zartes Klavierspiel zu den Erzählskizzen, die durch die Zeiten zappen, ständig Themen, Kontexte, Formate wechseln. Eine typische Textsplitter-Sammlung von Forced-Entertainment-Autor und -Regisseur Tim Etchells. Er hat schon in früheren Stücken die Zuschauer mit seinen anarchischen Assoziationsketten emotional herumgeschubst zwischen Ekel, Schauder und Humor, und er ließ mit abstrusen Listen den Versuch, die Welt in Kategorien zu erfassen, genüsslich scheitern. Das ist auch in "Dirty Work" nicht anders. Drecksarbeit - nach dem Motto: ist das Böse erst benannt, ist es schon fast gebannt. So spürt man auch in den großartigen verbalen Bilderlawinen des Stücks zunächst vor allem die kritische Stoßrichtung.
    Den Widerwillen der Theatermacher gegen die ewige Skandalisierung, die letztlich alles bedeutungslos macht: den traurigen Selbstmord wie das Sportevent, die Kunstfurzerin, die mit Flatulenzen Lieder imitiert wie den verheerenden Theaterbrand, bei dem keiner überlebt - alles rauscht durch den Wahrnehmungsapparat und man selbst ist nur der passive Gaffer im Weltenwirbel. Soweit der gallige Blick auf die Spektakel-Kultur. Aber im Lauf des Abends überwiegt dann doch der Spaß an diesem Geschichten-Delirium. Zumal Tim Etchells selbst es ja ist, der uns immer wieder auf den sicheren Polstersitz im Theater verweist, wenn seine Performer ein ums andere Mal behaupten, all die Tragödien und Travestien, unwahrscheinlichsten Apokalypsen und aberwitzigen Kuriositäten spielten sich ja nur auf einer Bühne ab. Theater als fantastische Lügen- und Faktenschleuder – der unvergleichliche Forced-Entertainment-Trupp darf das.