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"Personal Training" in der Vorlesung

Nur rumsitzen den ganzen Tag ist ungesund – haben wir alle schon mal gehört. Und besonders viel sitzen Studierende rum: in der Vorlesung, im Seminar, am Schreibtisch. Die Bergische Universität in Wuppertal ist jetzt die erste deutschlandweit, die mitten in der Vorlesung ein "Auflockerungsprogramm" anbietet.

Von Conny Raupold | 18.11.2010
    "Hallo zusammen, bitte einmal aufstehen und die Stühle entweder nach hinten oder nach vorne schieben. Ich mach einmal die Fenster hier vorne auf, ja?! Wenn ihr möchtet, macht das auch einmal bei euch ... ."

    Und das war es jetzt erst mal mit Sinuskurven und mathematischen Formeln. Der Studi-Pausenexpress platzt in das Mathe-Tutorium an der Bergischen Uni. Und das heißt jetzt für die Studentinnen und Studenten: Aufstehen und Bewegen:

    "Gut, und wie immer atmen wir einmal tief durch die Nase ein, werden ganz groß, und durch den Mund wieder aus ... wir bleiben kurz unten, schwingen mit den Armen nach rechts und links und rollen die Schultern nach hinten."

    Pia Scholl gehört zum Hochschulsport-Team. Das organisiert das "Personal Training" in der Vorlesung. Sie steht vorne und macht die Übungen vor ... und der Kurs macht sie nach. Manche mehr, manche weniger motiviert. In der letzten Reihe gibt es auch ein paar Studierende, die gar keine Lust drauf haben und sitzen bleiben:

    "Ich find´s ein bisschen nervig. Ich würd lieber weiter machen, weil wir sonst den Stoff auch gar nicht durchbekommen in der Stunde. Deshalb find ich´s nervig. Und ich mach´s nicht gern. "

    ""Eigentlich ist das ja so zur Auflockerung, aber das kommt mir ein bisschen vor wie in der Grundschule, total kindisch."

    "Nicht wirklich spektakulär. Wenn man so an sich genug Sport macht, denke ich, kann man sich das auch schenken."

    Mit den Schultern rollen, Kopf zur Seite, auf die Zehenspitzen stellen – mitten im Seminarraum, das ist nicht jedermann´s Sache. Aber absolut sinnvoll, sagt Gaby Maass, sie organisiert den "Studi-Pausenexpress":

    "Verstehen kann ich das auf der einen Seite, weil sie unterbrochen werden. Auf der anderen Seite würden sie ja viel konzentrierter und viel frischer in die zweite Hälfte der Lehrveranstaltung gehen und profitieren davon. Und das muss man den jungen Leuten ja auch klar machen, dass es ´ne Pause ist, die ihnen einfach nutzt."

    Tatsächlich bringt es für die Konzentration viel, sich zwischendurch mal zu bewegen. Bei Bewegung pumpt das Herz vermehrt sauerstoffhaltiges Blut durch den Körper – auch ins Gehirn. Dadurch können Informationen schneller aufgenommen und verarbeitet werden und auch einfacher kreative Lösungen für Lernaufgaben gefunden werden. Die Frage ist nur: Inwiefern lässt sich der Gedankengang vom vor´m Training noch aufgreifen, fünf Minuten und einige Übungen später. Tutorin und Kursleiterin Morlin Hager hat keine Bedenken:

    "Das ist kein Problem. Das sind ja nur fünf Minuten von eineinhalb Stunden. Deshalb ist das nicht so tragisch, wenn man dann ne kurze Unterbrechung hat. Danach kann man dann auch gut wieder mitdenken."

    Dozenten können die Trainer für ihre Veranstaltungen "buchen". Die nächsten vier Wochen läuft der "Studi-Pausenexpress" als Pilotprojekt an der Wuppertaler Uni. Dann wird sich zeigen, ob sich die Idee, mitten in der Vorlesung Übungen zu machen, auch langfristig durchsetzt

    "Hier geht´s jetzt darum zu gucken: Wie kommt das an, wird das gebraucht. Die Hochschulleitung unterstützt uns auch in dieser Richtung. Wir sind jetzt ganz gespannt auf nach den vier Wochen. Es wird eine Evaluation geben und dann ist es letztendlich unsere Aufgabe, an einem Konzept zu arbeiten, was dauerhaft dann auch hier integriert werden kann."

    Gabi Maass ist optimistisch. Sie sagt: Kritiker gibt es immer, wenn man neue Dinge ausprobiert. Aber es gibt auch viele Kursteilnehmer, die eifrig mitmachen und denn Sinn darin sehen:

    "Dadurch, dass man mal kurz abgelenkt wird und sich bewegt kommt man aus diesem Denkprozess raus, diese Verspannung löst sich und man geht nachher mit ´nem frischen Wind wieder dran."

    "Also, Konzentration wird da eigentlich eher wieder angeregt als dass es ablenkt - ja, ich find´s ganz lustig, weil´s mal was anderes ist und ich glaub auch, dass es was bringt."

    Da ist halt einfach die Frage: Lässt man sich drauf ein, vor Kommilitonen und Professor die Übungen zu machen, um sich selbst was Gutes zu tun? Trainerin Pia Scholl wird jedenfalls nicht müde, die Studierenden zu motivieren – auch, wenn´s manchmal gar nicht so einfach ist:

    "Ja, da muss man dann durch. Man weiß ja, dass man den Studierenden eigentlich was Gutes tut und das muss man dann durchsetzen und mit der ersten Sekunde ist das dann meistens gegeben, wenn die dann einmal aufstehen – und dann machen die auch mit ... "

    Nicht alle: Manche unterhalten sich auch lieber oder beißen mal in ihr Brot. Aber auch das ist gut, wenn´s gut tut. Hauptsache, einfach mal einen Moment das Gehirn abschalten und erholen. Und dann ist der "Pausenexpress" auch schon wieder weg – weiter, zum nächsten Kurs, um da für Entspannung zu sorgen, ein Stockwerk weiter unten, bei den Germanisten.

    "Wir machen noch vier, drei, zwei – absetzen, Beine ausschütteln – Danke, das war´s für heute und bis nächste Woche."