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Personalmangel und Sparkurs

Das Land Sachsen führt regelmäßig die Bildungsrankings Deutschlands an. Sächsische Hochschulstandorte genießen inzwischen deutschlandweit einen guten Ruf: gute Lehre und günstige Lebensbedingungen - doch die Realität sieht anders aus.

Von Thomas Matsche | 14.11.2011
    Morgens in der Mittelschule im sächsischen Hartha, unweit von Dresden. Thomas Winter beginnt seinen Dienst als Direktor. Seit drei Monaten hat der 54-Jährige hier einen Zweitjob. Denn Thomas Winter betreut nicht nur seine Mittelschule in Rosswein, sondern jetzt auch die 20 Kilometer entfernte Mittelschule in Hartha. Das alles ist eine Notlösung, die von der regionalen Schulbehörde betrieben wurde. Als sein Vorgänger in Rente ging gab es keinen Nachfolger. Thomas Winter zwei Tage in Rosswein, zwei Tage in Hartha. Eine Belastung, die Thomas Winter an seine körperlichen und mentalen Grenzen bringt.

    "Das heißt, das Gesamtvolumen der Arbeit hat sich eigentlich auch verdoppelt weil ja die ganzen Terminplanungen, die vorhanden sind ob Lehrerkonferenzen, ob Elternabende ja einmal in Hartha stattfinden muss und zum anderen natürlich auch in Rosswein. Das bedurfte mit Schuljahresbeginn einer sehr feinfühligen Terminabstimmung für das ganze Jahr, um am Ende alles, was beide Schulen betrifft unter einen Hut zu bekommen."

    Das ist kein Einzelfall. Bis zu 70 sächsische Schulen haben derzeit regulär keinen Direktor. Die Arbeit übernehmen Lehrer, Stellvertreter oder wie bei Thomas Winter, Direktoren anderer Schulen. Ein Problem, dass sich bis 2020 wohl weiter verschärfen wird wenn 15.000 Lehrer pensioniert werden. Der Mangel an Schulleitern ist in Sachsen strukturell bedingt denn der Job wird Interessenten nicht gerade schmackhaft gemacht, wie Sabine Gerold von der Lehrergewerkschaft GEW beklagt.

    "Es ist ganz klar, wenn die Lehrerschaft in Sachsen im Durchschnitt knapp 50 Jahre alt ist, dass man im fortgeschrittenen Lebensalter ungern eine Leitungsaufgabe übernimmt, von der man weiß, dass man wenig Chancen hat, den Beamtenstatus zu erlangen, womit der Schulleiterberuf in Sachsen eigentlich attraktiv gemacht wird, weil die Beamtungsgrenze bei 45 Jahren liegt. Dazu kommen die negativen Erfahrungen der Vergangenheit. Noch heute ist eine Verbeamtung auf einer Schulleiterstelle daran gebunden, dass die Schule mindestens 10 bis 15 Jahre Bestandsgarantie nachweisen kann. Es ist ein breites Spektrum was diese Tätigkeit in Sachsen wenig attraktiv macht und es wird politisch wenig getan sie attraktiver zu machen."

    Thomas Winter wird noch bis Juli 2012 auch in Hartha sein, dann geht er wieder zurück nach Rosswein. Die Direktorenstelle ist jetzt ausgeschrieben. Ob sich jemand bewirbt ist nicht sicher. Ein weiteres Jahr will Thomas Winter aber nicht dranhängen.

    Ortswechsel. An der Uni Leipzig bereiten Studierende eine große Demonstration vor. An der Wand lehnen bemalte Stofftransparente. Kisten mit Flyern stapeln sich in einem Raum. Studierende aller sächsischen Hochschulen wollen heute auf die Straße gehen, weil das Land in den kommenden Jahren im Hochschulbereich enorme Einsparungen plant. Viele Dozentenstellen sollen gestrichen werden. Bis 2020 sollen 1000 Stellen wegfallen. Florian Sperber vom Leipziger Studentinnenrat:

    "Es ist so, dass die Hochschulen von der Finanzierung eh schon immer an der Grenze sind und es deswegen einfach nicht machbar ist und einfach nicht in Ordnung ist, dass da weiterhin und schon wieder gekürzt werden soll."

    Und das, obwohl schon in diesem Jahr ein Drittel mehr Studierende als im Vorjahr an der Uni Leipzig immatrikuliert wurden. Viele sind aus Westdeutschland gekommen. Sachsen hatte extra mit großen Kampagnen um sie geworben. Die Stuttgarterin Mareike Wöllhaf ist deshalb nach Leipzig gezogen. Im Oktober hat sie ihr Jurastudium begonnen. Die Zustände an ihrer Fakultät hält sie jedoch für unhaltbar.

    "Wir haben eine Betreuungsrelation von 1 zu 125, im Vorjahr waren es 1 zu 104. Und die ist im Vergleich in Deutschland die schlechteste überhaupt an juristischen Fakultäten. Und das sind einfach Bedingungen, unter denen ein optimales Studium nicht möglich ist."

    Nach den Plänen der Landesregierung soll an allen Hochschulen in Sachsen gespart werden. Wie an der Leipziger Hochschule für Technik und Wirtschaft. Dort soll der Studiengang angewandte Mathematik komplett gestrichen werden. Der zweitgrößte in Ostdeutschland. Deshalb gehen heute 3000 sächsische Studierende auf die Straße, um, wie Florian Sperber sagt, die Doppelzüngigkeit der Landesregierung anzuklagen.

    "Dass gleichzeitig das Thema Bildung groß gehalten wird und man gleichzeitig die Bildung kürzt. Das geht uns einfach nicht in den Kopf wie das zusammenpassen sollte."