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Personifiziertes Feindbild

Die Attacke auf den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard kam nicht überraschend, er selbst ahnte, dass ein weiterer Mordanschlag folgen würde. Diesmal konnte sich der Künstler in letzter Sekunde in seinen Sicherheitsraum retten, doch warum konnte es überhaupt so weit kommen?

Von Marc-Christoph Wagner |
    Staunen, Ratlosigkeit, Kopfschütteln – so mancher Däne zeigte sich fassungslos, als sich die Nachricht vom Angriff auf den Karikaturisten Kurt Westergaard verbreitete. Insbesondere die Nachbarn des mutmaßlichen Täters, der in einem Außenbezirk Kopenhagens lebte, zeigten sich erschrocken.

    "Er war sehr nett und hilfsbereit. Keine Ahnung, warum er das getan hat."

    "Er war ein sehr offener Mensch, ein guter Vater und Nachbar. Wenn mir etwas fehlte, dann ging ich stets zu ihm hoch und borgte es mir, da gab es nie Probleme. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass er zu so etwas in der Lage ist."

    Doch der gute Nachbar stand seit Längerem unter Beobachtung des dänischen Nachrichtendienstes PET. Der 28-jährige Ostafrikaner soll Verbindungen gehabt haben zu den radikal-islamischen Schabab-Milizen in Somalia sowie zur Führung des Terror-Netzwerkes El Kaida. Nicht zuletzt deswegen müssen sich die dänischen Sicherheitsbehörden nun die Frage gefallen lassen, wie es dem Somalier überhaupt gelingen konnte, scheinbar unbemerkt von Kopenhagen ins rund 300 km entfernte Århus zu reisen und in das Haus der Westergaards einzudringen.

    "Kurt Westergaard wurde von uns umfassend geschützt. Aber selbstverständlich werden wir, nach dem, was passiert ist, noch einmal kritisch analysieren, ob wir noch mehr für seine Sicherheit tun können."

    Diese Antwort von PET-Chef Jakob Scharf scheint vielen zu vage. Immerhin handelt es sich bei Kurt Westergaard um eine der meist gefährdeten Personen Dänemarks, ja der westlichen Welt, so der Terrorismus-Forscher Lars Erslev Andersen vom Dänischen Institut für Internationale Studien.

    "Die Mohammedkarikaturen sind zu einem Symbol geworden für das, was Osama bin Laden als einen Kulturkrieg zwischen dem Westen und dem Islam bezeichnet – ein Krieg, der auf drei Ebenen geführt wird, der militärischen, der ökonomischen und der kulturellen. Die Karikaturen sind das Symbol für die kulturelle Ebene, die bin Laden selbst als die kritischste bezeichnet, entscheidender noch als die militärische Auseinandersetzung. Und vor diesem Hintergrund ist Kurt Westergaard als Zeichner der bekanntesten Karikatur eine Art personifiziertes Feindbild."

    Schon im Laufe des Wochenendes bewegte sich die politische Diskussion in Dänemark weit über die persönliche Sicherheit Kurt Westergaards hinaus. Hatte Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen noch in seiner Neujahrsansprache für eine bessere Integration von in Dänemark lebenden Ausländern geworben, fordert der Fraktionsvorsitzende seiner Partei, Peter Christensen, nun eine Revision der dänischen Terror- und Ausländergesetze. Allein der Kontakt zu El Kaida und anderen Terrorgruppen müsse ausreichen, um jemanden aus dem Lande abzuschieben.

    Ein Vorschlag, der von der Dänischen Volkspartei und ihrem rechtspolitischen Sprecher Peter Skaarup warmherzig unterstützt wird. Selbst Bürger, die über die dänische Staatsbürgerschaft verfügten, müssten abgeschoben werden können – internationale Konventionen hin oder her.

    "Dänemark darf keine Insel werden für internationale Terroristen. Es muss Schluss sein mit falsch verstandener Toleranz. Wir sind naiv, wenn wir Personen beherbergen, die in Wahrheit nichts anderes wollen, als unsere Gesellschaft zu zerstören."

    Auch Außenminister Per Stig Møller meldete sich am Wochenende besorgt zu Wort. Dänemark müsse auf absehbare Zukunft mit dem Erbe der Karikaturen leben, so der Konservative. Inzwischen zähle das Land zu den weltweit gefährdetsten Terrorzielen. Eine Einschätzung, die auch der Terrorismus-Forscher Lars Erslev Andersen teilt. Die Karikaturen, Dänemarks strikte Ausländer- und Integrationspolitik sowie die Beteiligung des Landes am Irak-Krieg und der Mission in Afghanistan – das alles habe Aufsehen weit über die Landesgrenzen hinaus erregt:

    ""Unsere Sicherheitsbehörden sprechen stets von einem allgemeinen Risiko. Meines Erachtens aber ist die Terrorgefahr bei uns inzwischen sehr viel höher als in unseren Nachbarstaaten.""