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Performte Bilder

In Heidelberg hat der Choreograf und Regisseur Johann Kresnik gemeinsam mit Christoph Klimkes ein Projekt realisiert, das er sich schon als junger Künstler gewünscht hatte: eine Theatermontage mit Texten und Bildern aus der Sammlung des Kunsthistorikers und Psychiaters Hans Prinzhorn.

Von Michael Laages | 20.02.2012
    Der Abend hat noch gar nicht begonnen, da sind schon die zauberhaftesten, verstörendsten Begegnungen möglich: mit einem Maß von Fremde, das von nun an und für den Rest vom theatralischen Exkurs Thema bleiben wird. Sonderbare Typen begegnen der Theaterkundschaft – sauber, ordentlich, geradezu chic, freundlich und zuvorkommend in jeder Hinsicht; aber er redet doch wirklich vollkommen zusammenhangloses Zeug, dieser junge Mann, der sich da gerade auf dem Herrenklo erleichtert hat. Seine Worte sind durchaus zugänglich, deren Sinn aber nie – oder verstehen wir nur nicht die (vielleicht) poetische Grammatik, die das Geplapper formt? Na, da müsse er ja wohl noch ein wenig Text lernen, pflaumt ihn ein Theatergänger an – und der Junge fängt mit größter Selbstverständlichkeit von vorne an, will offenkundig erklären, was und wie er spricht und denkt. Wir werden ihn nie verstehen – Hans Prinzhorn, 1886 im westfälischen Hewer geboren und 1933 an Typhus gestorben, hat Leute wie ihn verstanden. Ein bisschen wenigstens.

    Mich spricht im oberen Foyer ein feiner sympathischer Herr an – und weil sein Vortrag einer Art Terminliste entspricht, falle ich auf ihn herein und nehme diese sonderbaren Ereignisse, die er mir ankündigt, halbwegs ernst; aber als er bei Rückfragen immer wieder nur in die eigenen Textschleifen zurückfällt, ist klar: auch er gehört dazu. So nett, so charmant … vielleicht stammen diese Texte ja von August Neter oder Franz Pohl, Peter Moog und Johann Knüpfer, August Klotz und Karl Brendel, einigen der Meister, deren Werke, Texte und Bilder, Hans Prinzhorn in Heidelberg gesammelt hatte. Hier forschte und schrieb der studierte Kunstwissenschaftler (privat unstet und darum ein leichtes Opfer für die offizielle Psychiatrie und all seine anderen Gegner) über "Das bildnerischen Schaffen der Geisteskranken"; eine große Studie wurde 1921 fertig und weltweit stark beachtet.

    Vor gut 20 Jahren hatte der für Grenzgängereien über das Normale hinaus ebenfalls sehr empfängliche Schauspieler (und mittlerweise ja auch Regisseur) Herbert Fritsch eine Ausstellung der "Prinzhorn-Sammlung" mit einer CD begleitet, die unvergleichlich blieb – Fritsch las die Text von Pohl und Moog und Klotz und Co. ohne jeden Anflug von Besserwisserei: "Sprachlöchersterne". Und auch der Choreograf und Regisseur Johann Kresnik, damals wie Fritsch am Heidelberger Theater engagiert, wirkte damals intensiv mit an der Wiederentdeckung des lange vergessenen Materials. Kresnik versucht nun, für Holger Schultzes neue Direktion in Heidelberg diesen lokalen Schatz auf die Bühne des Opernzelts zu stemmen. Das ist gar nicht einfach und geht auch nicht nur gut.

    Seit geraumer Zeit sieht sich Kresnik ja gebunden an den mit eigenen dramatischen Texten eher nicht so erfolgreichen Dramaturgen Christoph Klimke. Auch in Heidelberg ist das so. Das führt zu beträchtlichen Fallhöhen – während das Publikum schier gefriert in Spannung vor den monströs-mäandernden Textzitaten von Prinzhorns Meister-Künstlern, macht sich ein wenig Bedauern breit, wann immer Klimke Prinzhorns eigene Analysen zu Werk und Person direkt hinter die originalen Texte klemmt. Selbst Andreas Seyfert, wie so oft schon Kresniks und Klimkes unterhört leidensfähiger Partner in der Zentralpartie, ist dann zuweilen arg überfordert. Denn er muss ja auch noch einiges andere Brimborium mit tragen: Abstrakte musikalische Miniaturen von James Reynolds.

    Aber auch Karnevals- und Künstlerkluborgien, mehrere Geliebte, unzählige stumme Patienten - in diesem Bewegungschor entdecken wir übrigens dankbar unsere Freunde vom Beginn wieder! Und eine achtköpfige Tanztruppe soll für vieles gut sein, wirkt aber manchmal auch ein bisschen beliebig.

    Und Klimke erzählt (das ist der problematischste Punkt des Abends) in einer Art Rahmentext über Prinzhorns Leben, das in den letzten Tagen auf der Münchner Typhusstation noch mal an seinem Bewusstsein vorbei zieht; und nun achtet er zwar sorgsam darauf, das noch der entlegenste Einfluss von Prinzhorns Gedanken bei prominenten anderen Denkern Erwähnung findet, irgendwie – aber dieser Textteil, der als Rahmen das Ganze zusammenhalten sollte, ist schlicht profillos, ja armselig.

    Logisch: Faktenhuberei dieser Sorte hat keine Chance gegenüber den großen Wundern, die manchmal in unscheinbaren Ecken der Texte aus Prinzhorns Sammlung stecken. Oder könnte jemand auf Anhieb sagen, was zum Beispiel das bedeutet: Purzelbaum in Richtung Schweinfurt.

    An solchen Momenten ist sich gut Festsaugen, und sie helfen über jedes momentane Mittelmaß hinweg. Der Zwei-Stunden-Abend vor Kulissen wie aus Stahlgewittern (auf die zum Glück ein paar Bilder projiziert werden; es dürften gern auch mehr sein!) hängt nicht oft durch, und die Mischung aus Schauspiel, Dokumentation und ein bisschen Tanz bekommt Kresnik auch gut. Klar: Kein Mitglied der Theatertreffen-Jury wird dafür in die Provinz aufbrechen – aber es tut angesichts der sonst über überall grassierenden Langeweile ganz gut zu wissen, dass es so einen wie diesen Kresnik und seine Fantasien noch gibt.