Köhler: Wenn man sich den bisherigen Perlentaucher anguckt, beispielsweise heute, dann ist das recht umfangreich. Da finden sich etwa sechs beispielhafte Artikel auf vier Seiten. Das wird in der neuen englischsprachigen Ausgabe nicht der Fall sein?
Chervel: Ja, das wird in der englischsprachigen Ausgabe auf jeden Fall knapper sein, weil wir uns beschränken werden, aus den fünf oder sechs Artikeln zu zitieren, die wir in der Presse am wichtigsten fanden, also in der Kulturpresse, auf den Kulturseiten der großen deutschen Zeitungen.
Köhler: Man ist einerseits überrascht und erfreut, dass sie so ein ambitioniertes Projekt machen. Wie kommt es dazu, hat sich die Rolle des Feuilletons gewandelt? Das ist ja seit einem Jahr zu beobachten, dass wir ein All-Zuständigkeits-Feuilleton haben, egal ob Fußball-WM, Visa-Affäre, Tsunami, Grundrechtsdebatte oder klassische Künste. Ist das Interesse daran gestiegen, denn Sie machen das ja nicht, weil Ihnen gerade nichts besseres einfällt?
Chervel: Ja, wobei ich nicht sagen würde, dass mich jetzt dieses All-Zuständigkeits-Feuilleton interessiert, weil mich interessieren in der Regel nicht die Besinnungsaufsätze, die man so liest zur Tour de France. Was uns am deutschen Feuilleton am besten gefällt, ist die Offenheit für gesellschaftliche Debatten, das heißt die Offenheit auch von Autoren, die von außen kommen. Was eben toll ist am deutschen Feuilleton zum Beispiel und auch unvergleichlich mit der internationalen Presse, dass es eine Offenheit für Autoren von außen gibt. Das möchten wir ganz besonders stärken.
Köhler: Ist die Wahrnehmung, wenn ich Sie richtig verstehe, damit europäischer geworden?
Chervel: Ja, es geht eigentlich in Signandsight.com jetzt nicht allein darum, deutsches Kulturleben wiederzuspiegeln, sondern es geht darum, zu zeigen oder zu nutzen, dass die deutsche Öffentlichkeit, oft ohne sich darüber bewusst zu sein, eigentlich eine sehr kosmopolitische ist. Das gilt auch stark für die Feuilletons. Es gilt aber doch auch zum Beispiel für das Kulturleben in Deutschland, dass es sehr kosmopolitisch ist. Denken Sie daran, da war gerade vorgestern in der Süddeutschen ein Artikel, die Deutschen lesen zu 30 Prozent übersetzte Bücher, die Amerikaner tun das nur zu zwei Prozent. Das heißt, die deutsche Öffentlichkeit kann durchaus etwas zur Internationalisierung von Öffentlichkeit beitragen.
Köhler: Ich sehe trotzdem ein kleines Problem, obwohl Sie es eben ein bisschen abgewiegelt haben. Ich versuche es mal so zu sagen, Sie erhalten, wenn ich das richtig weiß, bis 2007 1, 4 Millionen Euro aus Mitteln der Bundeskulturstiftung. Das ist ein Erfolg für Sie, zeigt die Wertschätzung, adelt Sie gewissermaßen auch zu einer Art kulturellen Institution. Werden Sie damit nicht zumindest doch vielleicht ein kleines Instrument auch auswärtiger Kulturpolitik, ohne das Sie es wollen?
Chervel: Tja, auswärtige Kulturpolitik. Es ist ja nicht so, dass uns die Kulturstiftung reinredet in das, was wir tun. Ich denke, wir begreifen das als eine Chance, diese Finanzierung durch die Bundeskulturstiftung. Wir haben uns darauf beworben mit diesem Projekt und es wurde angenommen. Und es ist ja so, dass diese Förderung befristet ist, zwar großzügig ist, das muss man sagen, aber sie ist halt zeitlich befristet. Das heißt, wir müssen innerhalb dieser Zeit auch versuchen, irgendwie von woanders her Gelder zu bekommen. Und dann kann vielleicht die Zivilgesellschaft, die in Deutschland immer noch ein bisschen verschlafen ist, an die Stelle des so initiativreichen Staates treten.