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Persönlichkeitsverändernde Nebenwirkungen

Die sogenannte Tiefe Hirnstimulation mithilfe von Elektroden hat bereits Tausenden von Parkinsonkranken geholfen. Doch bei einigen Patienten wären die Nebenwirkungen zu groß. Therapieansätze für diese Risikopatienten haben Kölner Neurologen in zwei großen Studien untersucht.

Von Kristin Raabe | 09.03.2011
    Entweder die Gliedmaßen zucken unkontrolliert oder der Körper ist von jetzt auf gleich völlig steif und kein Schritt ist mehr möglich - der Zustand eines Parkinsonpatienten im fortgeschrittenen Stadium wechselt ständig zwischen diesen beiden Extremen. Medikamente helfen dann nur noch wenig. Einzige Hoffnung für solche Patienten ist die tiefe Hirnstimulation. Dabei führen Neurochirurgen Elektrodendrähte tief in das Gehirn - zum sogenannten Nucleus subthalamicus ein. Über diese erbsengroße Struktur lässt sich die fehlerhafte Aktivität im Gehirn blockieren, die die unkontrollierten Bewegungen bei Parkinsonpatienten auslöst. Wie wirksam das Verfahren ist, hat der Neurologe Lars Timmermann an der Universitätsklinik Köln untersucht.

    "Das Problem beim Nucleus subthalamicus ist aber auch, dass wir immer wieder einzelne Patienten haben, die nach einer Operation entweder schlechter Stimmung sind, also eher depressiver Stimmung sind oder eine hypomanische Phase haben - also um es mal salopp auszudrücken - und es sind vor allem die Männer - dass sie das Gefühl haben eine Mischung zwischen Arnold Schwarzenegger und Albert Einstein zu sein. Das ist etwas, was uns Sorgen macht, weil die Verwandten zu uns kommen und sagen: Der Mensch hat sich verändert, ich habe einen anderen Mann geheiratet, oder ich bin mit einem anderen Partner in die Operation reingegangen als der, den ich jetzt zuhause sitzen habe."

    In solchen Fällen bleibt den Ärzten nichts anderes übrig als den Hirnstimulator abzustellen. Die nicht ungefährliche Hirnoperation war dann völlig umsonst. Manchmal sind die Persönlichkeitsveränderungen so subtil, dass sie den Ärzten in der Sprechstunde gar nicht auffallen und erst von den Angehörigen wahrgenommen werden.

    "Möglicherweise sind das ganz kleine feine Veränderungen, die dann doch im Alltag relevant sein können. Zum Beispiel Veränderungen in der Impulsivität. Jemand geht leichter in die Luft, schlägt eher mal die Tür, fängt eher mal an zu schreien. Oder Veränderungen, die so sind, dass man viel leichter etwas hat, das so aussieht, wie ein bisschen zu guter Stimmung ist, ein bisschen zu unreflektiert das neue Auto kauft."

    Lars Timmermann hat untersucht, ob sich schon vor dem Einsetzen der Elektroden vorhersagen lässt, welche Patienten ein Risiko für solche persönlichkeitsverändernden Nebenwirkungen haben.

    "Wir konnten zeigen, dass tatsächlich Patienten, die schwer betroffen sind, die gleichzeitig Einschränkungen in der sogenannten kognitiven Flexibilität haben - also das schnelle Einstellen auf neue Regeln - und die vorher vielleicht schon ein ganz klein bisschen depressiv oder ein ganz klein bisschen zu guter Stimmung gewesen sind, also ein klein bisschen hypomanisch, dass das die Risikopatienten sind, bei denen wir aufpassen müssen."

    Bei solchen Patienten würde der Neurologe keine Elektroden in den Nucleus subthalamicus einsetzen lassen. Helfen will er ihnen aber trotzdem. Alte Fachliteratur aus den 50er- und 60er-Jahren brachte ihn schließlich auf die richtige Spur. Damals hatten Neurochirurgen in einem anderen Kerngebiet im Gehirn, im sogenannten Globus pallidus internus, das Hirngewebe durch Hitze zerstört. Nach solchen drastischen Operationen ging es vielen Parkinsonpatienten besser. Über persönlichkeitsverändernde Nebenwirkungen hatten die Chirurgen damals nicht berichtet. Lars Timmermann bat also die Neurochirurgen, die Hirnelektroden bei Risikopatienten in den Globus pallidus internus einzusetzen.

    "Wir haben zum Beispiel einen Patienten auf unserer Station gehabt, der geradezu wilde Überbewegungen hatte und eben kaum in der Lage war, sich vor lauter Überbewegungen im Stuhl zu halten. Gleichzeitig hatte er aber eine höchst bizarre Persönlichkeitsstruktur und wir haben gedacht, wenn dieser Patient dazu noch eine Impulskontrollstörung oder eine hypermanische Phase - zu guter Stimmung ist - dann ist dieser Mensch überhaupt nicht mehr alltagstauglich. Auf der anderen Seite war er mit Medikamenten überhaupt nicht mehr einzustellen. Und wir ... sind als Zielgebiet auf diesen neuen alten Kern gegangen und was wir gesehen haben ist, dass dieser Patient erstens von seiner Beweglichkeit eine sehr, sehr gute Antwort hatte. Wir konnten die Medikamente sicher ein bisschen weniger reduzieren, als wir das sonst gekonnt hätten, aber die psychische Situation des Patienten hat sich stabilisiert. Er ist wesentlich ausgeglichener, nicht mehr so impulsiv und ist damit auch für seine Familie und Freunde auch viel besser umgänglich, sodass das gerade für diesen Patienten eine extrem sinnvolle Entscheidung gewesen ist."

    Inzwischen sind an der Universitätsklinik Köln und an einigen anderen Zentren eine Reihe von Risikopatienten auf diese Weise mit tiefen Hirnelektroden behandelt worden - mit ähnlich guten Ergebnissen.